Archiv für den Monat: August 2017

Groß Enzersdorf: Wir hoffen auf ein kleines bisschen Menschlichkeit

Samer musste 2015 aus Syrien fliehen weil er dort vom Militär gesucht wird. Der österreichische Staat verweigert ihm bis heute die Zulassung zum Asylverfahren. Jetzt muss er eine Dublin III-Abschiebung nach Kroatien befürchten. Margit Huber und ihre Familie kämpfen in Groß Enzersdorf weiter für das Bleiberecht ihres Freundes. Sie berichtet über die aktuelle Situation.

Im Dezember 2015 hat Samer in Österreich um Asyl angesucht. Er floh aus dem Kriegsland Syrien. Dort steht er auf einer Gesuchten-Liste des Militärs, weil er sich durch seine Teilnahme an Kundgebungen gegen das Regime äußerst unbeliebt gemacht hat.

Nach der Flucht über das Mittelmeer nahm er wie die meisten Flüchtenden die Balkanroute, um nach Österreich zu gelangen. Die österreichischen Behörden wollten ihn so schnell als möglich über die deutsche Grenze bringen – gegen seinen Willen. Denn Samer wollte unbedingt hier in Österreich um Asyl ansuchen, weil hier sein jüngster Bruder Ashraf schon ein halbes Jahr vor ihm einen Asylantrag gestellt hatte. Es gelang Samer mit Müh und Not dem Massentransport nach Deutschland zu entkommen und hier um Asyl anzusuchen.

Doch Österreich verweigert ihm unter Berufung auf Dublin III dieses Recht. Bis zum Bundesverwaltungsgericht sind wir schon gegangen, um zu erreichen, dass Samer hier in Österreich zum Asylverfahren zugelassen wird. Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs müssen wir nun wieder bangen, dass Samer nach Kroatien abgeschoben wird. Noch ist er durch eine aufschiebende Wirkung vor Deportation nach Kroatien geschützt. Doch wir fürchten uns vor dem Tag, an dem das Bundesverwaltungsgericht seinen Fall bearbeitet. Muss er dann nach Kroatien?

Samers Bruder hat schon lange Asyl in Österreich und inzwischen eine Lehrstelle als Elektriker bekommen. Auch Samer könnte schon lange arbeiten und ins österreichische Sozialsystem einzahlen, wenn die Behörden ihn zum Asylverfahren zulassen und ihm Asyl gewähren würden. Denn er hat seit fast einem Jahr schon zwei Jobzusagen in der Tasche.

Wir kämpfen jetzt schon seit beinahe einem Jahr darum, dass Samer zum Asylverfahren in Österreich zugelassen wird. Wir sind müde. Aber wir geben nicht auf. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was es bedeuten würde, diesen Kampf zu verlieren!

Samer ist Teil unserer Familie geworden, wir sind für ihn Mutter und Vater. Er ist uns Sohn und verlässlicher Freund. Eine unglaubliche Bereicherung für unser Leben. Samer ist immer zur Stelle, wenn jemand Hilfe braucht, hilft bei Kulturveranstaltungen im Ort und beim Pfarrflohmarkt. Er ist aktives Mitglied im Heimatverein, seine ausgezeichneten Fotos werden gerne für Vorträge über die Geschichte unseres Städtchens verwendet. Im Sommer spielen wir zusammen mit Freunden regelmäßig Boulé. Er gehört zu unserer Mannschaft. Sein Deutsch wird von Tag zu Tag besser. Derzeit besucht er den letzten Teil des B1-Kurses an der Volkshochschule.

Seine Leidenschaft ist die Fotografie. Er hat sich mit viel Akribie systematisch Wissen angeeignet und ist ein echter Fotokünstler geworden. Das erste Mal konnte er im Frühling 2017 einige seiner Bilder im Heimatmuseum im Rahmen einer Werkschau heimischer Künstler zeigen. Anfang August dieses Jahres freuten wir uns unglaublich darüber, dass er in der Galerie unseres Städtchens seine erste Einzelausstellung hatte. Dort hat er sogar eine sehr berührende Rede auf Deutsch gehalten und sehr eloquent die Besucher durch die Galerie geführt. Seine Bilder sind einen ganzen Monat lang im Kunstlokal zu sehen. Mitte August findet seine zweite Vernissage statt und zwar in Hainburg. Es gibt auch schon Angebote anderer Galerien. (Für Interessierte: Er hat eine Facebook-Seite für seine Fotos.)

Durch seine offene Art, seinen Humor und seine künstlerische Tätigkeit hat er hier viele Freunde gefunden. Zu seinem Bruder hat er eine innige Beziehung, ist er doch das einzige Mitglied seiner Ursprungsfamilie, das nun im gleichen Land wie er lebt.

Doch des Nachts plagen ihn Albträume. Er leidet unter massiven Schlafstörungen, muss er doch seit einem Jahr schon Angst haben, irgendwann doch wieder aus seiner neuen Heimat gerissen zu werden. Er meint dazu, „ich sterbe lieber, ich kann einfach nicht noch einmal woanders von vorne anfangen und ich habe große Angst, dass mich die Kroaten nach Syrien zurückschicken“. Diese Angst ist durchaus berechtigt. Die kroatischen Behörden sind berüchtigt dafür, unter fadenscheinigen Vorwänden Menschen einen negativen Bescheid zu erteilen. Für Samer käme das einem Todesurteil gleich.

Trotz aller Rückschläge durch die Behörden werden wir nicht aufgeben. Wir hoffen immer noch auf das Wunder, dass Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht und Samer hier in Österreich zum Asylverfahren zulässt. Vielleicht zeigt irgendjemand bei den Behörden ja doch ein kleines bisschen Menschlichkeit und erkennt, wie unmenschlich es wäre, die beiden Brüder zu trennen und Samer aus seiner neu gefundenen und hart erkämpften Heimat zu reißen.

Margit Huber
aus Groß Enzersdorf

2015 und 2016 wurden viele europäische Regierungen gezwungen die Dublin III-Verordnung auszusetzen und ihre Grenzen zu öffnen. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. Juli, in der die Grenzübergänge in dieser Zeit als „illegal“ erklärt wurden, droht hunderten Flüchtlingen in Österreich (teilweise zum wiederholten Male) eine Abschiebung nach Kroatien und in andere Balkanstaaten. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik sammelt Fälle von Betroffenen.

„Farzad und uns wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“

Im März durfte Farzad (hier mit seinen Freunden beim Abschied in Zagreb) wieder nach Österreich zurück. Jetzt droht ihm erneut die Abschiebung.

Im November 2016 wurde Farzad von den österreichischen Behörden nach Kroatien abgeschoben, wo schreckliche Zustände herrschten. Seiner Betreuerin Hemma Niedl und engagierten Aktivist_innen gelang es, ihn nach Österreich zurückzuholen. Durch die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) droht Farzad nun ein zweites Mal eine Dublin-Abschiebung.

Farzad Mohammadi, 19 Jahre alt. Er ist seit Februar 2016 in Österreich.

Aufgewachsen ist Farzad im Iran, denn dorthin sind seine Eltern geflohen als Farzad noch ein Baby war. Er hat keine Verwandten in Afghanistan.

Ich will jetzt gar nicht näher auf sein hartes Leben als Afghane im Iran eingehen, sondern nur die vergangenen Monate in Österreich schildern. Farzad wurde am 13. November 2016 aufgrund Dublin III nach Kroatien abgeschoben. Er hatte hier in unserer kleinen Stadt Tulln Freunde und so etwas wie eine Familie gefunden. Er spielte Fußball, war im örtlichen Lauf-Team, sang im Chor und hatte einen Schulplatz. Dies alles half ihm nicht.

Wir hielten damals eine Mahnwache, wir starteten eine Petition (die wir im Jänner 2017 einreichten), wir betrauten einen Anwalt mit der Sache. Wir versuchten alles und als wir Farzad nach monatelangem Psychostress im März nach Österreich zurückholen durften, schien alles für ihn und uns gut zu werden.

Abschied in Zagreb.

Farzad erholte sich nach und nach von dieser furchtbaren Zeit: zuerst die Angst davor, dass die Polizei jederzeit vor der Tür stehen könnte, dann der Horror in Zagreb, mit der Gewissheit, dass es in Kroatien kaum positive Asylbescheide gibt. Wir waren zweimal dort. Wir haben dort wundervolle Menschen kennengelernt, die dort irgendwie einfach auf’s „Abstellgleis“ geschoben wurden. Wie wir haben sie fieberhaft auf das Urteil des EuGH gewartet. Und dann wurde dieses langersehnte Urteil gefällt und wir sind noch immer benommen, schockiert und können diese Rechtsprechung nicht wahrhaben.

Farzad und uns wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. Er ist wieder in Unsicherheit.

Er hat seine Klasse mit lauter „Sehr gut“ abgeschlossen (obwohl er so lange gefehlt hat). Er hat Deutsch B1 abgeschlossen, er spielt in der Kampfmannschaft im örtlichen Fußballverein, er hat Laufbewerbe gewonnen. Er ist allen ein guter und hilfsbereiter Freund und er kann schon österreichisch Schmäh führen. Das alles wird ihm voraussichtlich nicht helfen.

Hemma Niedl

2015 und 2016 wurden viele europäische Regierungen gezwungen die Dublin III-Verordnung auszusetzen und ihre Grenzen zu öffnen. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26. Juli, in der die Grenzübergänge in dieser Zeit als „illegal“ erklärt wurden, droht hunderten Flüchtlingen in Österreich (teilweise zum wiederholten Male) eine Abschiebung nach Kroatien und in andere Balkanstaaten. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik sammelt Fälle von Betroffenen.