Viermal wurden Flüchtlinge aus Oberwaltersdorf dieses Jahr abgeschoben, dreimal traf es Familien, einmal einen jungen Bursch. Zwei Familien wurden nach Kroatien gebracht, eine nach Deutschland, und der junge Mann befindet sich jetzt in Spanien. Aus Oberwaltersdorf schrieb uns Silke.
Die 1. Abschiebung
Hier wurde eine Familie aus Georgien mit ihrer 4-jährigen Tochter am 5. April 2016 gegen 6 Uhr morgens von der Polizei abgeholt – sie hatten noch kurz Zeit um einige Habseligkeiten zu packen und wurden dann nach München gebracht – laut Dublin III ist für diese Familie Deutschland zuständig – sie wurden in ein Camp in Nürnberg verlegt und warten nun auf ihren Asylbescheid.
Die Familie kam im November 2015 zu uns in den Ort, der Mann sprach recht gut Deutsch, da er beruflich viele Jahre mit Deutschland zu tun hatte. Die Frau besuchte regelmäßig den Deutschkurs und war auf einem guten Weg.
Die 2. Abschiebung
Am 20. Juli fragt uns Yousef, ein 18-jähriger Syrer, der seit Anfang April mit seiner Mutter und seiner kleinen 12-jährigen Schwester hier bei uns im Ort wohnt, um Hilfe. Er braucht eine Fahrmöglichkeit zum nächsten Bahnhof. Zu diesem Zeitpunkt denken wir noch sie wollen nur nach Wien um Verwandte zu besuchen. Aber sie kamen nicht mehr zurück.
Sie versuchten über Wien mit dem Zug zum Bruder nach Deutschland zu kommen. Leider scheiterte dies an der österreichisch-deutschen Grenze und die deutsche Polizei schickt sie wieder zurück nach Österreich. Die 3 sind völlig fertig – wollen auf keinen Fall nach Kroatien abgeschoben werden. Möchten wenigstens ein Familienmitglied – das in Deutschland wohnt – endlich wiedersehen. Ein anderer Bruder/Sohn und der Vater/Ehemann sitzen schon über ein Jahr in Aleppo fest und die Familie fürchtet täglich um deren Leben.
Ihre Unterkunft im Ort wurde von der Diakonie als Unterkunftsgeber in Windeseile gleich an die nächste Flüchtlingsfamilie weiter vergeben und so muss Yousef mit seiner Mutter und Schwester nach Natschbach in ein Camp ausweichen und dort über zwei Monate auf ihre Abschiebung warten. Die Abschiebung selbst läuft ähnlich ab, wie immer – Polizeieinsatz – Schubhaft – Flughafen Wien – Flughafen Zagreb – Camp in Kutina.
Die 12-jährige Rawda ging drei Monate bei uns zur Schule und hat in dieser Zeit so viel Deutsch gelernt, dass man sich wirklich schon sehr gut mit ihr unterhalten konnte. Yousef spricht fließend englisch und war uns eine große Hilfe beim Kommunizieren mit anderen Flüchtlingen, die weder deutsch noch englisch sprechen konnten. Bereits an ihrem 2. Tag hier im Ort kamen die Mutter und Yousef zum Deutschkurs und besuchten diese regelmäßig. Die Mutter war über 30 Jahre lang Lehrerin in Syrien und war so froh, endlich auch geregelt Deutsch lernen zu dürfen. Die Familie war wirklich sehr rasch integriert, aber leider hat Dublin III auch hier mehr Gewicht als jegliche gelebte Integration.
Die 3. Abschiebung
Am 16. Oktober nachmittags klopfte es an der Türe einer jungen iranischen Familie (Ehepaar Samira & Puria, jeweils 22, mit je einem Bruder namens Reza 23 und 16)
Als der Mann Puria öffnete, standen 4 Polizeibeamte vor der Türe und wollten sie alle mitnehmen. Zu dem Zeitpunkt war nur Puria zuhause. Die drei anderen waren in der evang. Kirche. Die Polizei nahm ihn mit und fuhr zur Kirche – die drei anderen Familienmitglieder waren aber nicht mehr vor Ort. So nahm die Polizei nur den jungen Ehemann mit auf den Polizeiposten und dann kam er ins Schubhaftzentrum Rossauerlände.
Samira, ihr Bruder Reza und ihr Schwager Reza verbrachten eine Nacht in großer Angst bei einer befreundeten Familie – sie konnten nicht in die Wohnung, da die Polizei den einzigen Schlüssel mitgenommen hatte.
Am Montag 17. Oktober hätten die vier eigentlich eine Ladung im EAST OST Traiskirchen gehabt – zur Adressfeststellung wegen bevorstehender Abschiebung. Nun war nicht klar, sollen die drei zu diesem Termin erscheinen, um nicht einen Schubhafttitel auszulösen, oder sollen sie sich der Polizei stellen oder…
Um eine Einzelabschiebung von Puria zu verhindern, haben sich die drei anderen Familienmitglieder dann doch wieder VOR ihrer Wohnung eingefunden und gemeinsam mit uns Helfern auf die Polizei gewartet. Über ein Fenster konnten wir die notwendigsten Habseligkeiten noch zusammenpacken und kurz darauf war auch schon die Polizei da.
Der Abschied war schrecklich – für sie aber auch für uns Helferinnen.
Die junge Familie war im Ort schon sehr gut integriert. Sie kamen Anfang Jänner zu uns, besuchten seit Februar fünf Mal wöchentlich den Deutschkurs und lernten wirklich fleißig Deutsch, man konnte sich mit ihnen schon recht gut unterhalten. Puria spielte bereits in der örtlichen Fußball-Kampfmannschaft. Samira durfte einige Monate im Kindergarten helfen und war dort sehr beliebt.
Der minderjährige Reza war sowohl ein toller Läufer im örtlichen Laufteam, der einige Wettkämpfe gewonnen hat, als auch ein exzellenter Volleyballer – seit September war er Spieler in einem bekannten Wiener Volleyball-Team. Ende Oktober hätte er die A1 Prüfung ablegen sollen und mit 3.11. hätte die Schule in der Übergangsklasse einer HAK begonnen.
All ihre Träume wurden durch diese Aktion zerstört.
Den ganzen Montag, 17. Oktober verbrachten sie – getrennt voneinander – in Einzelzellen im Schubhaftzentrum Rossauerlände. Ihnen war nicht klar, was mit dem, am Sonntag bereits festgenommenen Puria geschehen war. Sie wurden wie echte Häftlinge behandelt – ein 16-jähriger Junge, der niemandem etwas getan hat, musste alleine in einer Zelle fast 24 Stunden verbringen – alle Habseligkeiten und Geräte (auch Handy) wurden ihnen abgenommen, sogar die Gürtel mussten sie abgeben.
Reza schrieb mir später – „In Haftanstalt für mich ein Jahr gedauert“
Am Mittwoch, 18. Oktober wurden sie – getrennt voneinander – zum Flughafen gebracht. Erst dort war klar, dass sie alle 4 gemeinsam nach Kroatien gebracht werden. Für jeden Flüchtling stand ein Polizist im Einsatz.
Nun sitzen sie in Kutina und warten auf ihr Interview, haben aktuell keine Zukunftsperspektive, weil ihre Träume zerstört wurden.
In ihrer Heimat waren sie Molkereiarbeiter, Friseurin und Modedesign-Studentin, Bauer und Schüler.
Zurück in den Iran können sie nicht, das wäre ihr sicherer Tod, denn Christen werden dort nicht akzeptiert.
Und all das nur, weil sie damals auf ihrer Flucht mit Massen von anderen Flüchtlingen irgendwo in Kroatien in einem Zug saßen, der angehalten wurde und allen Insassen Fingerabdrücke abgenommen wurden – niemandem wurde damals erklärt, dass dieser Fingerabdruck einem Asylantrag gleichzustellen ist. Kurz nach dieser Aktion rollte der Zug weiter Richtung Österreich. Dass dieser Abdruck sie nun nach Kroatien zurückbringt, verstehen sie leider gar nicht.
Was hat ein 16-jähriger „verbrochen“, dass ihm aufgrund dieses Fingerabdruckes wieder all seine Träume und Ziele zerstört werden? Wir sind im täglichen Kontakt mit ihnen – die Motivation bei ihnen ist sehr geschrumpft, sie sind depressiv und antriebslos.
Die 4. Abschiebung
Diesmal war es ein 19-jähriger Bursche aus dem Sudan mit sehr guten Englischkenntnissen.
Wieder mal gab es frühmorgentlichen Besuch der Polizei – Festnahme am 31. Oktober – Schubhaft bis 2. November – Abschiebung nach Madrid per Flugzeug am 2. November
Aktuell hat er bei einem Freund Unterschlupf gefunden und ist so der Unterbringung in einem Camp entkommen. Die Arbeitsaussichten in Madrid sind absolut NULL. Er hofft nun im südlichen Teil Spaniens eine neue Bleibe und Arbeit zu finden.
Wohin er nun aktuell genau gehen wird ist uns noch nicht bekannt.
James besuchte regelmäßig den Deutschkurs und war ein echtes Sprachentalent – in kürzester Zeit wechselte er von der Anfängergruppe in die Spitzengruppe, er wollte unbedingt rasch Deutsch lernen und das gelang ihm in unglaublich kurzer Zeit.
Leider hat auch hier keinerlei Integrationsbemühung einen Wert – Dublin III lässt grüßen.