Ukraine-Vertriebene: NGOs fordern Gleichstellung mit anerkannten Flüchtlingen

Maria Katharina Moser (Diakonie), Anna Parr (Caritas), Anja Oberkofler (Rotes Kreuz) und Judith Ranftler (Volkshilfe). Foto: Karo Pernegger

Die NGOs Rotes Kreuz, Volkshilfe, Caritas und Diakonie forderten am Montag bei einer Pressekonferenz in der Wiener Pfarre St. Barbara die Gleichstellung von Ukraine-Vertriebenen mit anerkannten Flüchtlingen. Sie würden damit am Arbeitsmarkt und bei Sozialleistungen mit österreichischen und EU-Bürger:innen gleichgestellt werden. Der Umgang wäre, ergänzt mit dem Wahlrecht, eine einfache, unbürokratische Lösung, die man auch auf andere Gruppen von Geflüchteten anwenden könnte.

Denn eine Lösung ist nötig. Zwar wird die EU-Kommission wahrscheinlich den Vertriebenenstatus, durch den Ukrainer:innen Zugang in die viel zu geringe Grundversorgung und auf den Arbeitsmarkt erhalten, für ein weiteres Jahr verlängern (und Österreich der Empfehlung folgen). Doch die 70.000 Geflüchteten aus der Ukraine in Österreich brauchen generell eine Bleibeperspektive. Eine Rückkehr wäre selbst nach Kriegsende durch die Verwüstungen und Minen ein langwieriger bis unmöglicher Prozess.

Verschlechterungen bei Familiennachzug

Anstatt den am Tisch liegenden Vorschlag umzusetzen, beabsichtigen die Entscheidungsträger:innen, neue Probleme zu kreieren. Innenministerium und Integrationsministerium (beide ÖVP geführt) sperren sich gegen eine einfache Lösung. Sie wollen, dass Ukraine-Vertriebene nach Auslaufen des Vertriebenenstatus eine Rot-Weiß-Rot-Card plus beantragen müssen. Damit wäre der Aufenthalt nicht gesichert, die Anträge müssten immer wieder neu und im Ausland gestellt (!) und bearbeitet werden.

Durch den ÖVP-Vorschlag würde vor allem Familiennachzug erschwert werden. Bisher können Angehörige ungehindert nachgeholt werden. Künftig müssten dafür Anträge mit rund einem Jahr Bearbeitungsdauer gestellt werden. Zudem wäre es ein Schlag gegen Frauen (Großteil der Ukraine-Vertriebenen): Für den Erhalt der Card müssten oft nicht vorhandene Deutschkurse besucht werden, zu dessen Besuch es an Kinderbetreuungsangeboten fehlt.

Wahltaktik und Machtpolitik

Mit der von den NGOs vorgeschlagenen Gleichstellung mit anerkannten Flüchtlingen könnte man einen großen Themenkomplex abhaken und sich weiteren Verbesserungen beschäftigen. Fluchtwaisen warten nach wie vor auf eine Klärung der Obsorge, die Spitze des für Beschwerden in Asylverfahren zuständigen Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) ist seit einem Jahr unbesetzt und zentrale Empfehlungen der Kindeswohlkommission (wie ein Kinderrechte-Monitoring) sind noch immer nicht umgesetzt.

Der Umgang mit Ukraine-Geflüchteten folgt einem Muster. Rechte Politiker:innen halten die „Asylproblematik“ aus wahltaktischen und machtpolitischen Gründen künstlich am Kochen. Die Leidtragenden sind dabei jene Menschen, die in Österreich Schutz suchen und versuchen, sich hier unter zum Teil prekären Bedingungen wieder ein Leben aufzubauen. Unsere Solidarität gilt allen, die von dieser Politik betroffen sind, egal ob sie aus der Ukraine oder aus anderen Ländern flüchten müssen.

Fenninger: Österreich kann sofort 200 Menschen aus Lampedusa aufnehmen

Foto: Sandor Csudai / CC-BY 2.0

Über 9.000 Menschen sind in den letzten Tagen auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa angekommen, die meisten von ihnen aus Tunesien. In der prallen Sonne müssen sie völlig erschöpft und teilweise bewusstlos ausharren. Sie wissen nicht, wie es weiter geht. Unruhe breitet sich aus, Polizei prügelt auf Menschen ein. Anwohner:innen helfen unermüdlich, das Rote Kreuz versorgt Tausende in einem eigentlich nur für 400 Menschen ausgelegten Erstaufnahmezentrum. Der Stadtrat hat den Notstand für die Insel ausgerufen.

Die Politik kapituliert. Statt den Menschen zu helfen, reist die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu ihrem ungarischen Kollegen Viktor Orbán. Lega-Chef Matteo Salvini bezeichnet die Situation auf Lampedusa als „Kriegsakt“ und arbeitet weiter an der Entmenschlichung von Asylsuchenden. Deutschland kündigte den „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“, wonach eine verschwindend kleine Zahl an Bootsflüchtlingen aus Italien aufgenommen werden soll, auf. In Österreich fordert die FPÖ offen rechtswidrige Pushbacks der Lampedusa-Flüchtlinge.

„Die offizielle Politik versagt, während die Bewohner:innen in Lampedusa einspringen und ganz selbstverständlich helfen. Wir dürfen sie nicht alleine lassen“, sagt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. „Wir brauchen einen europäischen Solidaritätsschlüssel, nach dem schutzsuchende Menschen in Europa verteilt werden. Österreich kann mit gutem Beispiel vorangehen und sofort 200 Menschen aus Lampedusa aufnehmen.“

Der Deal der Europäischen Union (EU) mit Tunesien, wonach dem nordafrikanischen Land 900 Millionen Euro für den Grenzschutz zugesichert wurden, ist schon nach wenigen Wochen gescheitert. „Die populistischen Scheinlösungen wie Verfahrenszentren in Ländern wie Tunesien funktionieren nicht“, sagt Fenninger. Neben einem Verteilungsschlüssel müsse die Politik legale Fluchtwege schaffen (sich wieder an Resettlement-Programmen beteiligen) und Migration nach Europa ermöglichen, so Fenninger abschließend. „Es gebietet uns der Anstand, dass wir Menschen in Not helfen.“

Wie Europa Flüchtlinge behandelt: „Das Unrecht schreit zum Himmel!“

Foto: Maximilian von Lachner

Eine Woche war Stefan Heße, Erzbischof von Hamburg, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen und Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, in Griechenland und in der Türkei unterwegs. Drei Jahre nach dem Brand in Moria. Auf seiner Solidaritätsreise konnte er mit vielen Geflüchteten sprechen. Seinen Befund teilt er in einem Bericht in der Welt: „Die Berichte und Erfahrungen haben mich zutiefst beeindruckt. Das Unrecht schreit zum Himmel!“

Das Leid, das viele vor ihrer Flucht erfahren hätten, würde sich auf den Fluchtrouten fortsetzen, schildert Heße. „Die Menschen werden Opfer von Menschenhandel, Vergewaltigungen, Folter, werden von ihren Familien getrennt, sie hungern und dursten.“ Je größer die Not, desto eher würden Menschen auch das Risiko einer gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer auf sich nehmen. Pushbacks, also die rechtswidrige Verweigerung von Asylansuchen, würden dieses Riskiko erhöhen, warnt der Erzbischof.

„Es geht um Menschen. Menschen, deren Würde unantastbar ist“, erinnert Heße. Er wünscht sich eine schnellere Weiterverteilung von schutzsuchenden Menschen in der Europäischen Union (EU), einen besseren Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten. „Pushbacks und andere Verletzungen des Völkerrechts müssen aufhören“, fordert Heße und appelliert an die Nächstenliebe, die uns immer wieder neu herausfordere.

Amen.

Regierung bei Obsorge säumig: Kein Schulbeginn für über 13.000 Kinderflüchtlinge

Foto: Ahmed Akacha

Es ist eine Schande für eines der reichsten Länder der Welt.

Tausende Fluchtwaisen, die eigentlich in die Schule gehen sollten, drohen in Österreich Opfer von Gewalt, Ausbeutung, Menschenhandel und Missbrauch zu werden. 13.688 unbegleitete geflüchtete Kinder sind im Jahr 2022 und im ersten Halbjahr 2023 verschwunden – weil sie monatelang ohne ausreichend Betreuung sind und in der Zeit keine obsorgeberechtigte Person haben.

Die Regierung ist sich des Problems bewusst und hat in ihrem Programm festgehalten, dass die gesetzliche Obsorge für Fluchtwaisen geregelt werden muss. Die asylkoordination österreich hat in der „Kind ist Kind“-Kampagne sofort umsetzbare Vorschläge auf den Tisch gelegt – wie die automatische Übernahme der Kinder in die Kinder- und Jugendhilfe der Ländern vom ersten Tag an.

Bundeskanzler Karl Nehammer wünschte allen Kindern einen „schönen Schulstart“ – auf die Kinderflüchtlinge hat er vergessen. Unbegleitete Kinder und Jugendliche bedürfen auf der Flucht besonderem Schutz und haben ein Recht wie jedes andere Kind auf ein Leben in Sicherheit, Würde und auf Bildung.

Über 40 Organisationen haben die Regierung bereits vor einem Jahr in einem offenen Brief aufgefordert, diesen Misstand endlich zu beheben.

Wir sind normal radikal.

Foto: Mural von Rachel Wolfe-Goldsmith in Oakland

Die ÖVP positioniert sich – angesichts der vielfältigen Krise, von Unsicherheit und des drohenden Zerriebenwerdens zwischen einem Möchtegern-„Volkskanzler“ Herbert Kickl und des Hoffnungsträgers Andreas Babler – als Partei der „normal denkenden Mitte“ gegen die „radikalen Ränder“. Der Aufschrei ist berechtigt. David Albrich, Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, reklamiert in einem Debattenbeitrag den Begriff „radikal“ für die solidarische Zivilgesellschaft – im ursprünglichen Sinne, gesellschaftliche Probleme „an der Wurzel zu packen“.

Die Empörung über die neue „Normalität“ der ÖVP ist riesig. Die erklärte Absicht der ÖVP, wie Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ironischerweise in einem „Kommentar der anderen“) im Standard schrieb, sei es, „Kante für die normal denkende Mitte unserer Gesellschaft zu zeigen“, da „die Radikalen“ (gemeint waren „Klimakleber“ und Feminist:innen) den öffentlichen Diskurs beherrschen würden.

Die scharfe Entgegnung von Grünen-Chef Werner Kogler, dies sei „präfaschistoid“, ist verständlich und wurde bei vielen gut aufgenommen. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen warnte bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele von einer Trennung in die Normalen und „Abnormalen“, in ein „Wir“ und „die Anderen“ und erhielt dafür viel Zuspruch. Er richtete seine Worte allerdings nicht nur gegen die politisch unter Druck stehenden Post-Türkisen, sondern auch gleichermaßen gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl und den neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler.

So neu ist die (totalitaristische) Stellung der ÖVP, wenn vielleicht auch pointierter formuliert, nicht. „Stabilität“ ist in Zeiten der Vielfachkrise keine ungewöhnliche Haltung konservativer Parteien. Die ÖVP kehrt, genau genommen, sprachlich auf den ihr gewohnten Platz als Hüterin der etablierten Ordnung zurück – weg vom populistisch-türkisen Lack der „Veränderung“ unter Sebastian Kurz. Die Reaktionen von Kogler und Van der Bellen, so wohlgemeint sie auch sein mögen, greifen also aus mehreren Gründen zu kurz. Vor allem die Gleichsetzung von Babler mit Kickl macht stutzig – und erinnert an das gerade kritisierte Gebaren.

Extreme ÖVP und FPÖ ergänzen sich

Erstens, dass die ÖVP spaltet und ausgrenzt und sich der Mittel von Rassismus und Diskriminierung bedient, ist wahrlich nichts Neues. Sie tut das in den letzten Jahren nur extremer. Kanzler Karl Nehammer schürt unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen die illegale Migration“ Stimmung gegen schutzsuchende und muslimisch gelesene Menschen. Mit realen Auswirkungen: Seine Verbindung zum illegalen Gefängnisbau im bosnischen Flüchtlingslager Lipa, in dem durch die kroatische Polizei gefolterte Menschen interniert werden sollten, oder die unsägliche Polizeiaktion „Operation Luxor“ sind nur zwei Beispiele.

Zweitens, ja, die ÖVP verschiebt das Sagbare weiter nach Rechts und bereitet durch diese Ausgrenzungsmuster tatsächlich faschistischen Kräften den Boden auf. In der Debatte fehlt allerdings eine klare Benennung des antidemokratischen Angelpunkts, der sich nicht primär um die ÖVP, sondern vor allem in der FPÖ konzentriert. Man kleidet sich (wie deren Bruderparteien in ganz Europa) in neue harmlose Gewänder und nennt sich „freiheitlich“. Doch manchmal scheint dieser braune Kern unverhohlen durch: Das Ziel einer „Volksgemeinschaft“, ein Dreh- und Angelpunkt des Nationalsozialismus, steht offen im blauen Parteiprogramm.

Bewegung der Hoffnung

Drittens, eine abstrakte Konzentration auf das „Trennende“ ist ein Einfallstor zum ursprünglichen Vorwurf. So wird plötzlich ein Andreas Babler, der auf real existierende soziale Spaltungen in unserer Gesellschaft hinweist (so wie die Mehrheit der Menschen ihre Arbeitskraft für Lohn verkaufen muss, während andere von dieser Arbeit leben) und diese zu überwinden versucht, zum (Rand-)Treiber der gleichen Spaltungsdynamik wie ein Nehammer oder Kickl. Damit läuft die Kritik in einen Zirkel und reproduziert gerade die „Normalität“ und die „Ränder“, die sie vermeintlich anprangert und setzt Menschen, die sich für ein gutes Leben für Alle einsetzen, mit hasserfüllten Hetzern und überzeugten Nazis gleich.

Nicht das leere „Wir“ und „die Anderen“ sind das Problem. Es kommt vielmehr darauf an, wer und welche Beziehungen damit in unserer Gesellschaft gemeint sind.

Wir, und damit meine ich die Perspektive der solidarischen Zivilgesellschaft, sollten daher eine unabhängige Position einnehmen und den Begriff „radikal“ stolz annehmen. Das Wort „radikal“ leitet sich aus dem Lateinischen von radix für Wurzel ab und beschreibt das Bestreben, gesellschaftliche Probleme „an der Wurzel zu packen“ und möglichst umfassend zu lösen. Wenn wir für eine Welt ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung eintreten, wie es die Klimakleber:innen und viele weitere Aktivist:innen tun, und dafür beschimpft werden, sollten wir den abwertend gemeinten Begriff positiv aufgreifen und selbstbewusst sagen:

Ja, wir sind nicht normal, wir bleiben unbequem und mischen uns selbstverständlich laut in die gesellschaftlichen Debatten ein. ÖVP und FPÖ wollen in Wesentlichen, dass alles so bleibt, wie es ist, und treten dafür auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Wir nicht. Wir bauen an einer Bewegung der Hoffnung. Mit den Vielen. Mit den Marginalisierten. Für die Menschen und die Natur. Wir wollen diese Welt radikal zum Besseren für das Wohl aller verändern.

Britische Regierung sperrt Flüchtlinge in Gefängniskahn: Proteste gegen gefährlichen Präzenzfall

Aktivist:innen von Stand Up to Racism demonstrierten am Dienstag in der britischen Hafenstadt Portland gegen die Verabschiedung des neuen rassistischen „Gesetzes gegen illegale Migration“ und die gleichzeitige Ankunft des Gefängniskahns „Bibby Stockholm“. Auf der schwimmenden Haftanstalt sollen Asylwerbende medienwirksam eingesperrt werden. Der Protest richtete sich gegen die konzertierte Dämonisierungsaktion der konservativen britischen Regierung gegen Migrant:innen und Geflüchtete.

Das neue Gesetz erlaubt der Regierung die Inhaftierung und sofortige Abschiebung von schutzsuchenden Menschen, die mit einem Boot über den Ärmelkanal ankommen – ohne, dass sie einen Antrag auf Schutz vor Krieg, Verfolgung oder aus anderen Gründen stellen können. Selbst unbegleitete Kinder und Minderjährige und Opfer von moderner Sklaverei und Vergewaltigungen können nun ohne jedwede Prüfung in ihre Herkunftländer (und nach Ruanda, so die Pläne der Regierung) deportiert werden.

Großbritannien schaffe einen „besorgniserregenden Präzenzfall“, dem andere Länder folgen könnten, warnte UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk. „Die Durchführung von Abschiebungen unter diesen Umständen verstößt gegen das Verbot der Zurückweisung und der kollektiven Ausweisung, das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, das Recht auf ein Familien- und Privatleben und den Grundsatz des Wohls der betroffenen Kinder.“ Das Gesetz müsse zurückgenommen werden, so Türk.

„Wir beobachten diese Entwicklung mit großer Sorge. Wir erwarten von der österreichischen Justizministerin sowie EU- und Verfassungsministerin eine klare Verurteilung des britischen Völkerrechtsbruches“, sagt David Albrich, Koordinator der Plattform für eine menschlichen Asylpolitik. „Die Sicherstellung der Menschenrechte und Flüchtlingsrechte war eine der wichtigsten Lehren nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Wer an diesen Vereinbarungen rüttelt, spielt mit dem Feuer.“

Sieg für SOS Balkanroute: Gericht weist Einschüchterungsklage durch regierungsnahes Institut ab

Das Handelsgericht Wien hat heute in erster Instanz die SLAPP-Klage des regierungsnahen International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) gegen SOS Balkanroute und Obmann Petar Rosandić abgewiesen. Das ICMPD, in dessen politischer Steuerungsgruppe das österreichische Innenministerium seine Interessen durchsetzt, hatte SOS Balkanroute geklagt, weil die NGO den Bau des illegalen Gefängnisses im bosnischen Flüchtlingslager Lipa aufgedeckt hatte. SLAPP steht für „Strategic Lawsuits against Public Participation” , zu Deutsch „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“.

„Wir gratulieren Petar Rosandić, dem ganzen Team von SOS Balkanroute und Anwältin Maria Windhager zu diesem wichtigen Sieg bei der Verteidigung der Menschenrechte und des Rechts auf freie Meinungsäußerung“, kommentiert Erich Fenninger, Volkshilfe-Direktor und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik das Urteil. „Die Regierung muss nun die Empfehlungen der EU-Kommission gegen missbräuchliche SLAPP-Klagen umsetzen und dafür Sorge tragen, dass das Justizsystem nicht mehr gegen kritische Stimmen der Zivilgesellschaft missbraucht werden kann.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wir erwarten, dass ICMPD das Urteil akzeptiert, auf weitere Rechtsmittel verzichtet und sich zumindest bei SOS Balkanroute entschuldigt. Nachdem der Bau des Gefängnisses in Lipa bereits vonseiten bosnischer Regierungsvertreter:innen aufgekündigt wurde, müssen jetzt die Verantwortlichen, zuvorderst Kanzler Nehammer, Innenminister Karner sowie ICMPD-Chef Spindelegger, das politische Projekt, den Balkan zu einer „Abschiebezone“ mit illegalen Pushbacks und Internierungslagern zu machen, ad acta legen.

Fenninger: „Klagen gegen kritische Zivilgesellschaft gefährden unsere Demokratie“

Foto: Jakob Alexander

Am Dienstag startet der Prozess gegen die Menschenrechtsorganisation SOS Balkanroute. Die NGO und Obmann Petar Rosandić werden politisch verklagt, weil sie Missstände an den EU-Außengrenzen wie das Gefängnis im bosnischen Flüchtlingslager Lipa aufdecken. Kläger ist das regierungsnahe International Centre for Migration Policy Development (ICMPD), in dem die Republik Österreich durch das ÖVP-geführte Innenministerium vertreten ist.

Wir wehren uns gegen diese Einschüchterung und erklären uns solidarisch mit SOS Balkanroute. „Menschen aus der Zivilgesellschaft, die berechtigte Kritik üben, werden durch Klagen existenziell bedroht. Das gefährdet unsere Demokratie und muss aufhören“, sagt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Solche Klagen müssen von allen demokratischen Kräften scharf verurteilt werden.

Klagen gegen kritische Zivilgesellschaft haben System und werden als SLAPPs bezeichnet – „Strategic Lawsuits against Public Participation” , zu Deutsch „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“. Bereits die Androhung von Klagen und voraussichtlich hohe Prozesskosten sollen dazu führen, dass Kritik unterbunden wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass eine derartige Praxis in Österreich etabliert wird. Die Regierung muss hier endlich einschreiten und ICMPD einen Riegel vorschieben.

Zusammen mit vielen Organisationen aus der Zivilgesellschaft haben wir folgende Erklärung unterzeichnet:

Wir erklären uns solidarisch mit der Menschenrechtsorganisation SOS Balkanroute: Denn Flucht ist kein Verbrechen und Solidarität mit geflüchteten Menschen genauso wenig! Menschenrechtswidrige Praktiken wie SLAPPs dürfen in Österreich keine Chance haben!

Wir fordern die österreichische Regierung auf:

1. Klare Stellung gegen den Missbrauch des Justizsystems durch SLAPP-Klagen – wie jene gegen die SOS Balkanroute und ihren Obmann Petar Rosandić zu beziehen; 

2. zu gewährleisten, dass SLAPP-Klagen nicht als Instrument gegen kritische Stimmen der Zivilgesellschaft missbraucht werden;

3. Solidarität mit Menschen auf der Flucht nicht zu verurteilen und die Arbeit von Menschenrechtsaktivist:innen weder in Österreich noch generell in Europa zu behindern.

Say it loud! Das Buch. Beiträge zu aktuellen Fragen der Flüchtlingspolitik

In Zeiten humanitärer Krisen liegen Verzweiflung und Hoffnung oft nahe beisammen. Die solidarische Zivilgesellschaft stellt sich diesen Herausforderungen und stärkt die Hoffnung auf eine Welt und Ausbeutung und Unterdrückung.

Dieses Buch vereint Beiträge aus Wissenschaft und Aktivismus und schafft Inspiration zur Einflussnahme auf den politischen Diskurs. Es ist eine laute Stimme für Menschenrechte und für den Kampf um internationale Solidarität.

Inhalt:

  • Vorwort der Grünen Bildungswerkstatt Wien | Elisabeth Kittl
  • Vorwort der Plattform für eine menschliche Asylpolitik | Erich Fenninger
  • Say it loud! Eine laute Zivilgesellschaft in einem Zeitalter der Katastrophen | David Albrich, Judith Ranftler
  • Lesbos, wo Europa die Rechte der Menschen zu Grabe trägt | Doro Blancke
  • Können wir von Geflüchteten lernen, anzukommen? | Ronny Kokert
  • Kampf um die Bedeutung des Solidaritätsjahres 2015 | Susanne Scholl
  • Wider Pushbacks und Grenzgewalt in der EU: Eine Rückbesinnung auf mehr Rechtsstaatlichkeit | Stephan Handl
  • Wieso wir nicht aufgeben dürfen: Humanitärer Widerstand an den EU-Außengrenzen | Petar Rosandić
  • Warum ich mich hier zuhause fühle und dort nicht | Tina im Gespräch mit Angelika Koller
  • Globale Klimaerwärmung und die Flucht vor anthropogenen Naturkatastrophen | Andreas Weber
  • Klimawandel, Migration und Flucht in der Politik: Meine Empfehlungen an eine fiktive Außenministerin | Sarah Nash
Elisabeth KittlElisabeth Kittl ist Obfrau der Grünen Bildungswerkstatt Wien, Feministin und kämpft für das gute (und leistbare) Leben für alle. Sie ist leidenschaftlich, wissbegierig, lernfreudig und hinterfragt immer den Status quo.
Erich FenningerErich Fenninger ist Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, Direktor der Volkshilfe Österreich und Herausgeber mehrere Bücher, darunter „Von Freiheit Träumen“. 2015 initiierte er das Solidaritätskonzert für Europa Voices for Refugees am 3. Oktober mit 200.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz.
David AlbrichDavid Albrich ist Mitgründer und Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik und setzt sich als politischer Aktivist für Antirasismus und Klimagerechtigkeit ein. Er arbeitet in der Volkshilfe Österreichim Projekt Kinderarmut abschaffen und im Bereich Asyl, Integration und Migration.
Doro Blancke
Doro Blancke ist Geschäftsführerin des Vereins Flüchtlingshilfe/refugee assistance – doro blancke. Als Menschenrechtsaktivistin ist sie seit Jahren für schutzsuchende Menschen an den europäischen Außengrenzen im Einsatz. 2020 wurde sie für ihr Engagement mit dem Ute-Bock-Preis ausgezeichnet. 2023 erhielt sie den Menschenrechtspreis des Landes Steiermark.
Stephan HandlStephan Handl ist Jurist, Kultur- und Sozialanthropologe. Seit 2020 ist er als Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich für die Themenbereiche Asyl und Migration verantwortlich. Davor war er Leiter des Wiener Schubhaftberatungsteams beim Diakonie Flüchtlingsdienst.
Ronny KokertRonny Kokert ist Kampfsportweltmeister, Konflikt-Coach und leitet das Trainingszentrum Shinergy Base in Wien. 2016 gründete er die Shinergy Freedom Fighters und trainiert traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Er engagiert sich aktiv in der Flüchtlingshilfe und schleuste sich in die Lager von Moria und Kara Tepe auf Lesbos ein.
Sarah Louise NashSarah Louise Nash ist selbst Migrantin aus Schottland und Senior Scientist an der Universität für Weiterbildung Krems. Sie ist Politikwissenschaftlerin und forscht hauptsächlich zur Politik von Klimawandel und Migration in Europa.
Judith RanftlerJudith Ranftler ist Obfrau der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Sie ist Sozialarbeiterin und leitet in der Volkshilfe Österreich den Bereich Kinderarmut, Asyl, Integration und Migration.
Petar RosandićPetar Rosandić, bekannt als Rapper Kid Pex, ist Mitbegründer von SOS Balkanroute, einer mehrfach ausgezeichneten humanitären Initiative für ein menschenwürdiges Leben von geflüchteten Menschen in Südosteuropa. Entlang der Balkanroute organisieren er und sein Team regelmäßig Hilfstransporte mit Sachspenden zu den Lagern an der bosnisch-kroatischen Grenze.
Susanne SchollSusanne Scholl ist Journalistin, Schriftstellerin und war langjährige ORF-Korrespondentin in Moskau. Für ihre journalistische Arbeit und ihr menschenrechtliches Engagement erhielt sie zahlreiche Preise, unter anderem den Concordia-Preis und das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Sie ist Mitgründerin der Plattform Omas gegen Rechts.
TinaTina ist eine mutige und laute Stimme für Kinderrechte. Ihr Engagement und ihr medialer Einsatz als Betroffene des rassistischen österreichischen Asyl systems stärkt den Kampf gegen Kinderabschiebungen.
Andreas WeberAndreas Weber studierte Soziologie, Geschichte und Philosophie und ist Lektor an der Universität Wien. Er setzt sich in Lehre und Forschung gegenwärtig vor allem mit soziologischen Gesellschaftstheorien sowie soziologischen Fragestellungen im Kontext der Krise der Umwelt und des Klimas auseinander und veröffentlichte arbeitete unter anderem an der Studie Klimakrise und Lebensweise.

Herausgeberinnen: Grüne Bildungswerkstatt Wien, Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Redaktion: Angelika Koller. Layout: Grafix & Design – Brigitte Lang.

Erfolg! SOS Balkanroute verhindert Schubhaftgefängnis in Lipa

Foto: SOS Balkanroute

Nur kurz nach dem Besuch bei der österreichischen Justizministerin Alma Zadić verkündet der bosnische Menschenrechtsminister Sevlid Hurtić das Ende des umstrittenenen Abschiebegefängnisses im Flüchtlingslager Lipa. Es wird nicht in Betrieb gehen. Die NGO SOS Balkanroute hatte standhaft gegen die menschenrechtswidrige Internierungsanstalt kampagnisiert und einen Erfolg auf voller Linie errungen. Wir gratulieren Petar Rosandić und seinem Team herzlich zu diesem wichtigen Teilerfolg!

Der Stopp ist ein Fiasko für den regierungsnahen Gefängniserrichter ICMPD, der in der Auseinandersetzung SOS Balkanroute geklagt hatte. Allen voran ist die Verhinderung des Gefängnisses eine krachende Niederlage für die Betreiber des politischen Projektes der „Festung Europa“ – Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP). Ihre Versuche, die Menchenrechte und insbesondere das politische Recht auf Asyl zu untergraben, scheitern.

Der Bau in Lipa muss nun geschliffen werden. Mit den Worten des neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler: „Festungen bleiben in der Geschichte immer als Ruinen zurück.“ Wir fordern die Rücknahme der Klage gegen SOS Balkanroute. Die Verantwortlichen, zuvorderst Nehammer, Karner sowie ICMPD-Chef Spindelegger, müssen das politische Projekt, den Balkan zu einer „Abschiebezone“ zu machen, ad acta legen.

Die Zivilgesellschaft hat gesiegt. Rechnet mit uns. Es ist die Zeit für eine echte Wende zur einer menschlichen Asylpolitik. Wir feiern den Erfolg am Dienstag, 20. Juni am Weltflüchtlingstag zusammen mit EsRAP, Kid Pex, Doro Blanchke und vielen mehr am Wiener Brunnenmarkt und Yppenplatz. Wir freuen uns au euer Kommen. Schöpfen wir Mut und Hoffnung aus dem Sieg für die nächsten Kämpfe.