Antimuslimischen Rassismus endlich beim Namen nennen!


Die Demonstration „MuslimBanAustria: Mein Körper, mein Recht auf Selbstbestimmung“ im Februar 2017 bedeutete einen Durchbruch im Kampf gegen Islamfeindlichkeit. Foto: Martin Juen

Nach dem schrecklichen Terroranschlag in Wien stiegen die Übergriffe insbesondere auf muslimische Frauen dramatisch, berichtete die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus, kurz Dokustelle. Ümmü Selime Türe, die seit der Gründung für die Dokustelle arbeitet, fordert von der Politik und der Mehrheitsgesellschaft ein, sich endlich dem Problem des antimuslimischen Rassismus zu stellen.

Seit unserer Gründung am Internationalen Tag der Menschenrechte im Jahr 2014 machen wir, die Dokustelle Islamfeinlichkeit & antimuslimischer Rassismus, die Lebensrealitäten von Muslim*innen und als solche gelesene Menschen sichtbar. Betroffene von antimuslimischem Rassismus und Islamfeindlichkeit können uns anonymisiert Fälle von Alltagsrassismus, Diskriminierung und vielen anderen Formen von Benachteiligung melden, sich beraten lassen und Unterstützung holen.

Seit sechs Jahren engagiert sich unser Team bereits ehrenamtlich, insgesamt fünf Berichte über antimuslimischen Rassismus haben wir veröffentlicht. Und es zeigt sich eines ganz deutlich: Wir müssen das Problem beim Namen nennen, noch stärker und lauter. Die letzten Jahrzehnte waren von Ressentiments und einer feindseligen Stimmung gegenüber Muslim*innen geprägt. Viel zu oft wurde Victim-Blaming betrieben, bei dem die Betroffenen ausschließlich auf ihr Opfer-Sein reduziert wurden. Immer wieder müssen Betroffene ihre eigene Existenz und das Recht auf ein gleichberechtigtes Leben erklären. Das ist emotional und physisch erschöpfend. Antimuslimischer Rassismus ist jedoch nicht das Problem der Betroffenen, sondern ein strukturelles Problem der Gesamtgesellschaft. Es muss von jenen angegangen werden, die nicht davon betroffen sind.

Instrumentalisierung einer Religionsgemeinschaft in der Politik

Die vorherrschenden Diskurse geben nicht die Lebensrealitäten von Menschen, die vom System ausgegrenzt werden, wieder, sondern schaffen eine Wirklichkeit, in der die Herrschaftsverhältnisse verschleiert werden. Diese Mechanismen produzieren Debatten über Sicherheitsfragen, in denen kopftuchtragende Frauen und muslimische Männer als Gefahr für unsere Demokratie dargestellt werden. Dieser Othering-Prozess spaltet unsere Gesellschaft in ein Wir und Ihr, und gibt vor, die „Integration“ zu fördern und „Parallelgesellschaften“ zu verhindern.

Die Diskussionen führen schließlich zu Gesetzen. Im Oktober 2017 trat das Gesichtsverhüllungsverbot in Kraft. Es sollte den Weg für weitere Kopftuchverbote für Richterinnen, in Kindergärten, Volksschulen und letztlich Unterstufen ebnen. Die politischen Entscheidungsträger*innen, die Frauen vermeintlich von patriarchalen Zwängen befreien wollen, sprachen Frauen das Recht auf Selbstbestimmung ab. Allerdings kippte der Verfassungsgerichtshof im Dezember 2020 – nach zahlreichen Bemühungen wie der Veröffentlichung von Statements und offenen Briefen, zusammen mit vielen anderen Initiativen – das Kopftuchverbot in den Volksschulen.

Empowerment durch Antirassismusarbeit

Die Einrichtung der Dokumentationsstelle Politischer Islam, ein langjähriges Projekt von FPÖ und ÖVP, und die politische Diskussion nach dem Attentat vom 2. November in Wien zeigen noch einmal in aller Deutlichkeit, wie eine religiöse Minderheit unter Generalverdacht gestellt und die Überwachung legitimiert wird. Die Einführung des Straftatbestandes „religiös motivierter Extremismus“, wie von der Regierung geplant, hat zum Ziel, Ideen und politische Entscheidungen zu bestrafen, die in dieser Form Grund- und Freiheitsrechte einschränken können. Damit wird antimuslimischer Rassismus noch stärker verankert.

Hier sind die Zivilgesellschaft und solidarische Bündnisse mehr denn je gefragt. Die Dokustelle will ein Sprachrohr für jene sein, die viel zu lange benachteiligt und kriminalisiert wurden und werden. Ein breites Netzwerk mit Verbündeten ist ein wichtiger und richtiger Schritt, antimuslimischen Rassismus beim Namen zu nennen. Der Kampf wird an verschiedenen Fronten von Menschen geführt, die hier geboren, aufgewachsen, migriert, geflüchtet oder durch ihr Geschlecht, sozialen Status oder Klasse benachteiligt sind. Deshalb ist es wichtig und notwendig, ein Bewusstsein zur intersektionellen, institutionellen und strukturellen Verankerung von antimuslimischen Rassismus zu schaffen und ihn zu bekämpfen. Dies ist nur dann möglich, wenn wir solidarische Bewegungen aufbauen, die für die gesamte Zivilgesellschaft für ein gleichberechtigtes Leben kämpfen.

Das Say it loud!-Magazin erscheint vierteljährlich und ist auf Protesten, über Sammelbestellungen (Empfehlung für Initiativen und Organisationen) und als Einzelabo erhältlich.