120 Menschen vor libyscher Küste ertrunken: Das war Mord.


Foto: Flavio Gasperini / SOS Méditerranée

120 Menschen, 120 Geschichten, 120 Leben wurden ausgelöscht. Wer waren die Menschen? Hatten sie Familie? Waren Kinder darunter? Welche Berufe hatten sie? Welche Tortur hatten sie bereits hinter sich? Wer trauert um sie? Fest steht: 120 Menschen haben sich von Libyen aus auf den Weg gemacht, um einen sicheren Hafen in Europa zu erreichen. Jetzt sind sie tot.

Die Verantwortlichen sind zur Rechenschaft zu ziehen. Zwei Tage lang wussten die europäischen Behörden, dass drei Boote im Mittelmeer in Seenot geraten sind, berichtet die italienische Tageszeitung Avvenire. Zwei Tage lang wurde keine Hilfe geschickt. Zwei Tage überließ man 120 Menschen dem hässlichen Kampf mit dem Tod. Die Hilfe wurde unterlassen.

Das Rettungsschiff Ocean Viking der Hilfsorganisation SOS Mediterranee konnte nach stundenlanger Suche nur mehr das Wrack und zehn Leichen auffinden. „Es gab keinerlei Koordination durch eine staatliche Rettungsleitstelle, keinerlei Unterstützung von den zuständigen Seebehörden“, sagt die Such- und Rettungskoordinatorin der Ocean Viking, Luisa Albera.

Die Initiative Alarm Phone war mit dem Boot zehn Stunden lang in Kontakt und „übermittelte wiederholt seine GPS-Position und die katastrophale Situation an Bord an die europäischen und libyschen Behörden sowie an die breite Öffentlichkeit“. Frontex sandte erst nach sieben Stunden ein Aufklärungsflugzeug, unterließ es jedoch, eine Rettung zu organisieren und koordinieren.

„Hässliche Bilder“

Wem unterstehen diese Behörden? Unseren Regierungen. Auch der österreichischen Regierung, die mit ihrem restriktiven Kurs in der Asylpolitik in der Europäischen Union eine Vorreiterrolle einnimmt. Diese Institutionen stehen nicht außerhalb unserer Gesellschaft. Sie sind von Menschen gemacht, werden von ihnen geleitet, unterstehen letztlich unseren Regierungen.

Die Regierenden haben vielleicht nicht die unmittelbare Entscheidung getroffen, keine Hilfe zu entsenden. Aber sie geben seit Jahren den Kurs vor und tragen die Verantwortung für den Massenmord im Mittelmeer. „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen.“ Dieser Satz stammt vom ehemaligen Außenminister und nun türkisen Kanzler, Sebastian Kurz.

Man stelle sich nur die völlig andere Reaktion der Mächtigen Europas vor, wenn ein Kreuzfahrtschiff mit Europäer*innen vor der libyschen Küste in Seenot geraten wäre. Sofort würde Sebastian Kurz versuchen, sich an der Spitze der eiligst auf den Weg gebrachten Rettungsmission zu inszenieren. Unsere Regierenden wägen längst ab, wie viel Menschenleben wert sind. Nicht nur in der Pandemie.

#WirHabenPlatz

Niemand müsste sterben. Die Initiative Courage – Mut zur Menschlichkeit forderte heute erneut eine geordnete Rettung der Menschen aus den griechischen Flüchtlingslagern. Denn wir haben Platz, und man muss uns endlich helfen lassen. Auch die Menschen, die sich nach Europa auf den Weg machen, könnten geordnet und sicher auf Fähren das Meer überqueren.

Lasst uns einen Moment der Toten gedenken und weiter kämpfen. Wir dürfen nicht aufhören, den Regierenden ihre Verbrechen an der Menschlichkeit vorzuhalten. Es wird die Zeit kommen, an der wir ihre Politik der Schande und „hässlichen Bilder“ durchbrechen und das Ruder herumreißen. Dazu müssen wir noch mehr und lauter werden. Zusammen mit euch können wir das schaffen.