Rund 70 Gäste kamen am 28. Februar zur Podiumsdiskussion „Klimaschutz. Menschenrechte. Solidarische Zukunft.“ der Plattform für eine menschliche Asylpolitik in Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt Wien ins Depot in Wien. Die aktuelle politische Situation und Strategien der Zivilgesellschaft diskutierten unter anderem Vertreter_innen von SOS Mitmensch, Fridays for Future Wien, Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus, SOS Balkanroute und der Asylkoordination Österreich.
Die Zivilgesellschaft in Österreich steht mit der Klimakrise, den andauernden Angriffen auf die Menschenrechte und der grünen Regierungsbeteiligung vor großen Herausforderungen. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik, ein breiter Zusammenschluss aus vielen NGOs, politischen Organisationen und Einzelpersonen lud am 28. Februar 2020 in Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt Wien (GBW) ins Wiener Depot. Eröffnet wurde die Veranstaltung von der grünen Nationalratsabgeordnete Faika El-Nagashi für die GBW, Judith Ranftler von der Volkshilfe Österreich führte durch den Abend.
Viel Türkis-Blau
Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, betonte in seiner Analyse des Regierungsprogramms eingangs, dass ihm bereits vor den Koalitionsverhandlungen klar war, dass in der Konstellation aus Grünen und ÖVP „keinesfalls das Beste aus beiden Welten“ kommen könne, was sich schließlich bestätigt hätte. Insgesamt sei Pollak „eher enttäuscht“.
Er verwies auch auf den gerade erst präsentierten Bericht über antimuslimischen Rassismus in der Spitzenpolitik. „In Türkis-Grün befindet sich sehr, sehr viel Türkis-Blau“, fasste Pollak die ausführliche Analyse des Programms zusammen, mitunter sieht er sogar Rückschritte im Bereich Asyl und Menschenrechte.
Umsetzungen fehlen
Matthias Hübner von Fridays for Future Wien fand positiv, dass sich die Regierung zum Pariser Klimaabkommen und zum Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, bekennt, äußerste sich aber skeptisch, ob dann auch tatsächlich alles umgesetzt werde, was man sich vorgenommen hat. Katrin Seifried, auch von Fridays for Future Wien, betonte, dass man Klimaschutz nicht ohne Menschenrechte denken kann. Sie sieht beim Klimaschutz der Regierung viel Engagement und Willen, aber auch ebenfalls wenige konkrete Umsetzungen.
Visionen entwickeln
Skeptisch äußerte sich Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der Asylkoordination Österreich. Ausgerechnet am Tag der Veranstaltung wurden die Verträge zur Rechtsberatung für Asylwerber_innen mit den NGOs gekündigt und der Weg für die staatliche Bundesagentur für Betreuung und Unterstützungsleistungen BBU) geebnet. Vonseiten der Zuständigen hätte man gesagt, das Thema nicht zu stark zu thematisieren, weil es sonst ein großes Problem in der Öffentlichkeit geworden wäre. Gahleitner Gertz dazu: „Ja, klar, wenn wir nichts gesagt hätten, hätte sich auch nichts geändert.“
Seit dreißig Jahren könne man Verschlechterungen im Asylbereich beobachten. „Stillhalten hilft nicht. Wir müssen lauter werden“, appellierte Gahleitner-Gertz. „Wir dürfen nicht Angst haben, dass die Rechten unser Lautsein gegen uns verwenden. Das machen sie sowieso. Wir brauchen wieder mehr Mut.“ Widerstand sei wichtig, aber es ginge um mehr. Wir müssten aus dem reinen Dagegenhalten herauskommen und wie in der Klimafrage eine Vision im Bereich Asyl und Menschenrechte entwickeln und dafür brennen.
Schande von Europa
Petar Rosandic, bekannt als Rapper Kid Pex, berichtete über die Arbeit von SOS Balkanroute, gerade einmal 280 Kilometer von Österreich entfernt. Die Initiative organisierte in den letzten Monaten wie ein „Feuerlöscher“ das Grundlegendste für die an der bosnisch-kroatischen Grenze gestrandeten Flüchtlinge: Nahrung, Unterkünfte, Wärme, soziale Kontakte. „Hier sieht man das wahre Gesicht der ‚Festung Europa‘. Menschen kommen geschlagen von der Grenze zurück“, erzählte Rosandic.
Er dankte den Nationalratsabgeordeten Faika El-Nagashi (Grüne) und Nurten Yilmaz (SPÖ) für die Unterstützung. Aber er kritisierte auch, dass die schrecklichen Bilder bei uns noch immer nicht richtig angekommen seien. „Ihr Elend ist auch unser Elend“, sagte Rosandic. Der Spalt zwischen den Visionen im Klimaschutz und dem Elend bei Menschenrechten sei unerträglich. Aber die „Nachbar in Not-Mentalität“, wie Rosandic sie in den 1990er-Jahren in Österreich kennengelernt habe, sei noch nicht tot. Dieses menschliche Gesicht gelte es wieder sichtbar zu machen und zu stärken.
Rassismus benennen
Den Bogen zwischen der antirassistischen Bewegung und der Klimabewegung spannte Ümmü Selime Türe von der Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus über den Begriff der „Klimagerechtigkeit“. Im Klimaschutz gelte es zunächst eine globale Perspektive einzunehmen, und die Entwicklung des Kapitalismus und der Industrialisierung zu berücksichtigen: Während den Menschen im globalen Süden die Existenzgrundlage zerstörte wurde und werde, sorgte der Norden für den höchsten CO2-Ausstoß.
Menschen müssten vor den Auswirkungen der Klimaveränderungen flüchten, aber dann schließe man die Grenzen. Dieser Rassismus habe System, kritisierte Türe. „Menschen werden entmenschlicht, wenn sie als Flüchtlingswelle oder als kollektive Banden beschrieben und sie nicht als Individuen gesehen werden. Menschen werden ausgegrenzt, weil sie die falsche Hautfarbe, den falschen Namen oder die falsche Religionszugehörigkeit haben“. Dann hieße es, sie seien „nicht integrierbar“.
Türe bestand darauf, das Problem Rassismus zu benennen, dies sei bei antimuslimischen Rassismus bis heute noch nicht klar, und verwies auf den jährlichen Report (2018) der Dokustelle. Sie appellierte: „Antirassismus bedeutet den Betroffenen zuhören und so gemeinsam am selben Strang ziehen.“
Sagen, was ist
In der Diskussion erinnerte Christoph Riedl, Asylexperte der Diakonie Österreich, an die Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention vor 69 Jahren. „Nie wieder sollten Flüchtlinge vor verschlossenen Toren stehen, und doch haben wir Situationen wie am Balkan, auf Lesbos oder in der Türkei und wir haben einen Bundeskanzler, der sich damit rühmt, die Tore geschlossen zu haben“, sagte Riedl. Er wünsche sich eine grüne Regierungsbeteiligung, die „sagt was ist“, etwa wenn noch immer Menschen ins Bürgerkriegsland Afghanistan abgeschoben werden. „Denn nur wenn man die Dinge anspricht, kann man sie verändern“, so Riedl.
Starke Kritik wurden in der Debatte auch von der Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend Wien, Fiona Herzog, und der Verfassungsjuristin Brigitte Hornyik, bei der Frauenpolitik der Koalition geübt: Diese werden, wenn überhaupt, immer rassistisch konnotiert. Manfred Ecker von Linkswende jetzt argumentierte, dass die Bewegung die Finger in die Wunden legen müsse, etwa wenn die große Industrie von Maßnahmen beim Klimaschutz ausgenommen werde. Grundsätzlich waren sich die Diskutant_innen einig, dass man die jeweiligen Bereiche stärker zusammenführen und man sich gegenseitig stärken muss.
Hanau ist Warnung
Karin Wilflingseder fasste die Debatte für die Plattform für eine menschliche Asylpolitik zusammen und rief zur Teilnahme an der Großdemonstration zum UN-Tag gegen Rassismus am 21. März 2020 auf. „Wie Deutschland wieder zeigte, führen rassistische Worte zu rassistischen Taten“, mahnte Wilflingseder. Vor diesem Hintergrund müsse klar sein, dass „wir als breites Bündnis gegen jede Form von Rassismus und Diskriminierung auf die Straße gehen müssen“. Klimagerechtigkeit bedeute „gleiche Rechte für alle“, und deswegen beteilige sich die Plattform auch am nächsten großen internationalen Klimastreik am 24. April 2020 des Bündnisses klimaprotest.at in Wien.
Unser Dank gilt dem Team im Depot und allen, die den Abend vorbereitet und umgesetzt haben. Die einzelnen Beiträge sind auf unserem Youtube-Kanal zu finden und in einer Playlist anzusehen. Fotos: Plattform für eine menschliche Asylpolitik