Menschenrechtsaktivistin Doro Blancke ist seit acht Jahren im Einsatz für schutzsuchende Menschen. Aktuell ist sie an den europäischen Außengrenzen aktiv und sendet von der Insel Lesbos eine Grußbotschaft an die Politik und Teilnehmenden an der Demonstration „Zimmer statt Zelte“ am 5. November 2022.
Seit 2015 weiß ich sowohl aus Österreich, als auch seit 2020 von unserer Arbeit aus Griechenland, was es für Menschen auf der Flucht heißt, in Zelten leben zu müssen. Jedes Geräusch von außen dringt in dein Ohr, die Nachtkälte kriecht in deinen schon geschundenen Körper, deine Tränen müssen nach innen fließen, weil man seine letzte Würde, die eigene Intimsphäre nicht entblößen will. Weil man gar nicht mehr die Kraft hat, für irgendeine Reaktion, die natürlich nicht ausbleibt, wenn man sich, eingepfercht mit anderen, „entblößt“.
Ein Dach über dem Kopf, sehr geehrte Österreicher*innen. „Und alle die hier leben“ sage ich jetzt nicht, denn wir sehen ja in Form von Zelten sehr genau, wie der Satz, bei jenen, die ihn aussprechen, tatsächlich verinnerlicht ist. Alles nur Show. Manche verkaufen sich halt besser. Trotzdem, alles nur Illusion, eine Show.
Die Zelte sind real.
Die Zelte sind real und unter unserer Würde, falls wir noch eine haben.
Unpässlichkeiten, politische Vorteile, Machtausübungen, Stimmenfang, Unfähigkeit und blanker Rassismus, dies alles sind Ursachen für die jetzige Situation. Wir haben Gesetze, Bund und Länder Vereinbarungen. Dass diese eingehalten werden, das ist die Verantwortung der Politiker:innen, sowohl vom Bund als auch von den Landesfürsten.
Dass jene trotz vieler Gespräche und organisatorischer Treffen (von denen es bereits vom Frühsommer Protokolle gibt), bis heute nicht in der Lage waren, gezielte, effektive Vorbereitungen zu treffen, ist schlicht und einfach ein Armutszeugnis.
Ich als Doro Blancke, als österreichische Staatsbürgerin, als Frau und Mutter von zwei Kindern will nicht, dass Politiker:innen, denen ein Auftrag für uns alle anvertraut wurde, die dafür auch noch überdimensional bezahlt werden, Menschen in Österreich und mir, die Würde rauben.
Unabhängig davon, dass Essen und ein Dach über dem Kopf ein Grundrecht ist, dass wir keine Asylkrise, sondern eine Verteilungskrise haben, unabhängig davon erlaube ich nicht widerstandslos, dass man uns die Würde raubt.
Das möchte ich für niemanden. Für mich nicht, aber auch für euch nicht, nicht einmal für die Politiker:innen, die diese Grausamkeiten verantworten.
Ihr Volkspartei, die Grünen und die SPÖ, ihr habt das zu verantworten, im Bund und in den Ländern. Besinnt Euch, beginnt heute zu arbeiten, es sind sowohl die Mittel als auch die Möglichkeiten da. Ihr wisst das, ALLE. Denn wir haben keine Asylkrise, auch das wisst ihr, ALLE, wir haben eine Verteilungskrise, die euren Eitelkeiten, euren politischen Agenden, eurem Populismus und eurer Unachtsamkeit geschuldet ist.
NEIN zu Zelten, weil wir und andere Menschen uns das wert sind.
Euch allen einen solidarischen Gruß von der Insel Lesbos, einer Insel, auf der die Tränen bei allen, die hier in Zelten gelebt haben, bis heute nach innen fließen.