Offener Brief: Muslim* Contemporary und Solidarische wehren sich gegen rassistischen Diffamierungsversuch


Foto: Minitta Kandlbauer

Kurz vor Weihnachten 2021 versuchte die türkise Wiener ÖVP die Kunstausstellung Muslim*Contempory mit widerlichen rassistischen Unterstellungen, Zuschreibungen und Kampfbegriffen wie „politischer Islam“ zu diskreditieren. Die Ausstellung, die bereits im November an der Akademie der Bildenden Künste gezeigt wurde, behandelte die rassistische Polizeiaktion „Operation Luxor“. Damit dürfte die ÖVP offenbar ein Problem haben. Wir erklären uns solidarisch und drucken den offenen Brief der Initiator*innen, der von zahlreichen Kulturinstitutionen und Interessensvertretungen mit unterzeichnet wurde, an dieser Stelle ab.

Von 8. bis 12. November 2021 fand an der Akademie der bildenden Künste in Wien zum ersten Mal die multidisziplinäre, anti-rassistische und feministische Ausstellung Muslim* Contemporary (1) statt. Die Ausstellung mit unterschiedlichen künstlerischen und vermittelnden Formaten bot muslimischen und muslimisch gelesenen Künstler:innen(2) sowie allen dialoginteressierten Menschen einen Raum, die Rolle ihrer Partizipation in der österreichischen Gesellschaft und ihre Alltagserfahrungen mit künstlerischen Mitteln auszuverhandeln. Für die Teilnehmenden war es ein Raum des künstlerischen Austauschs, der Bestärkung, des Dialogs und des Lernens.

Mit Muslim* Contemporary wurde nicht nur ein inklusiver Raum geschaffen, sondern auch ein kritischer. Die Ausstellung fand zum ersten Jahrestag der „Operation Luxor“ statt und behandelte diese größte polizeiliche Aktion der Nachkriegszeit mit den Mitteln der Kunst und des Dialogs aus der Perspektive der Betroffenen. Teile der „Operation Luxor“ wurde mittlerweile vom Oberlandesgericht Graz für rechtswidrig erklärt und das harte und überschießende Vorgehen der Exekutive scharf kritisiert.(3) Viele polizeiliche Maßnahmen wurden per Gericht aufgehoben. Maßgeblich beteiligt an der Operation war das unter dem Einfluss der ÖVP stehende ehemalige BVT (Innenministerium). (4)

Am 20. Dezember stellten nun die beiden ÖVP-Gemeinderätinnen Laura Sachslehner und Caroline Hungerländer als Reaktion auf die Ausstellung eine schriftliche Anfrage im Gemeinderat.(5) Ihre darin geäußerten Vorwürfe sehen von jedweder Auseinandersetzung mit den künstlerischen Arbeiten ab. Stattdessen werfen sie den involvierten Künstler:innen vor, schon durch das bloße Sprechen über den Rassismus, den sie tagtäglich als Muslim:innen erfahren, ein „Narrativ des politischen Islam“ zu übernehmen. Außerdem, so der Vorwurf, wäre die Beziehung einiger Künstlerinnen zur Muslimischen Jugend Österreich ein weiteres Indiz für ihr angebliches „Naheverhältnis zum politischen Islam”. Die Muslimische Jugend Österreich, die mit Projekten wie „MuslimInnen gegen Antisemitismus” für ihre feministische und kritische Arbeit bekannt ist, wird also ebenfalls angegriffen. Hierbei bezieht sich die ÖVP-Anfrage auf einen Bericht der „Dokumentationsstelle Politischer Islam”, die 2020 unter türkis-grün eingesetzt wurde und deren Arbeit seither immer wieder heftig kritisiert wird (beispielsweise die unrühmliche “Islam-Landkarte”(6), die international für Empörung sorgte).

Wir weisen diese Argumentation der ÖVP aufs Schärfste zurück und möchten mit großer Sorge auf diesen ÖVP-Angriff auf Kunstfreiheit und die muslimische Zivilgesellschaft aufmerksam machen. In ihren Vorwürfen nimmt die ÖVP-Anfrage weder auf die künstlerische Arbeit noch auf den Inhalt der Ausstellung Bezug.

Wovor anerkannte Expert:innen gewarnt haben(7), scheint jetzt einzutreten: Der vage Begriff „politischer Islam“ wird abermals von der ÖVP instrumentalisiert, um Muslim:innen und rassismuskritische Stimmen anzugreifen, einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Künstler:innen of Color, die (teils rechtswidrige) ÖVP-Rechtspolitik kritisieren und künstlerisch den Rassismus verarbeiten, den sie tagtäglich erleben, wird in verschwörungstheoretischer Manier „ein Naheverhältnis zum politischen Islam“ unterstellt. Diese Vorwürfe erinnern an den rechtskonservativen Diskurs des Links-Islamismus (Islamo-Gauchisme), wie wir ihn aus Frankreich kennen, der sich gegen verschiedene Formen anti-rassistischer, postkolonialer oder feministischer Kritik richtet.

Weiters unterstellt die ÖVP-Anfrage den beiden Politikerinnen Mireille Ngosso (SPÖ) und Faika El-Nagashi (Die Grünen)  auf Basis einer ebenso fragwürdigen Schlussfolgerung „linksextreme Gewaltbereitschaft“. Auf einem Foto, das bei der Ausstellung entstanden ist, seien die beiden mit erhobener Faust abgebildet. Wie weithin bekannt, ist die erhobene Faust unter anderem ein etabliertes Zeichen für anti-rassistische Bestrebungen für die Rechte und Gleichbehandlung Schwarzer Menschen. Die ÖVP-Vorwürfe zeugen von Unwissenheit und sind so wild zusammengewürfelt, dass der Eindruck entsteht, die ÖVP konstruiere Vorwürfe, um anti-rassistische, feministische, kritische Stimmen zu diskreditieren und einzuschüchtern.

Zudem kann das Verhalten der ÖVP anti-rassistischen und feministischen Nachwuchskünstler:innen of Color die finanzielle Grundlage für ihre Arbeit entziehen. Durch die Anfrage und die haltlosen darin geäußerten Vorwürfe entsteht nicht zuletzt ein administrativer Mehraufwand. Diese politische Strategie, um kritische Stimmen, die sich gegen Rechtspolitik stellen, mit den Mitteln der Bürokratie mundtot zu machen, kennen wir bereits von der FPÖ und wendet auch die vom deutschen Verfassungsschutz als „Rechtsextremismus-Verdachtsfall“ eingestufte(8) AfD in Deutschland seit Jahren an.(9) Ob ein künstlerisches Projekt förderwürdig und qualitativ hochwertig ist, haben nicht politische Parteien, sondern etablierte Künstler:innen und Kunstinstitutionen zu entscheiden.

Wir sehen in diesem Manöver der ÖVP daher den Versuch, die Freiheit der Kunst und Meinungsfreiheit einzuschränken. 

Muslim* Contemporary war ein Raum, in dem mit künstlerischen Mitteln Fragen von Diskriminierung, Repräsentation und Teilhabe diskutiert und kritisch reflektiert wurden. Außerdem hieß die Ausstellung Menschen willkommen, denen der Zugang zu etablierten Kulturinstitutionen aufgrund struktureller Diskriminierung oftmals erschwert wird. Trotz dieser Signifikanz war es verglichen mit anderen Kunstausstellungen in Wien eine kleine Veranstaltung, die ganz wesentlich von ehrenamtlichem Engagement getragen wurde. Wir nehmen es daher als besonders alarmierend wahr, dass diese kleine, aber kritische Kunstausstellung von  ÖVP-Politikerinnen mit so zweifelhaften und schwerwiegenden Vorwürfen angegriffen wird.

Unsere Frage an die ÖVP lautet daher: Nutzt die ÖVP die neu eingesetzte „Dokumentationsstelle politischer Islam“ um zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die ÖVP-Politik kritisieren, einzuschüchtern, um anti-muslimische Rassismen in der Gesellschaft zu verstärken, und um Künstler:innen die Förderwürdigkeit abzusprechen sowie Bürger:innen zu diskreditieren? 

Da bei uns dieser Eindruck entstanden ist, verstehen wir die ÖVP-Anfrage nicht nur als Angriff auf Künstler:innen, die muslimische Zivilgesellschaft sowie Politikerinnen of Color, sondern zudem als schwerwiegenden Angriff auf die Kunstfreiheit und kritische Stimmen ganz allgemein. 

Wien, 8. Februar 2022

Verfasserinnen des Briefes:

Asma Aiad – Kuratorin von Muslim*Contemporary, Künstlerin, Aktivistin
Anahita Neghabat – Sozialwissenschaftlerin und Künstlerin
Dr.in Mireille Ngosso – Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin SPÖ Wien

Dieser offene Brief wurde bereits gezeichnet von:

Mag. Dr. Johan Frederik Hartle – Rektor, Akademie der bildenden Künste WienMag.a Dr.in

Ingeborg Erhart – Vizerektorin für Kunst und Lehre, Akademie der bildenden Künste Wien

Prof.in. Dr.in Marina Gržinić – Professorin am Institut für bildende Kunst, Akademie der bildenden Künste Wien
Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović (WHW) – Direktorinnen der Kunsthalle Wien

Ricarda Denzer – Künstlerin, im Vorstand der Secession, Lehrende an der Universität für Angewandte Kunst

Esma Bošnjaković – Künstlerin

Judith Rohrmoser – Künstlerin

Tobias Herzberg – Universitätsassistent, Universität für angewandte Kunst Wien

Mag.iur Anna Steiger – Vizerektorin für Personal & Gender TU Wien

Peter Wesely – Journalist, Pressereferent, Verein Wirtschaft für Integration

Muslimische Jugend Österreich

Dr. Bernhard Lauxmann – Universitätsassistent post.doc, Universität Wien, Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie

Univ.-Prof. Mag. PhD. Elke Krasny – Professorin am Institut für das künstlerische Lehramt, Akademie der bildenden Künste Wien

Luisa Ziaja – Kuratorin für zeitgenössische Kunst, Belvedere21 Wien

Prof. Farid Hafez – Visiting Professor of International Studies, Williams College

Mag. Andreas Ferus, MSc – Leiter Universitätsbibliothek, Akademie der bildenden Künste Wien

Jo Schmeiser – Regisseurin, Universität für Angewandte Kunst / Abteilung Kunst und Kommunikative Praxis

Cocon – Verein zur Entwicklung und Umsetzung von Kunstprojekten

Petra Poelzl – Künstlerische Leiterin & Geschäftsleiterin, Kunstpavillon & Neue Galerie Innsbruck

Tiroler Künstler:innenschaft

Vorstand Frauen*Volksbegehren

Michael Strasser – Künstler, Vorstandsmitglied Tiroler Künstler:innenschaft

Karl Öllinger – Abgeordneter zum Nationalrat a.D. (die Grünen)

Rikki Reinwein – Präsidentin der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs -Zentralverband

Univ.-Prof. Mag. Dr. Elke Gaugele – Professorin im Fachbereich Moden und Styles, Akademie der bildenden Künste Wien

Natascha Strobl – Politikwissenschaftlerin

Marlene Engel – Musikdramaturgin Volksbühne Berlin

ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit

Arts Rights Justice Austria

Team ausARTen – Perspektivwechsel durch Kunst aus München

Gabi Gerbasits – IG Kultur Österreich

Carla Bobadilla und Almut Rink – Vorsitzende IG Bildende Kunst 

Daniela Koweindl – Kulturpolitische Sprecherin, IG Bildende Kunst

IG Kultur Wien

IG freie Theaterarbeit

Sozialistische Jugend Österreich

Brunnenpassage

Salam Oida – Verein zur Förderung von Vielfalt in Kunst und Kultur 

kulturen in bewegung

Galina Baeva – Obfrau Verein oca: migrations, minorities, arts

D/Arts

Sheri Avraham – D/Arts Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog

Sophie Lingg – Universitätsassistentin, Fachbereich Kunst und Bildung, Akademie der bildenden Künste Wien

Judeobolschewiener*innen

Natalie Ananda Assmann – Theaterschaffende und Kuratorin

Larissa Felicitas Huber – Queer Feministisches Referat der ÖH, Akademie der bildenden Künste Wien

Elisabeth Lechner – Kulturwissenschaftlerin

Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreich (VBKÖ)

Mag. Dr. Bernhard Lauxmann – Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie, Uni Wien

Dr. Benjamin Opratko – Post-Doc Researcher, Uni Wien

Muhammet Ali Baş – Kulturvermittler und Autor

Calimaat – Künstler

Dr. Cornelia Kogoj – Initiative Minderheiten

Black Voices – Anti-Rassismus Volksbegehren

Andreas Peham, Rechtsextremismusforscher

Kollektiv un_gefragt

Maria Anna Kollmann, Dachverband der Filmschaffenden

Kulturrat Österreich

ASSITEJ Austria – Junges Theater Österreich

Evelyn Shi , Landesvorsitzende Junos Wien

Yousef Hasan , Stellvertretender Landesvorsitzender Junos Wien 


(1) Zur Muslim* Contemporary Website: https://bit.ly/3H6zxdm
(2) „Muslimisch gelesen“ bedeutet, dass manche Menschen, unabhängig von ihrer eigenen Identifikation, von anderen als Muslim*innen wahrgenommen werden.
(3) Kritik an der „Operation Luxor”: https://bit.ly/3H5rQnJ
(4) Zusammenfassung der Ereignisse rund um „Operation Luxor”: https://bit.ly/349gZdQ
(5) Schriftliche ÖVP-Anfrage: https://bit.ly/3494XBe
(6) Zur “Islam-Landkarte” des Integrationsministeriums: https://bit.ly/3AMusoj
(7 )Zwei ausführliche Kritiken: 1) https://bit.ly/3rSQ8Ly 2) https://bit.ly/3G334Dm
(8) Zur Einstufung der AfD als rechtsextrem: https://bit.ly/3G1gWOM
(9) Mehr Information zu dieser rechtspolitischen Strategie: 1) https://bit.ly/3tZICRC 2) https://bit.ly/35qnVnKCopy