Tausende trotzen Kälte, Regen und Rechtsextremismus


Foto: Murtaza Elham

Tausende Menschen setzten am 23. März 2024 anlässlich des UN-Tages gegen Rassismus ein Zeichen gegen Hass, Hetze, Rassismus und Antisemitismus. Namhafte Persönlichkeiten und Musiker:innen aus der Zivilgesellschaft forderten unter dem Motto „Demokratie verteidigen!“  den Ausschluss einer Koalition mit der FPÖ. Vertreter:innen von NEOS, Grünen und SPÖ drückten ihre Unterstützung für die „Demokratie-Erklärung für Österreich“ aus.

„Wir tragen unsere Feuermauer gegen Rechtsextremismus direkt vor das Kanzleramt“, sagte Moderatorin Hager Abouwarda auf der Kundgebung am Ballhausplatz. „Wir stehen heute hier so vielfältig und divers, wie wir sein können, und doch vereint für unsere Demokratiem jeden Hass, jede Form von Diskriminierung und Benachteiligung in unserer Gesellschaft.“

Die Sorge vor einem drohenden Einzug von Rechtsextremen in eine nächste Regierung war das bestimmende Thema. „Haben wir das Recht zu Schweigen oder die Verpflichtung zu handeln?“ fragte Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, die den den Protest mit über 120 Organisationen, Initiativen und Einrichtungen iniitierte.

Foto: Ayham Yossef

Um die Demokratie zu verteidigen, sei die Forderung, ein „klares Nein zur Koalition mit der FPÖ von allen anderen Parteien, die im Parlament vertreten sein werden“, ein wichtiger Schritt, betonte Ramazan Yıldız von der Antirassismus-Stelle ZARA. Aber es gehe um mehr. Yıldız forderte strukturelle Maßnahmen wie den Beschluss eines Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus.

Mehrheit sichtbar machen

Daniela Kraus vom Presseclub Concordia verlangte bessere Rahmenbedingungen für Journalist:innen, mehr Schutz vor Attacken, Schutz vor Einschüchterungskklagen, Stärkung der Unabhängigkeit des ORF und eine qualitätsvolle und professionelle Medienförderung. Nicht vergessen dürften wir, so Kraus selbstbewusst, dass „wir Demokrat:innen in diesem Land“ die Mehrheit sind.

Dass die Demokratien weltweit in Gefahr sind, zeigte zuletzt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Darauf Bezug nehmend appellierte Jurist Oliver Scheiber, es in Österreich gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Es liege in den kommenden Monaten an uns, überzeugten Demokrat:innen, „ob wir aktiv werden, ob wir das Wort ergreifen, ob wir uns auf der Straße zeigen“, so Scheiber.

Foto: Murtaza Elham

Eine Möglichkeit, tätig zu werden, bot eine neue private Initiative von Rainer Bauböck, Jörg Flecker, Sieglinde Rosenberger und Heidi Schrodt, die ebenfalls den Ausschluss einer Koalition mit der FPÖ fordert. Der Aufruf kann über die Plattform #aufstehn unterzeichnet werden. 90 Persönlichkeiten aus Politik und Zivilgesellschaft zählen zu den Erstunterzeichnenden.

Wenn Rechtsextreme regieren

Die Demokratie zu verteidigen bedeute, für die Rechte von Frauen, gerechte Einkommen, Mitbestimmung und einen umfassenden Schutz vor Gewalt einzutreten, sagte Klaudia Frieben vom Österreichischen Frauenring. „Rechte Parteien wollen die Selbstbestimmung der Frauen einschränken und über unsere Körper entscheiden“, so Frieben. „Dazu sagen wir ganz klar: Nein!“

Foto: Ayham Yossef

Was passiere, wenn Rechtsextremisten regieren, könne man in Niederösterreich sehen, warnte Aktivistin Flora von Fridays for Future. Im Waldviertel mache die FPÖ Stimmung gegen den dringend nötigen Ausbau der Windkraft. „Wo rechtspopulistische Parteien an die Macht kommen, ist ein Genderverbot plötzlich wichtiger, als der Erhalt unserer Lebensgrundlagen“, sagte Flora.

Rechtsextreme schüren Skepsis gegenüber dem wissenschaftlichen Konsens und würden so Verständnis für notwendige Maßnahmen gegen die Erderhitzung untergraben, hielt Ökonomin Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien fest. „Stattdessen brauchen wir eine evidenzbasierte Klimpolitik“, so Stagl, die die „Bedürfnisse aller gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt“.

Für eine offene Gesellschaft

Dass die Verteidigung der Demokratie und die Bekämpfung der Klimakrise weltumspannend ist, argumentierte Dean Bhebhe von der Initiative Don’t Gas Africa, die zeitgleich den Protest gegen die Europäische Gaskonferenz mit organisierte. Er machte Hoffnung: „Gemeinsam können wir eine Welt schaffen, in der die Würde und der Wert jedes Einzelnen gewahrt werden.“

Professor Peter Reichl, Informatiker an der Universität Wien, sprach zum ersten Mal auf einer Demonstration. „Ich erhebe mein Wort, weil ich nicht mehr schweigen kann“, sagte Reichl. Er rief die Politik auf, die Wissenschaft mit Respekt zu behandeln, und forderte – aus seiner persönlichen Jugenderfahrung mit einem türkischen Gastarbeiter – Menschlichkeit im Umgang miteinander ein.

Foto: Valerie Maltseva

Für ein offenes Europa, ein freies und respektvolles Miteinander und gegen „Festungen“ sprach sich der Industrieunternehmer Niki Griller aus. Die Wirtschaft brauche Migration. Dabei gelinge Innovation „nachgewiesenermaßen am besten mit Diversität, mit Begegnung auf Augenhöhe, mit Offenheit und Gleichberechtigung aller Menschen“, sagte Griller.

Aufwachen, bevor es finster wird

Willi Mernyi von der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter:innen und dem Mauthausen Komitee Österreich, zeigte sich erfreut über das jüngste Wahlergebnis in Salzburg. „Dort, wo wir über die soziale Frage diskutieren, hat die FPÖ keinen Meter, weil sie keine Antwort“, so Mernyi. „Ihre einzige Antwort ist immer dieselbe: eine dumpfe, widerliche Ausländerfeindlichkeit.“

Für Respekt und Miteinander sang Oliver Welter von der Kultband Naked Lunch den Song „The Lovecourt“. „Nichts und niemand dürfen wir ausgrenzen, es sei denn, es handelt sich um Rechtsextremismus“, betonte Welter. „Den müssen wir ausgrenzen und bekämpfen, mit allem was wir haben, heute, morgen und bis in alle Ewigkeiten.“

Foto: Murtaza Elham

Unter dem Motto der aktuellen Spielzeit des Burgtheaters „Aufwachen, bevor es wieder finster wird“ stand die aufrüttelnde Rede der Schauspielerin Zeynep Buyraç. Dass wir uns nach den Koalitionen Schüssel- Haider und Kurz-Strache heute wieder so zahlreich versammeln müssen, sei zwar deprimierend, so Buyraç, aber „dass wir es tun, ist ein wichtiges Zeichen, dass es Hoffnung gibt“.

Demokratie leben

Musiker Roman Gregory verglich die Demokratie mit einem Fahrrad, das fahruntauglich würde, wenn man sich nicht darum kümmere. „Der große Unterschied zur Demokratie ist, dass wir uns keine neue zulegen können, wenn uns diese abhanden kommt“, sagte Gregory und rief dazu auf, wählen zu gehen, Meinungsfreiheit auszuüben und vom Demonstrationsrecht Gebrauch machen.

Foto: Murtaza Elham

Pfarrer Helmut Schüller, der 1993 das Lichtermeer gegen Rechtsextremismus mit organisierte, forderte alle Religionsgemeinschaften und Kirchen dazu auf, sich an der Feuermauer für die Demokratie zu beteiligen und „in den eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass sie dort auch schon gepflegt und praktiziert wird“. Dies bedürfe Beteiligung, Mitentscheidung und Schutz der Einzelnen.

Gehört werden müssten auch alle Kinder und Jugendlichen, immerhin drei Millionen Stimmen in Österreich, sagte Rihab Toumi von der Bundesjugendvertretung. „Wir brauchen mehr Miteinander in diesen krisenhaften Zeiten, die junge Menschen besonders betrifft“, so Toumi. „Gleichzeitig fordern wir ganz klare Kante ein, wenn die Grundsätze unserer Demokratie infrage gestellt werden.“

Keine Koalition mit der FPÖ – mit und ohne Kickl

Matthias Hauer von der Österreichischen Gewerkschaftsjugend erinnerte daran, dass die FPÖ in der letzten Regierung das stärkste demokratische Sprachrohr für Lehrlinge im Betrieb abschaffen wollte. „Wir sagen jeder Regierung den Kampf an, die es je wieder wagen möchte, den Jugendvertrauensrat, zu vernichten“, so Hauer. 2019 verhinderten lautstarker Protest diesen Demokratieabbau.

Als „scheinheilig“ bezeichnete Doron Rabinovici vom Republikanischen Club den Ausschluss eines Paktes mit einer „Kickl-FPÖ“ durch die ÖVP. Dies sei zu wenig. Es gehe, so Rabinovici, um „das ganze Paket, von den schmissigen Burschenschaftern, über die naziversandelten Rassisten bis hin zu der ganzen identitären Schnöselbagage“.

Unterstützung durch Parteien

Zum Höhepunkt der Kundgebung bat Initiator Erich Fenninger Vertreter:innen von SPÖ, Die Grünen und NEOS auf die Bühne. Sie begründeten, trotz ihrer unterschiedlichen politischen Haltungen, ihre geeinte Unterstützung für eine „Demokratie-Erklärung für Österreich“ der Zivilgesellschaft (siehe unten im Wortlaut).

„Uns eint unser Menschenbild und die Ansicht, dass jeder Mensch seine Würde hat“, sagte Stephanie Krisper von den NEOS und appellierte an die Teilnehmenden, in den nächsten Monaten noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Werner Kogler von den Grünen warnte vor den Angriffen auf unsere Demokratien in Europa und forderte ein „ein Österreich und ein Europa, wo man aus der Vergangenheit gelernt hat“. Andreas Babler von der SPÖ forderte, dass man über die Verteidigung der Demokratie hinaus auch ein Bild von einer Republik zeichnen sollte, die stolz auf den Zusammenhalt ist, in der „allen Menschen alle Rechte garantiert“ werden.

Für einen gebührenden Abschluss der Kundgebung sorgten Franz Adrian Wenzl, Martin Max Offenhuber, Helmuth Brossmann und Klaus Mitter von der Band Kreisky. Während des Demonstrationszuges spielten Antonia-Alexa Georgiew an der Violine und Paul Walisch am Piano, begleitet von Samouil Stoyanov, vom Balkon des Volkstheaters Alfred Schnittkes Adaption von „Stille Nacht“.

Foto: Valerie Maltseva

Demokratie-Erklärung für Österreich

Wir verteidigen die Demokratie.

Wir sind Teil der menschlichen Feuermauer gegen Rechtsextremismus. Die FPÖ hat sich selbst aus dem demokratischen Diskurs genommen und agiert offen demokratie- und menschenrechtsfeindlich. Belege dafür sind unter anderem die Nennung der illiberalen Demokratie in Ungarn unter Viktor Orban als politisches Vorbild, die Verteidigung der „Remigrations-Konferenz“ in Potsdam und die gezielte Verächtlichmachung von Andersdenkenden.

Wir fühlen uns von der Zivilgesellschaft bestärkt und bekräftigen, die FPÖ von Regierungsverantwortung fern zu halten und den Einzug eines „Volkskanzlers“ am Ballhausplatz zu verhindern. Wir erklären, jegliche Koalition mit der FPÖ, mit oder ohne Herbert Kickl, auszuschließen – im Sinne des Schutzes der Grund- und Freiheitsrechte, der Wahrung der Rechtstaatlichkeit und Menschenwürde, und der Verteidigung der Demokratie.