Österreich steht auf für die Geflüchteten in Bosnien


Mehrere Tonnen Jacken, Socken, Schuhe und Schlafsäcke konnten in Österreich und Deutschland gesammelt werden.
Foto: SOS Balkanroute

Tausende schutzsuchende Menschen sitzen entlang der „Balkanroute“ unter elenden Bedingungen fest. Mittels gewalttätiger „Pushbacks“ werden sie aus der Europäischen Union (EU) völlig grundrechtswidrig in das Nicht-EU-Land Bosnien zurück getrieben. Initiativen wie SOS Balkanroute haben die Menschenrechtsverletzungen sichtbar gemacht. Sie sorgen mit Hilfslieferungen dafür, dass die Menschen zumindest überleben. Mitbegründer Petar Rosandić, auch bekannt als der Rapper Kid Pex, hat Hoffnung und feiert die ungebrochene Hilfsbereitschaft der österreichischen Zivilgesellschaft.

Als wir vor zwei Jahren das erste Mal mit Sachspenden im Horrorcamp Vučjak im Nordwesten Bosniens ankamen, ahnten wir nicht, wie groß das Elend auf der Balkanroute – nur fünf Autostunden von Wien entfernt – sein könnte. Abgesehen von damals sehr raren Berichten kleiner, unabhängiger Medien und einzelner Aktivist*innen vor Ort, war über die wahren Zustände in den bosnischen Elendscamps in Europa bis dahin wenig bekannt. In Österreich hingegen herrschte, aufgrund der Wahlkampfpropaganda der ÖVP bei der Nationalratswahl 2017, ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit: dass der spätere Bundeskanzler Sebastian Kurz angeblich im Alleingang die Balkanroute „erfolgreich geschlossen“ hätte.

Ja, wir erwarteten bei der Hinfahrt damals untragbare Zustände. Aber wir ahnten nicht, dass uns tausende Menschen im Elend, Dreck und Schlamm und ohne Strom, Wasser und Beheizung erwarten würden. Die Mehrheit von ihnen war mit systematischer Gewalt und Brutalität nach Bosnien zurückgeschoben worden.

Hunderte Geflüchtete stecken entlang der Balkanroute fest. Foto: SOS Balkanroute

Noch weniger konnten wir uns damals vorstellen, dass eines Tages in ganz Österreich, aber auch im südlichen Deutschland für unsere Hilfsaktionen entlang der EU-Außengrenze gesammelt werden würde. Diesen Herbst und Winter waren es 15 Städte und Orte, in denen einfache BürgerInnen, kirchliche Institutionen, Vereine und Initiativen zu uns den Kontakt suchten und oft auf eigene Faust Sammeltermine organisierten. Ob in kleinen Gemeinden wie Herzogenburg oder in der großen Bundeshauptstadt Wien, wo alle unsere Lagerkapazitäten gesprengt wurden und wir immer wieder von einem Not-Lager ins andere Kisten fahren mussten: Die Solidarität der Österreicher*innen mit den Geflüchteten auf Lesbos oder in Bosnien hat zweifellos einen neuen Höhepunkt erreicht.

Die Kraft der Zivilgesellschaft

Obwohl wir es in den letzten zwei Jahren immer wieder geschafft haben, Journalist*innen und Politiker*innen dazu zu motivieren, mit uns ins Auto zu steigen und sich selbst ein Bild der fürchterlichen Lage vor Ort zu machen, hätten sowohl die mediale Bewusstseinsarbeit, die politische Arbeit als auch die Sammelaktionen wohl nicht die Reichweite erhalten, wenn sie nicht die breite Unterstützung der österreichischen Zivilgesellschaft gehabt hätten. Von Anfang an unterstützten uns sowohl Moscheen und Imame, Nonnen und Kirchengemeinden, linke Studierende, autonome Kollektive und Punks, aber auch größere Organisationen und Initiativen wie die Plattform für eine menschliche Asylpolitik, die Volkshilfe oder die Caritas.

Als in Wien unser Spendenlager bei der Sammelaktion im Jänner bereits nach dem ersten Tag an seine Grenzen kam und am zweiten mit noch mehr Solidarität in Form von Spenden „überflutet“ wurde, gerieten wir diesen Winter nicht so sehr in Panik wie den Winter zuvor. Wir wussten aufgrund der Erfahrung des ersten Jahres, dass abseits der herzlosen Asylpolitik dieser Bundesregierung in Österreich sehr wohl viel Platz für Empathie, Platz für Kisten und auch Platz für Menschen ist. Die Caritas organisierte uns so am gleichen Tag noch ein Notlager, genauso wie Ronny Kokert, der sein Kampfsportcenter „Shinergy“ für kurze Zeit in ein Spendenlager für österreichische Hilfsgüter verwandelte.

Ein 24.000 Kilo schwerer Feuerlöscher

Über 24.000 Kilogramm an Hilfsgütern sind diesen Winter in unserem Lager in Bosnien angekommen. Es sind vor allem Spenden wie warme Jacken, Socken, Schuhe oder Schlafsäcke, die den Menschen zumindest den Überlebenskampf in der Kälte der bosnischen Berge, in Abbruchhäusern und leerstehenden Fabriken etwas erleichtern. Durch die große Menge an Spenden waren wir nicht nur in der Lage, wie geplant die Hotspots Bihać und Velika Kladuša zu versorgen, sondern ebenso auch nach Tuzla, Zenica und Sarajevo volle Transporter und LKW zu schicken. Und auch wenn SOS Balkanroute gewachsen ist und mittlerweile vor Ort viel besser agieren kann als jemals zuvor, bleibt uns leider auch eine bittere Erkenntnis: Ohne eine systematische politische Veränderung dieser Asylpolitik werden auch wir weiterhin nur Feuerlöscher bleiben.

Rosandić zusammen mit den beiden Schwestern Amina und Merdija beim Verteilen der Hilfsgüter in Bosnien. Foto: SOS Balkanroute

Humanitäre Städtepartnerschaften

Jede Spende, jede Sammelaktion, jede Demonstration, jedes Protest-Zeltlager „Wochenende für Moria“ und jede Aktion gegen diese Zustände trägt langfristig dazu bei, auch die Verantwortungsträger in der Politik zum Handeln zu bewegen. Einige österreichische Gemeinden zeigen in diesem Kontext auch vermehrt Interesse, selbst aktiv zu werden. Wir sind gerade dabei, mit einigen Bürgermeister*innen über humanitäre Städtepartnerschaft en zu sprechen.

Durch direkte, die lokale Community und Gemeinden inkludierende Projekte in der Krisenregion wollen wir in Zukunft noch mehr bewegen und das tun, was wir eigentlich die letzten zwei Jahre machen: Die „Hilfe vor Ort“ greifbar machen. Zusammen mit der Grünen-Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic gingen wir bei unserer gemeinsamen Reise in Bosnien auf die Suche nach der von der österreichischen Regierung versprochenen Soforthilfe in der Höhe von einer Million Euro. Aber niemand konnte uns sagen, wo dieses Geld gelandet ist. Das von Innenminister Nehammer propagierte Konzept der „Hilfe vor Ort“ ist und bleibt eine Farce. Das zeigen nicht zuletzt auch die Sachspenden an Griechenland, deren Übergabe am Athener Flughafen pompös inszeniert wurde, die aber letztlich nie auf Lesbos angekommen sind. Wir wissen also: Die Standhaftigkeit der österreichischen Zivilgesellschaft ist unser einziger Lichtblick.

Das Say it loud!-Magazin erscheint vierteljährlich und ist auf Protesten, über Sammelbestellungen (Empfehlung für Initiativen und Organisationen) und als Einzelabo erhältlich.