Faika El-Nagashi: „Integrationspolitik muss antirassistische Politik sein!“


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Wir sprechen in Österreich nicht über Rassismus, schon gar nicht über antimuslimischen Rassismus, kritisiert Faika El-Nagashi in ihrer Rede am 17. November 2020 zu den Budgetverhandlungen im Parlament. Faika ist Nationalratsabgeordnete und Integrationssprecherin der Grünen, antirassistische Aktivistin und Mitglied der Kerngruppe der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Wir veröffentlichen ihre Rede (zum Nachschauen haben wir die Aufnahme unten eingebettet):

Eine der großen Herausforderungen von Integrationspolitik ist es, Zugehörigkeit zu vermitteln. Und eine der großen Chancen von Integrationspolitik ist es, Zusammenhalt zu schaffen. Auch deshalb ist Integrationspolitik eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch deshab muss Integrationspolitik eine Vision entwickeln.

Zugehörigkeit verläuft nicht entlang von Namen, von Herkunft, Hautfarbe, Religionsbekenntnis. Auch nicht entlang von Staatsbürgerschaft. Integration ist nicht ein linearer, Jahrzehnte dauernder Weg vom Deutschkurs zur Staatsbürgerschaftsprüfung, vom Wertekurse zur Integrationsvereinbarung.

Zugehörigkeit ist Teilhabe und Anerkennung und Respekt und die gleichzeitige Existenz von mehreren Orten, die „Heimat“ sind, real oder fiktiv, eine Verbundenheit voller Widersprüche, auf einem gemeinsamen und geteilten Fundament: einer solidarischen, einer friedlichen, einer zukunftsreichen Gesellschaft.

Angesichts der Bedrohung, die wir als eine solche diverse und weltoffene Gesellschaft durch jihadistische Anschläge wie jenen der Terrornacht vom 2. November erleben, ist es zweifelsohne wichtig und richtig, nach Verantwortung zu fragen – und nach Vermeidung. Und danach, wo die Gesellschaft auseinander driftet und wie wir darauf antworten wollen.

Der Dialog dazu mit muslimischen und mit migrantischen Communities darf nicht nur Rhetorik sein, sondern braucht eine gelebte Realität.

Seit dem Terroranschlag in Wien steigt der antimuslimische Rassismus in Österreich – Rassismus, der sich gegen Musliminnen und Muslime richtet beziehungsweise gegen Menschen, die als solche wahrgenommen werden. Sie erleben Anfeindungen und Beschimpfungen – in der Schule, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum. Sie werden zu Schuldigen gemacht, verdächtigt und diffamiert.

Und diese Realität, die für die Betroffenen oft zum Alltag gehört, muss ein Handlungsfeld von Integrationspolitik sein. Integrationspolitik muss antirassistische Politik sein.

Wir sprechen in der österreichischen Politik aber nicht über Rassismus, geschweige denn über antimuslimischen Rassismus. Stattdessen werden pseudo-akademische Diskurse um Begrifflichkeiten geführt: Was ist Rassismus? Handelt es sich nicht vielleicht doch eher um Diskriminierung? Es geht ja nicht gegen Menschen, es geht gegen eine Religion?

Wir sprechen in Österreich nicht über Rassismus.

Als im Mai dieses Jahres 50.000 Menschen alleine in Wien als Teil der #BlackLivesMatter-Bewegung auf die Straße gegangen sind, geschah dies in Erinnerung und als Aufschrei gegenüber der Ermordung von George Floyd durch Polizeibeamte in den USA. Es geschah aber auch in Erinnerung an Marcus Omofuma, den nigerianischen Familienvater, der am 1. Mai 1999 während einer Flugzeug-Abschiebung aus Österreich von drei Polizisten in fahrlässiger Weise getötet wurde.

Und an die so genannte Operation Spring, dem bis dato größten Lauschangriff, der dazu führte, dass im Zuge der antirassistischen Proteste nach der Ermordung von Marcus Omofuma Ende Mai 1999 mehr als 850 Polizeibeamte Wohnungen und Flüchtlingsheime stürmten und mehrere hundert Menschen verhafteten. Die Mechanismen der Operation Spring hatten tiefgreifende Folgen: Antirassistische Proteste und Solidarität hörten auf, prominente Unterstützer und Unterstützerinnen begannen sich zu distanzieren. Einschüchterung, Entsolidarisierung, Schweigen.

Wir sprechen in Österreich nicht über Rassismus.

Und so liegt es nun wieder bei der Zivilgesellschaft, bei den Beratungsstellen, bei den antirassistischen Aktivistinnen und Aktivisten antirassistische Arbeit zu leisten – und damit Integrationsarbeit.

Und das, Herr Kollege Gödl, ist wahrlich kein Hobby (Der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Ernst Gödl wetterte zuvor in einer Rede gegen Migrant_innen, dass Integration „Pflicht und kein Hobby“ sei, Anm.).

Wenn wir uns gegen Radikalisierung stellen, müssen wir Rassismus bekämpfen. Wenn wir Entfremdung verhindern wollen, müssen wir Zugehörigkeit ermöglichen. Und wenn wir Dialog sagen, dann müssen wir das Miteinander leben. Integrationspolitik ist selbstverständlich auch antirassistische Politik, ist Bildungspolitik, ist Emanzipationspolitik.

Erarbeiten wir den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus und Diskriminierung. Nutzen wir das Potenzial von Integrationspolitik für eine solidarische und resiliente Gesellschaft.