Weil die Regierung bisher keine einzige Empfehlung der Kindeswohlkommission berücksichtigt hat, gründen Mitglieder nun das Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“.
von Angelika Koller
Zum ersten Jahrestag der Einsetzung der Kindeswohlkommission wurde der dreizehnjährige Husein S. nach Aserbaidschan abgeschoben. Festgehalten im Abschiebezentrum wurde dem Jungen untersagt zu weinen. Von seinen Freund*innen konnte er sich nicht verabschieden. In Aserbaidschan versucht Husein nun, an dem Schulunterricht in Österreich via Distance-Learning teilzunehmen.
Die Situation erinnert an die Abschiebung der damals 12-jährigen Tina und ihrer kleinen Schwester nach Georgien, die die Gründung der Kindeswohlkommission unter Leitung von Irmgard Griss veranlasste. Bereits im Sommer 2021 legte die Expert*innenkommission einen Bericht vor, der klar besagt: Kinderrechte werden bei Abschiebungen nur unzureichend gewürdigt. Trotz der vielen festgestellten Missstände fand bisher keine Änderung im Umgang mit Kindern im Asyl- und Fremdenrecht statt. Kinderrechte und das Kindeswohl werden Griss zufolge „offenkundig mit Füßen getreten“.
Kindeswohl nicht berücksichtigt
Weil keine der Empfehlungen der Kommission umgesetzt wurden, gründeten einige der Mitglieder nun das Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“. Mit dabei sind Universitätsprofessor Ernst Berger, der Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs, Sinaida Horvath von der Refugee Law Clinic der Universität Wien sowie Katharina Glawischnig von der Asylkoordination Österreich. Die Plattform leistet zivilgesellschaftliches Monitoring im Asyl- und Fremdenrechtsbereich und möchte politischen Druck auf Regierende ausüben. Kinderschutz muss im Asylwesen institutionalisiert und im Verfassungsrang beachtet werden.
Abschiebungen sind traumatische Ereignisse, Kindern werden seelische Verletzungen zugefügt, die Spätfolgen sind nicht abzuschätzen. Nicht nur das gewohnte soziale und gesellschaftliche Umfeld wird entrissen, die Zukunftspläne und Perspektiven werden mit einer Entscheidung zerstört. Kinderpsychiater Ernst Berger untermauert die Missstände bei der Präsentation des Bündnisses: „Die Priorität des Kindeswohls ist zwar in der Verfassung angekommen, nicht aber in der Lebensrealität von Kindern und schon gar nicht bei Kindern aus Migrantenfamilien oder Fluchtwaisen.“
„Hoffe, dass Kinderabschiebungen verboten werden“
In Österreich lebende Kinder vermissen ihre Freund*innen und Mitschüler*innen und verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat. Bereits im letzten Jahr formierten sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Bewegungen wie #JugendStehtAuf oder #SchulenGegenAbschiebungen gegen die menschenverachtenden Abschiebungspolitik.
Tina, die die Auswirkungen ihrer Abschiebung nun täglich spürt, sagt zur Plattform für eine menschliche Asylpolitik:
„Ich wünsche es wirklich keinem, was ich und meine Familie erleben mussten. Das war eine sehr, sehr schwierige Zeit für uns. Ich hoffe, Politiker werden sich dafür einsetzen, dass Kinderabschiebungen verboten werden. Das kann man Kindern einfach nicht antun, so ein Leben. Man lebt sein Leben und auf einmal wird erwartet, dass man in einem anderen Land weiterlebt wo man die Leute nicht kennt, keine Freunde hat und die Sprache nicht versteht. So etwas darf man Kindern nicht antun. Wenn man etwas kennt und sich daran gewöhnt hat, das ist wie bei Kleinkindern: wenn man ein Kuscheltier, es weggenommen und durch ein anderes ersetzt wird, dann sind die auch nicht zufrieden, weil sie das andere kennen und damit immer gespielt haben, oder gekuschelt, geschlafen haben. Und dann gibt man ihnen ein anderes und sagt: ‚Ja hey, das ist doch quasi dasselbe.‘ Und das ist eigentlich nicht so, weil das ist was ganz anderes.“
Liebe Tina, wir stimmen dir zu: Wir müssen Kinderabschiebungen jetzt stoppen! Die Gründung des neuen Bündnisses ist ein wichtiger Schritt, um dem Kindeswohl zu seinem Recht zu verhelfen.