Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch


Foto: Christopher Glanzl

Wir müssen über ein Rassismus-Problem sprechen. Rechte Politiker:innen und manche Journalist:innen nutzen den Krieg in der Ukraine, um Muslim:innen, Schwarze Menschen und People of Colour (BPOC) und Schutzsuchende aus anderen Ländern zu diskriminieren. Sie stellen ukrainische „Frauen und Kindern“, die als „Nachbarn“ zu uns kommen und dem westlichen „Wertesystem“ entsprechen, „jungen Männern“ aus angeblich rückständigen, muslimischen Teilen der Welt gegenüber. Antirassist:innen lehnen diese zunehmende rassistische Trennung in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete ab. Wir sollten uns auf einen längeren Kampf einstellen.

von David Albrich

Rassistische Gewalt und Schikanen gegen aus der Ukraine flüchtende Drittstaatsangehörige schockierten die Welt. Grenzbeamte hinderten Studierende aus afrikanischen Staaten, Indien und dem Jemen mit teilweiser roher Gewalt auf ihrer Flucht, die Grenze in Sicherheit zu überschreiten. Beamt:innen und Soldat:innen beschimpften Muslim:innen, Schwarze Menschen und People of Color (BPOC) sowie Sinti:zze und Rom:nja, während diese hungernd und bei frostiger Kälte im Freien ausharren mussten. Ein ZDF-Korrespondent berichtete über „mehrere hundert“ Menschen, die an der polnisch-ukrainischen Grenze abgesondert wurden, und deutete diese als „muslimisch aussehende Männer“, die möglicherweise auf „einer neuen Flüchtlingsroute durch das Kriegsland Ukraine“ wären. Der Kampf über die Deutungshoheit des Wortes „Flüchtling“ ist in vollem Gang.

Inmitten des Bomben- und Raketenhagels im russischen Angriffskriegs verstärken rechte Politiker:innen und Teile der Medien den Rassismus und versuchen die Debatte darüber zu prägen, wer in den westlichen Staaten willkommen ist und wer nicht. So bezeichnete eine NSBC-Journalistin ukrainische Geflüchtete als ausschließlich „weiße Christen“. Anders als Menschen aus dem „Irak oder Afghanistan“ wären diese „zivilisiert“, so ein CBS-Reporter. Im Gegensatz zu Flüchtenden aus dem Nahen Osten und Nordafrika seien sie Teil der „wohlhabenden Mittelklasse“, verklärte Al Jazeera-Moderator Peter Dobbie die Flüchtenden. Der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt der Ukraine, David Sakvarelidze, sprach im BBC-Interview von „ukrainischen Menschen mit blauen Augen und blondem Haar“, die vor Putins Raketen Schutz suchen würden. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb: „Es sind dieses mal echte Flüchtlinge.“

Rassistischer „Kulturkampf“

Der bulgarische Ministerpräsident und Unternehmer Kiril Petkov idealisierte die Flüchtenden aus der Ukraine als „intelligent“ und „gebildet“, und meinte, dies unterscheide die aktuelle Situation von früheren „Flüchtlingswellen“, in denen Menschen kamen, die sogar „Terroristen“ werden könnten. Der rechtsradikale französische Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour begrüßte die „christlichen Europäer“ aus der Ukraine, die von „arabischen oder muslimischen Einwanderer“ zu unterscheiden wären. Genauso unterschied der Chef der rechtsextremen Partei VOX im Spanischen Staat, Santiago Abascal, zwischen „Frauen, Kinder und ältere Menschen, die in Europa willkommen geheißen werden sollten“ und der „Invasion von jungen Männern im militärischen Alter muslimischer Herkunft“ aus früheren Jahren, die „an die Grenzen Europas geschickt wurden, um es zu destabilisieren und zu kolonisieren.“

Im Nachbarland Deutschland spaltet der bayerische CSU-Innenminister Joachim Herrmann zwischen Menschen „aus dem europäischen Kulturkreis“ und „ungebildeten“ Menschen, die 2015 nach Europa geflüchtet sind. In Österreich bediente sich die Regierung der gleichen rassistischen Rhetorik. Bundeskanzler Karl Nehammer separierte im Ministerrat zwischen „Europäerinnen und Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz brauchen“ und „klassischen Flüchtlingen“. In der Präsentation zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Aufnahme von aus der Ukraine Flüchtenden sprachen ÖVP-Integrations-, Arbeits- und Bildungsminister unisono „Vertriebenen“ und strichen das Wort „Flüchtling“ überhaupt aus dem Wortschatz. Integrationsministerin Raab unterschied zwischen „anderen Flucht-Zuwanderungen“ wie Syrien und Afghanistan, wo die Menschen auch bestimmte „Integrationspflichten“ zu erfüllen hätten, und ukrainischen Staatsangehörigen „in unmittelbarer Nachbarschaft“.

Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung, drückte hierzulande den rassistischen Spin am klarsten aus: „Damals kamen in großer Zahl junge Männer und forderten mit ihren Prägungen, Frauenbildern und Vorstellungen von Religion und Staat allzu oft die Standards des Landes heraus. Ungesteuerter Zustrom weckte Ängste, eine Gesellschaft könnte ihre innere Kohärenz verlieren und sich ihrer selbst entfremden. Kulturelle Konflikte am Arbeitsplatz oder in Schulen wurden verschwiegen und vom schönen Lied der Willkommenskultur übertönt […] Es kommen keine jungen Männer, mit der Absicht, auf Dauer hierzubleiben. Es kommen traumatisierte Mütter, um ihre verstörten Kinder vor der Kriegshölle in Sicherheit zu bringen. […] Es kommen Nachbarn in Not. Das ist ein Unterschied, der keine Rechtfertigung erfordert.“

Krieg ist Krieg

Doch, Herr Patterer, es erfordert eine Rechtfertigung. Wir widersprechen. Wo ist der Unterschied zwischen Studierenden aus Kamerun, einer ukrainischen Mutter mit ihren Kindern oder bereits Asylberechtigten aus Belarus, die alle in Charkiw festsitzen und alle vor den gleichen Menschenrechtsverbrechen Putins Schutz suchen? Wo der Unterschied zu einer syrischen Familie in einem Flüchtlingslager auf Lesbos, die vor Putins Cluster-, Brand- und Fassbomben geflüchtet sind? Wo der Unterschied zu Afghan:innen an der bosnisch-kroatischen Grenze, die seit 40 Jahren von sowjetischen und westlichen Bomben und nun wieder vom Terror der Taliban aus ihrer Heimat vertrieben werden? Wo der Unterschied zu einer irakischen Familie, die an der Grenze zwischen Polen und Belarus festsitzt, auf der Flucht vor den verheerenden Verwüstung in den Golfkriegen und der US-amerikanischen Besatzung mit Millionen Toten?

Das Menschenrecht auf Schutz vor Verfolgung ist universal. Es gilt für alle Menschen, oder für niemanden. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik hat bereits zusammen mit über 120 NGOs und Initiativen und über 10.000 Einzelpersonen über #aufstehn einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben, in der die Unterzeichnenden vor einem „Zwei-Klassen-Asylsystem“ und der Diskriminierung von Schutzsuchenden warnen. Es ist die gemeinsame Aufgabe der antirassistischen Bewegung, der freiwilligen Helfer:innen und großen NGOs, der Spaltung in „gute“ und „schlechte“ Flüchtende mutig, entschlossen und lautstark entgegenzutreten. Dafür gehen wir am Freitag, 18. März, zum internationalen Tag gegen Rassismus, auf die Straße. Denn Krieg ist Krieg und Mensch ist Mensch. Bomben unterscheiden nicht zwischen Hautfarbe, Religion oder Staatszugehörigkeit.