Aktivist_innen trafen sich am 1. und 2. März im Wiener Albert-Schweitzer-Haus zur Say it loud!-Widerstandskonferenz 2019. In zahlreichen spannenden Diskussionsveranstaltungen und Workshops tauschten Menschen aus der Zivilgesellschaft, NGOs und politischen Organisationen Erfahrungen aus und diskutierten gemeinsam Strategien für eine Welt ohne Rassismus, Diskriminierung und Ausbeutung.
Die Grüne Bildungswerkstatt Wien und die Plattform für eine menschliche Asylpolitik luden am 1. und 2. März zur ersten Say it loud-Widerstandskonferenz. Über 100 Menschen kamen aus Wien und den Bundesländern Salzburg, Vorarlberg, Steiermark, Oberösterreich und Niederösterreich zusammen. Die Idee war einen Ort der Vernetzung und des Austauschs zu schaffen und unsere gegenseitige Solidarität zu stärken und für die kommende Großdemonstration #aufstehn gegen Rassismus am 16. März zu mobilisieren.
Internationale Solidarität
Fiona Herzog von derSozialistischen Jugend Wien eröffnete die Konferenz: „Wir, die Plattform für eine menschliche Asylpolitik, schauen nicht zu. Wir sind die Zivilgesellschaft von unten. Wir können nicht warten, bis sich von oben etwas verändert!“
Bei der Eröffnungsveranstaltung „Gemeinsam widerständig – #aufstehn für eine solidarische Welt!“ zum transnationalen Migrant_innenstreik diskutierten Vertreter_innen von Protestbewegungen aus Österreich, Ungarn, Deutschland und dem Sudan. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Landtagsabgeordneten Faika El-Nagashi von der Grüne Bildungswerkstatt Wien.
Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, betonte in seinem Statement die Notwendigkeit, antirassistischen Widerstand gegen den Rechtsruck zu organisieren, aber nicht dabei stehen zu bleiben, und regte an: „Wirklich große revolutionäre Umbrüche in der Geschichte waren immer nicht nur gegen etwas, sondern auch für etwas. Wir müssen darüber reden, was unsere Erzählung, was unser Narrativ ist.“
Nora Berneis war Mitorganisatorin der Riesendemonstration #unteilbar in Berlin mit über 240.000 Menschen. Sie begeisterte die Anwesenden: „Die gemeinsame Forderung von #unteilbar war gegen die Diskriminierung, gegen den Rechtsruck und für eine solidarische Gesellschaft. Der große Protest war der erste große Schritt. Diese Demo hat uns so viel Mut gemacht.“ Ähnliche Massenproteste sind auch in Österreich nötig, wenn wir dem Rechtsruck entgegentreten wollen.
Journalistin und Autorin Ishraga Mustafa Hamid (Solidaritätsgruppe Sudan) übte scharfe Kritik an dem brutalen Vorgehen der sudanesischen Regierung gegen die Protestbewegung: „Viele Menschen sind jetzt in Haft, Frauen, Mädchen. 57 Menschen wurden umgebracht, 160 sind vermisst, über 5.000 Menschen wurden verletzt, 60 Prozent davon sind Frauen.“ Sie verlangte Solidarität aus den europäischen Ländern mit dem Widerstand im Sudan.
Der Soziologe und Aktivist Misetics Bálint gab einen Einblick in die Debatten der Bewegung in Ungarn: „Die Protestbewegung richtet sich gegen das ‚Sklavengesetz‘ und andere ökomische Themen wie ausreichende Gesundheitsversorgung, usw. Diese politische Strategie klingt angesichts der rechten Hegemonie vernünftig, lässt aber den rassistischen, fremdenfeindlichen Diskurs aus. Das ist ein großes Dilemma.“
Einig waren sich die Diskutant_innen auf der Widerstandskonferenz, dass eben die antirassistischen Kämpfe mit den sozialen Bewegungen untrennbar miteinander verbunden sind und zusammengeführt werden müssen. Der erste Tag endete mit einem regen Austausch und einem Auftritt des Rappers Kid Pex.
Ideengeberinnen
Der zweite Tagungstag begann mit zwei Inputreden. Autorin und Schriftstellerin Susanne Scholl von den Omas gegen Rechts erinnerte daran, dass Zivilgesellschaft mehr als bloß Organisationen sind: „Überall gibt es Menschen in den Dörfern und kleineren Städten, die das machen, was notwendig ist. Sie versuchen ein humanistisches, tolerantes, nicht gebundenes Leben zu führen und sich gegenseitig zu helfen.“
Shams Asadi, Menschenrechtsbeauftragte der Stadt Wien, sprach den Teilnehmenden Mut zu: „Say it loud ist gerade jetzt wichtig, wenn man hört, dass die Politik wieder über dem Recht stehen soll, oder den Debatten um das neue Sicherheitspaket oder um die ‚Sicherungshaft‘ verfolgt. Alle diese Themen gehen in Richtung Polizeistaat. Diese Entwicklung müssen wir in Österreich verhindern!“
Bei einer „Initiativenstraße“ konnten sich die Konferenzteilnehmenden über eine Vielzahl an Organisationen informieren. Mit dabei waren: Flüchtlinge Willkommen, Verein Flüchtlingsprojekt Ute Bock, Arbeiter-Samariter-Bund Wien, UNDOK, Linkswende jetzt, Volkshilfe Österreich, Amnesty International, Sozialistische Jugend Wien, Grüne Bildungswerkstatt Wien, Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus, ankommen in wien, SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik, Diakonie Flüchtlingsdienst, Omas gegen Rechts, 20000frauen, System Change, not Climate Change! und #aufstehn.
Workshops für eine solidarische Welt
Nach einer Mittagspause ging es in einen der vier Workshops.
- Johanna Morandell von der österreichischen Initiative #aufstehn und Nora Berneis von #unteilbar aus Deutschland organisierten einen länderübergreifenden Workshop zum Thema „Widerstand mobilisieren – im Netz und auf der Straße“.
- Faika El-Nagashi (Die Grünen Wien) und Faris Cuchi Gezahegn (Afro Rainbow Austria), beide aktiv bei #nichtmituns, diskutierten „antirassistische Solidarität und politische Sichtbarkeit“.
- Nadine Versell und Emilia Linton-Kubelka von System Change, not Climate Change! argumentierten, dass echte Klimagerechtigkeit offene Grenzen voraussetzt. Und im vierten Workshop der Plattform für eine menschliche Asylpolitik wurden verschieden Widerstandsformen und Strategien debattiert.
Schlussveranstaltung #aufstehn gegen Rassismus
In der Schlussrunde gaben Aktivist_innen aus unterschiedlichen Zusammenhängen noch einmal viel Kraft für die kommenden Kämpfe, insbesondere die Großdemo „#aufstehn gegen Rassismus!“ im Rahmen des UN-Tages gegen Rassismus.
Johanna Morandell von #aufstehn rief auf, zum Protest zu kommen: „Zeigen wir der österreichischen Regierung ganz klar, dass wir uns nicht spalten lassen und gemeinsam für ein solidarisches Miteinander aufstehen.“
Faris Cuchi Gezahegn von Afro Rainbow Austria sprach für die Initiative #nichtmituns. Er benannte das „Racial profiling“ der Polizei als „Terrorismus gegen Black People und People of Colour durch den Staat“ und legte den Teilnehmenden einen afrikanisches Sprichwort ans Herz: „Wenn du schnell sein möchtest, gehe alleine. Wenn du weit kommen möchtest, gehe gemeinsam.“
Nadine Versell von System Change, not Climate Change! forderte einen radikalen Systemwandel angesichts der Klimakrise und griff die Regierung scharf für ihre Klimapolitik und ihre Angriffe auf die Demokratie als „autoritär-faschistische Schiene“ an: „Ein gutes Leben für alle bedeutet auch offene Grenzen. Wir müssen Verhältnisse schaffen, in denen ein solidarisches und demokratisches Miteinander zur Normalität wird.“
Nasir Ahmad Ahmadi vom Afghanischen Sport- und Kulturverein Neuer Start kritisierte die Regierung und die Massenmedien, dass sie gezielt negative Bilder von geflüchteten Menschen erzeugen: „Wenn etwas Schlechtes passiert ist, wird das im Internet und den Medien auf und ab gespielt. Aber wenn ein Afghane etwas Gutes tut, hört man nichts.“ Diese Stimmungsmache führe zur Angst unter den Jugendlichen. Ahmadi appellierte: „Ich wünsche mir, dass wir zusammenarbeiten, dieses Image zu verändern.“
Axel Magnus von den SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik rief zum Sturz der Regierung auf. Das geht aber nur dann, wenn wir uns gegen Rassismus stellen: „Lasst uns beginnen, diese Spaltungen zu überwinden, sonst haben wir keine Chance.“
Naomi Afia Günes-Schneider vom Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft berichtete, dass verstärkt seit 2014 „sichtbare Muslim_innen, und von ihnen vor allem Frauen“, die rassistische Stimmungsmache und Gesetze „tattäglich zu spüren bekommen“. Sie forderte Solidarität ein: „Wir müssen füreinander einstehen. Lasst uns einander zuhören und eine Stimme geben!“
Moderiert wurde die Abschlussveranstaltung von David Albrich (Linkswende jetzt), Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. „Gerade in einer Zeit, in der permanent gegen Geflüchtete, Musliminnen und Muslime und andere Gruppen gehetzt wird, ist es wichtig, dass wir aufstehen und laut sagen: Nein, wir ziehen hier eine rote Linie ein.“
Ein besonderer Dank gebührt dem Albert-Schweitzer-Haus, dem Organisationsteam und den vielen Aktivist_innen, die sich an den Diskussionen beteiligt haben und auch eifrig für die kommenden Proteste gespendet haben – es konnten über 370 Euro gesammelt werden.