Amnesty International, asylkoordination, Caritas, Diakonie, Integrationshaus, Samariterbund, SOS-Mitmensch und Volkshilfe haben in einem 7-Punkte-Plan Sofortmaßnahmen vorgeschlagen, die Menschenrechte von Geflüchteten schützen und den Staat in die Verantwortung nimmt. Niemand soll in Österreich in Zelten schlafen müssen. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik gibt die Maßnahmen im Detail wieder (auch hier abrufbar) und unterstützt die Forderungen.
Ausgangssituation show
Aufgabe des Bundes ist es, Menschen bis zur Zulassung ihres Asylverfahrens in Österreich unterzubringen und zu versorgen. Nach Zulassung des Verfahrens haben sich die Länder in der Grundversorgungsvereinbarung verpflichtet, diese Aufgabe binnen zwei Wochen zu übernehmen.
Ende August 2022 befanden sich 6.784 Schutzsuchende in Erstaufnahmestellen des Bundes. Die Kapazitäten des Bundes sind damit erreicht. Grund dafür ist die mangelhafte Kooperation von Bund und Ländern: 74% dieser Personen (4.514 Schutzsuchende, darunter 226 unbegleitete Minderjährige) sind bereits zum Asylverfahren zugelassen und müssten von den Bundesländern zur Versorgung und Unterbringung übernommen werden. Aufgrund dieses Verteilungsproblems sind die Kapazitäten des Bundes restlos erschöpft, gleichzeitig werden aber in den Bundesländern ca 5.000 Asylwerber:innen weniger versorgt als etwas 2019.
Während sich im Vergleich zu Ende 2019 insgesamt nur 150 Asylwerber:innen mehr (+1%) in Österreich in Grundversorgung befinden, sind über ein Drittel aller Asylwerber:innen nunmehr in Bundesgrundversorgung untergebracht (+450% im Vergleich zu Ende 2019).
Neben den ca 19.000 Asylwerber:innen befinden sich derzeit ca 60.000 Ukrainer:innen mit Vertriebenenstatus und ca 10.000 Menschen mit Asylstatus oder subsidiärem Schutzstatus in Grundversorgung. Die Überlastung des Grundversorgungssystems ist daher nicht primär auf die Zahl der Antragsteller:innen im regulären Asylsystem zurückzuführen, sondern vor allem auch darauf, dass die bislang großteils privat untergebrachten Ukrainer:innen jetzt ebenfalls verstärkt auf organisierte Quartiere zurückgreifen müssen. Das ist wiederum auf die mangelnde Unterstützung für private Quartiergeber:innen der 45.000 Ukrainer:innen durch den Staat, den sie bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe maßgeblich unterstützten, zurückzuführen.
Zusammengefasst: Die mangelnde Übernahme von Asylwerber:innen in die Landesgrundversorgung führt zu einer Überlastung der Grundversorgungsquartiere des Bundes. Die Bundesländer haben außerdem keine zusätzlichen Quartiere für nicht- ukrainische Personen in Grundversorgung geschaffen.
Die grundsätzliche Neuaufstellung des dysfunktionalen Grundversorgungssystems ist überfällig und muss jetzt angegangen werden.
Unmittelbar müssen jetzt Schritte gesetzt werden, die eine menschenwürdige Unterbringung von Schutzsuchenden noch vor dem Winter gewährleisten.
1. Schnellverfahren für Menschen mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit show
Anfang August 2022 verzeichnete Österreich in der 1. Asylinstanz ca. 15.000 anhängige Asylverfahren von Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan. Die Anerkennungswahrscheinlichkeit für diese beiden Personengruppen liegt über 90 Prozent. Schnellverfahren und Statusgewährung von offensichtlich begründeten Anträgen aus diesen Herkunftsstaaten würden daher sehr rasch ca 1/3 der Unterbringungsplätze in der Bundesgrundversorgung und Kapazitäten im Grundversorgungssystem insgesamt freigeben.
2. Steuerlicher Absetzbetrag für private Quartiergeber:innen show
Schlüssel für die vom Innenminister versprochene unbürokratische und rasche Aufnahme ukrainischer Geflüchteter war von Anfang an die Unterbringung in privaten Quartieren/Wohnungen. Das beeindruckende Engagement der Zivilgesellschaft hat dem Staat viel Geld und Organisation erspart. Aufgrund der ausbleibenden staatlichen Unterstützung im Zusammenhang mit der Teuerung müssen nun viele Quartiergeber:innen ihre Hilfeleistung einstellen.
Um die private Unterbringung weiterhin zu ermöglichen und auch für nicht- ukrainische Schutzsuchende auszubauen brauchte es eine klare und unmissverständliche Anerkennung von Seiten des Staates: Privaten Unterkunftgeber:innen sollen eine staatliche Unterstützung in Form eines steuerlichen Absetzbetrages für eine mehr als sechsmonatige Unterbringung von Schutzsuchenden gewährt werden. Gleichzeitig muss es eine Anlaufstelle für diese in den Ländern geben. Standards in der Unterbringung müssen auch im privaten Bereich etabliert und deren Einhaltung kontrolliert werden.
3. Kostendeckung für die Arbeit organisierter Quartiergeber:innen: Sofortige Auszahlung der erhöhten Grundversorgungsbeiträge, automatische Valorisierung der Kostensätze + zusätzlicher Teuerungsausgleich show
Hilfsorganisationen stemmen eine wesentliche Säule des österreichischen Grundversorgungssystems: Die Betreuung von Schutzsuchenden in organisierten Quartieren.
Sie können diese Arbeit aber nicht kostendeckend erledigen: Obwohl bereits im März die politische Einigung zur Erhöhung der Kostensätze für „organisierte Quartiere“ vom Innenminister verkündet wurde, wird diese vorerst nur von Wien, Kärnten und Tirol ausgezahlt. Die noch nicht erfolgte Anpassung in den anderen Bundesländern führt dazu, dass die ohnehin schwierige Quartier- und Personalsuche noch zusätzlich erschwert wird.
Aufgrund der massiven Teuerung ist eine weitere Erhöhung der Sätze in Form einer automatisierten Valorisierung nötig, um eine kostendeckende Organisation der
Quartiere überhaupt zu ermöglichen. Um den Flaschenhals in der Bundesbetreuung aufzulösen, müssen rasch Quartiere in den Bundesländern geschaffen werden: Dafür müssen die Hilfsorganisationen als Partner gesehen werden und von Bund und Ländern die Übernahme von Anlauf-, Schließungs- und Vorhaltekosten verbindlich zugesichert werden. Insbesondere für die Unterbringung besonders schutzbedürftiger Gruppen wie unbegleitete Kinder und Jugendliche oder Personen mit schweren (multiplen) Erkrankungen oder Behinderungen, müssen endlich höhere Tagsätze zur Verfügung gestellt werden.
4. Unterstützung der Gemeinden show
Der Löwenanteil der Aufnahme- und Integrationsarbeit erfolgt in den über 2.000 Gemeinden dieses Landes. Diese sind erste Anlaufstellen bei Unterkunft, Kinderbetreuung, Transport, Freizeitangebote und Aufnahme in die Gemeinschaft.
Um nicht auf Großlager angewiesen zu sein braucht es die Unterstützung dieser Struktur, die kleinteilige Aufnahme ermöglicht. Aufnahmebereite Gemeinden müssen organisatorisch und finanziell bei dieser Aufgabe von Bund und Ländern unterstützt werden. Dazu braucht es geeignete Austauschformate und finanzielle Unterstützung. Die Gemeinden und Quartiergeber:innen, als auch die untergebrachten Geflüchteten brauchen eine zusätzliche Sozialberatungsstruktur, wo die Sorgen und Ängste der Bevölkerung als auch der Geflüchteten Gehör finden.
5. Subsidiär Schutzberechtigte zurück ins Sozialhilfesystem show
Subsidiär Schutzberechtigte konnten bis vor wenigen Jahren bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen. Da sie, genau wie anerkannte Flüchtlinge, über einen Schutzstatus verfügen, sind sie im Grundversorgungssystem (dessen Sinn die vorübergehende Basisversorgung während der Dauer des Asylverfahrens ist), ohnehin fehl am Platz. Über den Zugang zur Sozialhilfe könnten sie in selbst angemietete Wohnungen ziehen, rascher Arbeit finden und selbsterhaltungsfähig werden, anstatt Grundversorgungsplätze auf nicht absehbare Zeit zu blockieren.
6. Überführung der Vertriebenen aus der Ukraine ins Sozialhilfesystem show
Geflüchtete mit Vertriebenenstatus haben über die EU-Temporary Procection Richtlinie ebenfalls einen asylrechtlichen Status. Sie sollten gleich behandelt werden wie Personen, die als Flüchtlinge anerkannt wurden und somit Zugang zur Sozialhilfe haben. Bei einer dauerhaften Arbeitsaufnahme sollte dies unmittelbar, auch bei Teilzeitbeschäftigung, möglich sein. Für alle anderen Ukraine-Vertriebenen nach spätestens einem Jahr Aufenthaltsdauer.
Die Ukraine-Vertriebenen befinden sich bisher noch zu 90 Prozent in Privatquartieren und beanspruchen kaum organisierte Quartiere. Das ändert sich aber aktuell, weil das Wohnen sowohl für die privaten Unterkunftgeber:innen, als auch für die Vertriebenen, zunehmend nicht mehr leistbar ist. Die Überführung dieser Personen ins Sozialhilfesystem könnte diese von der Inaktivitätsfalle ‚Grundversorgung‘
befreien und schafft gleichzeitig Kapazitäten für andere Schutzsuchende, die momentan in großen Lagern auf Übernahme warten müssen.
7. Unbegleitete Minderjährige gesondert bzw. geeignet unterbringen show
Die Erstaufnahmestellen des Bundes sind kein Platz für alleinreisende Kinder und Jugendliche. Über 200 von den 770 dort Anfang September 2022 aufhältigen Kindern und Jugendlichen waren bereits zum Verfahren zugelassen und sollten längst in der Obhut einer obsorgeberechtigten Person in geeigneten Landesquartieren sein.
Als Sofortmaßnahme sollten sämtliche Kinder und Jugendliche in sozialpädagogisch betreuten Clearinghäusern untergebracht werden. Aus diesen Clearinghäusern heraus kann dann die Unterbringung in geeignete Wohnformen der Landesgrundversorgung erfolgen.