An einer Bewegung der Hoffnung bauen!


Foto: Jolly Schwarz

Wir durften im letzten Jahr an einem kraftvollen Aufschwung der antirassistischen Bewegung teilhaben – von Black Lives Matter über die Solidarität mit Geflüchteten in Moria und Bosnien bis zu den Schüler*innen, die sich gegen die Abschiebung ihrer Freund*innen organisierten und die Regierung unter Druck setzten. David Albrich, Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, ist davon überzeugt, dass in diesem Aufbruch der Keim einer solidarischen Welt wachsen kann.

Die solidarische Zivilgesellschaft in Österreich lebt. Und wie! in den letzten Monaten ist die antirassistische Bewegung zu einer neuen Stärke erwachsen – Erinnerungen an das Jahr 2015 und den langen Sommer der Solidarität werden wach.

Wer feierte nicht den Durchbruch der „Black Lives Matter“-Demo im Juni letzten Jahres, trotz Pandemie! Den Aktivist*innen um Mireille Ngosso und Mugtaba Hamoudah ist es gelungen, Rassismus gegen Schwarze Menschen und People of Color endlich unüberhörbar zum Thema zu machen. Die Klimabewegung protestierte in Solidarität mit indigenen Völkern gegen die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes. Im Spätsommer und Herbst zog es nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria Tausende auf die Straße. Die entsetzliche Lage für Kinder, die in den provisorischen Zelten des neuen Lagers Kara Tepe von Ratten angebissen wurden, sorgte österreichweit für Empörung. Sogar der Bundespräsident äußerte sich. Gleichzeitig wuchs die Solidarität mit den Geflüchteten in Bosnien, die sich gegen das EU-Grenzregime und die brutalen Pushbacks zur Wehr setzen. Und die engagierten Schüler*innen lösten mit den Protesten gegen die Abschiebung ihrer Freund*innen und deren Familien eine handfeste Regierungskrise aus.

Generalangriff auf Menschen- und Grundrechte

Unser politisches Zusammenrücken ist – besonders in der Pandemie, in der wir physisch Abstand halten – dringend nötig. Nur kurz nach dem Moria-Brand schlug die EU-Kommission einen neuen „Migrationspakt“ vor, der die bestehenden elenden Zustände auf den Inseln mittels Internierungslager und menschenrechtswidriger „Schnellverfahren“ in Gesetze gießen soll. Die ÖVP applaudierte den darin vorgesehenen „Abschiebepatenschaften“. Länder wie Österreich und Ungarn, die sich weigern, Menschen aufzunehmen, könnten sich dennoch „solidarisch“ zeigen, indem sie die Kosten anderer Länder für Abschiebungen übernehmen. Zugleich ist aber nicht einmal die versprochene „Hilfe vor Ort“ auf Lesbos oder in Bosnien angekommen. Stattdessen schickte Innenminister Karl Nehammer, der immer mehr unter Druck geriet, Kampfhunde und schwerbewaffnete Polizei gegen Kinder, die sich der Deportation ihrer Freund*innen in den Weg stellten.

Nach dem schrecklichen Terroranschlag letzten November in Wien meldeten die Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus und der Verein Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA), dass vermehrt Muslim*innen, vor allem Frauen, angegriffen wurden. Die Regierung preschte mit einem Anti-Terror-Paket vor. Durch die geplante Einführung eines Straftatbestands „religiös motivierte extremistische Verbindung“ würden Muslim*innen unter Generalverdacht gestellt werden, zusätzliche Überwachungsmaßnahmen in Messenger-Diensten unsere Grund- und Freiheitsrechte einschränken. Bei Hausdurchsuchungen im Rahmen der „Operation Luxor“, die eine Woche auf das Attentat folgte, ging die Polizei mit besonderer Brutalität vor. Türen von renommierten Wissenschaftlern und antirassistischen Aktivist*innen wurden eingetreten, Kinder und Familien traumatisiert.

Eine neue und ernste Gefahr

Von der Stürmung des Kapitols, dem Sitz des Parlaments in den USA, befeuert, sahen Rechtsradikale auch in Österreich die Gelegenheit zur Formierung einer faschistischen Straßenbewegung. Binnen weniger Wochen bugsierte sich die FPÖ an die Spitze der sogenannten „Corona-Spaziergänge“, die sich trotz Untersagung durch die Polizei und unter Anleitung von Neonazis wie Gottfried Küssel und den „Identitären“ zu Großdemonstrationen auswuchsen. Polizei und FPÖ gingen Hand in Hand, nicht nur auf der Straße, sondern auch gegen uns vor: Unser antifaschistischer Gegenprotest wurde untersagt und der FPÖ-Parlamentsklub unter Herbert Kickl klagte uns. Die türkise ÖVP bereitete mit ihrer Sündenbockpolitik von einem angeblich vom Westbalkan und aus der Türkei „eingeschleppten Virus“ den Boden für diese rechtsextreme Vereinnahmung der Corona-Proteste auf. Wir müssen gemeinsam gegen Rassismus und die zunehmende faschistische Bedrohung auf der Straße und im Parlament vorgehen.

Foto: Jolly Schwarz

Wir sind überzeugt davon, dass wir diese Herausforderungen meistern können und eine Abkehr von der Unmenschlichkeit möglich ist. Bündnisse und Organisationen griffen im letzten Jahr Antirassismus offensiv auf, neue Initiativen formierten sich.

Eine andere Welt ist möglich

Aus Black Lives Matter entstand das erste antirassistische Volksbegehren in Österreich, das Black Voices Volksbegehren. Die Aktivist*innen von Fridays for Future verankerten Klimagerechtigkeit in ihren Grundsätzen, das heißt die Anerkennung, dass gesellschafftliche Ungerechtigkeiten wie Rassismus die Klimakrise mit verursacht haben und sie verstärken. Der Initiative Courage – Mut zur Menschlichkeit um die Schauspielerin Katharina Stemberger sowie den Aktivist*innen, die unzählige Protest-Zeltlager an „Wochenenden für Moria/Lipa/Kara Tepe“ in ganz Österreich errichteten, gelang es, die Solidaritätsbewegung in breiten Teilen der Gesellschaft zu verankern. SOS Balkanroute konnte quer durch Österreich und Deutschland tonnenweise Hilfsgüter für Bosnien sammeln und damit den Menschen zumindest das Überleben sichern. Pfarren und Gemeinden sagten: Wir haben Platz! und verlangten, schutzsuchenden Menschen endlich helfen zu dürfen. Und Schüler*innen organisierten sich in Windeseile in neuen Vernetzungen wie Schulen gegen Abschiebungen und #jugendstehtauf.

Ja, wir mögen hier und dort unterschiedliche Zugänge haben oder politische Differenzen. Aber uns verbindet der Kampf für eine Welt ohne Rassismus, Unterdrückung und Kriege. Eine Welt, in der ein gutes Leben für alle, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Geschlecht möglich ist. Der motivierende Aufschwung der antirassistischen Momente im letzten Jahr trägt den Keim einer solchen Welt in sich. Bauen wir an einer mächtigen Bewegung des Aufbruchs und der Hoffnung und bringen wir dieses Pflänzchen zum Blühen!

Das Say it loud!-Magazin erscheint vierteljährlich und ist auf Protesten, über Sammelbestellungen (Empfehlung für Initiativen und Organisationen) und als Einzelabo erhältlich.