von Marleen Gelbmann
Das zweite Say it loud-Gespräch mit dem Titel: „2015: Das Jahr der Solidarität und seine Bedeutung heute“ dreht sich um das Solidaritätsjahr 2015 und seine Auswirkungen bis heute. Es diskutieren: Sarah Knoll (Zeithistorikerin am Institut für Zeitgeschichte auf der Universität Wien), Susanne Scholl (Schriftstellerin, Journalistin, Aktivistin und Sprecherin für „Omas gegen Rechts“), Abdulhamid Kwieder (Webdesigner, Entwickler und politischer Aktivist, nachdem er 2015 als Flüchtling nach Österreich kam) und Erich Fenninger (politischer Aktivist, Sozialarbeiter, Direktor der Volkshilfe Österreich und Sprecher für die „Plattform für eine menschliche Asylpolitik“). Das Gespräch wird moderiert von Judith Ranftler (Plattform für eine menschliche Asylpolitik und Volkshilfe Österreich).
Das Gespräch war geprägt von wiederkehrender Kritik an der österreichischen Politik in Zeiten von Fluchtbewegungen und dem Konflikt zwischen dem Engagement der Zivilgesellschaft und der abwehrenden Haltung von Regierungen gegenüber Geflüchteten.
Die Zeithistorikerin Sarah Knoll stellt klar, dass Flucht und Migration keine Einzelfälle und schon gar keine Neuerscheinungen sind. Mit diesem Statement will sie unter anderem den Druck um dieses Thema herausnehmen. Denn auch wenn im Jahr 2015 mehr Menschen in Österreich um Asyl angesucht haben als während früheren Fluchtbewegungen (z.B. 1956 aus Ungarn), war das wirtschaftliche Potential Österreichs 2015 auch größer als in den Jahren davor. Knoll geht mit dem Mythos über Österreich im Umgang mit Geflüchteten hart ins Gericht. „Ja, Österreichs Hilfsbereitschaft war sehr groß, aber Flüchtlinge waren auch von Anfang an starken Anfeindungen ausgesetzt, die auch ähnlich sind wie heute“, sagt Sarah Knoll über Fluchtbewegungen nach 1945. Die Grundhaltung der österreichischen Migrations- und Fluchtpolitik war: „Österreich wollte vor allem seit 56, niemals Aufnahmeland sein.“ Sie betont, dass durch das Fortbestehen von Krieg und ungleichen Systemen, Fluchtbewegungen weiter bestehen werden und dafür langfristige Lösungen gefunden werden müssen.
Die Journalistin Susanne Scholl schildert, wie sich die Wahrnehmung von Flüchtlingen in Österreich im Vergleich zu früheren Fluchtbewegungen verändert hat. Sie sieht einen Umschwung in der Solidarität: Früher musste den Menschen, die vor „dem Kommunismus“ flüchteten geholfen werden, heute werden sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet und ihre Fluchtgründe kleingeredet. Sie beschreibt die Regierung Österreichs 2015 treffend als „Staat auf Tauchstation“, die, während die Zivilbevölkerung massenhaft mobilisierte und den in Österreich ankommenden Geflüchteten mit Sach- und Essensspenden zur Seite stand, nichts tat und das Jahr 2015 als Katastrophen- und Krisenjahr betitelte.
Abdulhamid Kwieder, Mitbegründer der Flüchtlingshilfe Österreich und selbst 2015 aus Syrien nach Österreich gekommen, erinnert sich gerne an die Menschen, die ihm bei seiner Ankunft am Westbahnhof Bananen anboten und ihm zeigten, dass er und alle anderen Geflüchteten hier willkommen sind. Deshalb ist er der Meinung: „Wir müssen 2015 wiederholen“, denn „diese Leute [, die an den Grenzen feststecken] werden auf jeden Fall einen Weg finden, um nach Österreich oder nach Europa zu kommen, weil sie keine andere, leider keine andere Chance oder Option haben.“
Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich, spricht über die Wandlung Österreichs nach 1945, da das Land nach einer kurzen „Öffnung“ nun wieder stark dabei ist „sich zurück zu entwickeln, in das kleine Österreich zu flüchten, die Fenster und die Türen zuzumachen und ignorieren was auf der Welt passiert.“ Die zwei Asylgipfel von 2015 beschreibt er als „Staatsorganversagen in einer Größenordnung“, die er sich nicht vorstellen konnte. Er ruft zu starker Solidarität und Kooperation von NGOs auf, um Druck auf die aktuelle Regierung aufzubauen.
Dieser Blick in die Geschichte zeigt, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Engagement der Zivilgesellschaft und der politischen Rhetorik kein Einzelfall ist. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik arbeitet an der „Wiederholung von 2015“ im Sinne einer starken zivilgesellschaftlichen Bewegung, die letztlich zu einer politischen Trendwende führt.