„Wartet nur, bis der Hitler wiederkommt“: FPÖ-Politiker trafen Taliban, um Nazi freizubekommen


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Feuer am Dach in der FPÖ. Obmann Kickl droht zwei langdienenden Parteimitgliedern mit dem Ausschluss. Der außenpolitische Sprecher muss zurücktreten, bevor ihn Kickl ohnehin abgewählt hätte. Was ist dem freiheitlichen Parteichef am Treffen mit den Taliban in Afghanistan derart unangenehm, dass Köpfe rollen? Die FPÖ-Politiker versuchten, den von den Taliban wegen angeblicher „Spionage“ inhaftierten Neonazi Herbert Fritz freizuverhandeln.

von David Albrich

Viel wurde darüber gerätselt, was die beiden FPÖ-Politiker Andreas Mölzer (Herausgeber der rechten Zeitschrift Zur Zeit) und Johannes Hübner mit dem Außenminister der Taliban, Amir Khan Muttaqi, in Afghanistan besprochen haben. Im afghanischen Fernsehen medienwirksam inszeniert können sich die frauenhassenden Terroristen als respektable Politiker präsentieren, die vom Westen nicht sanktioniert und isoliert werden. Doch welchen Nutzen versprachen sich die FPÖ-Politiker?

Neben der innenpolitisch nützlichen Verzerrung, Afghanistan sei ein für Abschiebungen „sicheres Land“ (und damit auch mögliche Rückführungsabkommen im Falle einer künftigen Regierungsbeteiligung), gab es einen weiteren brisanten Grund für die Reise, den Mölzer inzwischen bestätigte: Die blaue Delegation befand sich auf einer Befreiungsmission für den von den Taliban verschleppten Neonazi Herbert Fritz. Wie Mölzer auch attestierte: erfolglos.

Panisches Köpferollen

Ursprünglich sollte auch der außenpolitische Sprecher der FPÖ, Axel Kassegger, an der Reise teilnehmen. Kassegger, Burschenschafter der Germania Graz, kommt aus einem Studentenmilieu in den 1980er-Jahren, dessen Grenzen zum Rechtsradikalismus (zu dem Fritz zählte), fließend waren, wie Christa Zöchling feststellte. Womöglich wurde ihm die Sache zu heiß oder er wurde vom Parteichef Kickl persönlich zurückgepfiffen – jedenfalls sagte Kassegger seine Teilnahme kurz vorher ab.

Wieso ist die Affäre Kickl so unangenehm, dass er beabsichtigte, Kassegger bei der nächsten Klubsitzung abzuwählen? Dieser kam diesem Schritt nur durch seinen eigenen Rücktritt zuvor. „Gegen die Parteilinie scheint der Taliban-Besuch eher nicht zu verstoßen“, sagt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Sowohl die Botschaft Afghanistan sei sicher als auch die Gleichgültigkeit gegenüber Islamismus außerhalb Europas entspreche freiheitlicher Überlieferung.

Faschismus-Vorwurf schadet

Wusste Parteichef Kickl vorab vom Treffen mit den Taliban? Dafür spricht, dass das Außenministerium dem FPÖ-Parlamentsklub (über Martin Graf, ebenfalls Olympia) von der Reise abgeraten hatte. Und von der Fürsprache für den Neonazi Fritz? Möglicherweise handelten Mölzer, Hübner und Kassegger aus eigenem Antrieb und sorgten so für die Panik in der FPÖ, die nicht gerade für eine Rücktrittskultur bekannt ist. Denn das, wofür Fritz steht, könnte der Partei, die mit Neonazismus angeblich nichts zu tun haben will, vor entscheidenden Wahlen erheblich schaden.[1]

  • Herbert Fritz, 1939 geboren und Mitglied der antisemitischen Burschenschaft Olympia, ist einer der Dreh- und Angelpunkte der österreichischen gewaltbereiten Neonaziszene in der Nachkriegszeit und Mitbegründer zahlreicher rechtsextremer Listen und Parteiprojekte. Fritz hielt Holocaustleugnern aus den Jugendjahren stets seine Treue, unterhielt bis zu dessen Tod 2018 engen Kontakt mit dem Neonazi Gerd Honsik und genießt aufgrund seiner „reinen Lehre“ in der Neonaziszene besonderes Ansehen.
  • Anwalt von Fritz’ Olympia war (und ist möglicherweise noch immer) niemand geringerer als der Delegationsteilnehmer Johannes Hübner.
  • Nach dem Zweiten Weltkrieg war Fritz am neonazistischen „Südtirol-Terror“ beteiligt, dem dutzende Menschen durch Bombenanschläge auf Bahnhöfe und Züge zum Opfer fielen.
  • Nach einer von seiner Burschenschaft organisierten Heldenehrung in der Aula der Univerisät Wien sang Fritz auf dem Heimweg das unter das Verbotsgesetz fallende NS-Kampflied „Es zittern die morschen Knochen“ mit dem Refrain: „Denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“  Bei der folgenden Anhaltung durch die Polizei hatten zwei weitere Mitglieder der Olympia „interveniert“ und den Beamten „Verletzungen verschiedenen Grades“ zugefügt, wie aus einer bestätigenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs über das Verbot der Olympia zu Beginn der 1960er-Jahre hervorgeht. Fritz drohte den Beamten: „Wartet nur, bis der Hitler wiederkommt, dann lass ich euch alle aufhängen, ihr demokratischen Schweine.“
  • 1967 gründete Fritz mit anderen Neonazi-Größen aus Unzufriedenheit über eine in ihren Augen zu moderate FPÖ die Nationaldemokratische Partei (NDP), die wiederum 1988 verboten wurde. Der Verfassungsgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass das NDP-Programm auf einem „biologisch-rassistischen Volksbegriff“ basierte und mit seiner „großdeutschen Propaganda“ in den „Kernpunkten mit den Zielen der NSDAP“ übereingestimmt hätte. Die NDP war für eine Serie von Gewalttaten verantwortlich: 1972 verübten Mitglieder am „Führer-Geburtstag“ einen Bombenanschlag auf ein Kino, das einen antifaschistischen Film zeigte, durch. 1976 organisierten NDP-Anhänger einen Überfall auf ein Jugendzentrum und die von linken Aktivist:innen besetzte Arena in Wien mit vier Schwerverletzten, mehrere NDP-Schläger wurden zu unbedingten Haftstrafen verurteilt.
  • 1982 formierte Fritz mit den beiden Neonazis Gottfried Küssel und Gerd Honsik die als Wahlplattform gedachte „Ausländer-Halt-Bewegung“, die wiederholt systematisch durch Holocaustleugnung in Erscheinung trat, sowie 1990 die Wahlliste „Nein zur Ausländerflut“, die vom Verfassungsschutz als neonazistisch eingestuft und verboten wurde.
  • 1989 organisierte Fritz einen Vortrag des britischen Holocaustleugners David Irving.
  • Noch 2018 beklagte Fritz den „Befreiungsunsinn“ vom 8. Mai 1945 (Kapitulation der Deutschen Wehrmacht). Der Tag wäre im Gegenteil „die größte Katastrophe in unserer Geschichte“ gewesen, so Fritz bei einem Gedenkvortrag für seinen Wegbegleiter Neonazi Gerd Honsik, der kurz zuvor verstorben war.
  • Vor Reise nach Afghanistan und seiner Verhaftung durch die Taliban nahm Fritz an einer Demonstration der rechtsextremen Identitären Bewegung in Wien teil.

Verkalkulierte sich die freiheitliche Taliban-Delegation, Fritz als „alten, zuckerkranken Schriftsteller“ (Mölzer) zu verharmlosen? War die Aktion vielleicht auch eine Spitze gegen Kickl in einem schon längeren schwelenden Konflikt zwischen dem Parteichef und Mölzer? War Kickl nur einfach nicht informiert und bestraft nun die fehlende Einhaltung einer strengen Befehlskette, wie sie in einer Führerpartei üblich ist? So oder so, die Affäre ist Kickl sichtlich unangenehm.  

Das bedeutet nicht, dass Kickl die Abgrenzung zur gewaltbereiten Neonaziszene allzu ernst nimmt. Er selbst nahm an rechtsextremen Coronademos teil, weichte die Abgrenzung zu den „Identitären“ auf und schaffte ein Klima in seiner Partei, indem sich Zellen radikalisieren und FPÖ-Funktionäre bestärkt fühlen, Neonazis freihandeln zu können. Der schmale Grat zwischen Geduld und Übermut lässt immer wieder einen Blick auf den wahren gefährlichen Charakter der FPÖ zu.

Details und Belege siehe Hans-Henning Scharsach, Haiders Clan (1995), Strache im braunen Sumpf (2012), und Stille Machtergreifung (2017)


[1] Die FPÖ reagiert auf Faschismus-Vorwürfe auffällig oft sehr empfindlich. Die Plattform für menschliche Asylpolitik bekam dies selbst zu spüren, als uns der FPÖ-Parlamentsklub im Jahr 2021 klagte. Zum Aufruf für eine Demo gegen Kickl verwendeten wir sein Bild mit der Aufschrift „Nie wieder Faschismus“. Der Oberlandesgericht Wien und der Oberste Gerichtshof gaben uns schließlich Recht, die Plattform gewann den Urheberrechtsprozess.