„Richtig schöne Solidarität kommt von Herzen“, sagte Doro Blancke, Flüchtlingshelferin auf der griechischen Insel Lesbos, in unserem ersten Say it loud!-Gespräch (siehe Seite 26). Nun knüpft sie im Magazin daran an und appelliert, dass wir aus unserem Alltag ausbrechen und mehr Zeit in den Aufbau von aktiver Solidarität verwenden sollten.
Nach etlichen Jahren meiner Tätigkeit mit und für Menschen auf der Flucht, bin ich der festen Überzeugung, dass es wichtiger denn je ist, für Menschenrechte laut und deutlich unsere Stimme zu erheben. Ich kenne sie. All die Argumente: Wir können nicht alle nehmen. Österreich hat so viel getan. Wir können der ÖVP nicht öffentlich widersprechen, sonst fällt die Koalition und wir bekommen wieder Türkis/Blau. Es kommen hauptsächlich junge Männer, was ist mit all den Frauen und Familien, die im Elend der Kriegsländer zurück bleiben? Und auch: Die Menschen kommen ja nur nach Österreich, um hier die soziale Hängematte auszunutzen. So und noch erbärmlicher wird in der Politik argumentiert. Von amtierenden Politiker*innen, die sich kaum Gedanken darüber machen, was wir mit dieser menschenverachtenden Haltung jenen, die sich in größter Not befinden, zumuten. Und welches Erbe wir der nächsten Generation überlassen. Einen unentschuldbaren Menschenrechtsbruch.
Faktenfreier Raum
Was ich bei diesen Diskussionen und Behauptungen immer vermisse, sind die Fakten. Egal, ob wir den Abschiebungen nach Afghanistan, einem Hochrisikogebiet, auf den Grund gehen, ob wir uns mit der Bundesbetreuungsagentur (BBU) beschäftigen, bei der eine unabhängige Rechtsberatung nur schwer gewährleistet werden kann und die Isolation der Schutzsuchenden Programm ist. Oder aber, ob wir auf Europas Außengrenzen schauen, wo Menschen gedemütigt und misshandelt werden, als wäre Europa ein rechtsfreier Raum.
Seit September bin ich, mit kurzen Unterbrechungen, auf Lesbos und ich bin bis heute nicht in der Lage, das Unrecht in Worte zu fassen. 7.500 Menschen in einem Camp, in ungeheizten „Fetzenzelten“, weder medizinische, noch hygienische Versorgung, die auch nur annähernd menschenwürdigen Standards entspricht. Über 2.000 Kinder fristen ihren Alltag, ertrinkend in den Sorgen ihrer Eltern. Keine Bildung, keine Räume, in denen sie sich mit anderen Kindern treffen, geschützt spielen können. Ihre Eltern hoffnungslos und verzweifelt dem Elend ausgeliefert.
Lebenslange Narben
250 Duschen für 7.500 Menschen. Warmes Wasser gibt es erst seit rund eineinhalb Monaten, wenn man Glück hat. Keine Waschmaschinen, keine Küchen. Eine Familie teilt sich neun Quadratmeter Lebensraum. Wir sollten uns Gedanken machen, wenn Seelen von Menschen gebrochen werden, Menschenrechte offen mit Füßen getreten werden und so viel Leid produziert wird, dass vieles davon ein Leben lang Narben hinterlassen wird.
Wir und auch alle anderen EU-Mitgliedstaaten könnten Menschen aufnehmen, doch unser Bundeskanzler hat sich mit einer kleinen Gruppe darauf eingeschworen, es nicht zu tun. Sebastian Kurz könnte einen anderen Weg beschreiten, nämlich den der Vision: Wie wollen wir in Zukun mit der Herausforderung „Fluchtbewegung“ umgehen? Wie kommen wir zu einem Ergebnis, das sowohl Menschenrechte als auch die Wahrung unser aller Würde beinhaltet?
Er könnte es, wenn er nur wollte. Es gibt genug Expert*innen in unserem Land und in Europa, die effektiv an Lösungen arbeiten können und wollen. Doch er will es nicht. Damit stürzen uns er und seine europäischen Kolleg*innen alle in ein Dilemma, dessen Konsequenzen uns schwer erträglich sein werden. Denn vergessen wir eines nicht: Grausame Politik lässt grausame Gesellschaften wachsen!
Solidarität leben
In diesem Sinne: Leben wir aktiv unsere Solidarität, unterbrechen wir jede*r von uns unser Leben für fünf Minuten, eine Stunde, eine Woche, je nach Möglichkeit und verbinden wir uns in Wertschätzung und Liebe. Sprengen wir persönliche Grenzen für das Konglomerat für Menschenrechte.
Mehr über Doro Blanckes Arbeit, ihren Verein Flüchtlingshilfe / refugee assistance und die Spendenkampagne #HelfeDoroHelfen auf ihrem Blog.
Das Say it loud!-Magazin erscheint vierteljährlich und ist auf Protesten, über Sammelbestellungen (Empfehlung für Initiativen und Organisationen) und als Einzelabo erhältlich.