Bundesverwaltungsgericht rügt Innenministerium: Gerechtigkeit für Tina und alle abgeschobenen Kinder


Tina und ihre Freundin Julia. Foto: privat

Die Abschiebung der damals 12-jährigen Tina, ihrer 5-jährigen Schwester und Mutter im Jänner 2021 war rechtswidrig, das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) entschieden. „Den Beschwerden gegen die Abschiebungen wird […] stattgegeben und die […] erfolgten Abschiebungen der Beschwerdeführerinnen nach Georgien [werden] für rechtswidrig erklärt“, heißt es in der Entscheidung. Das Gericht gibt damit der Maßnahmenbeschwerde von Anwalt Wilfried Embacher gegen das Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen (BFA) im Innenministerium unter dem damaligen Innenminister und nunmehrigem Kanzler Karl Nehammer, das die Abschiebung durchführte, Recht.

Das BVwG hebt in seiner Begründung besonders das missachtete Kindeswohl hervor. Es seien stets „die besten Interessen und das Wohlergehen der Kinder“ und deren „soziale, kulturelle und familiäre Bindungen zum Aufenthaltsstaat“ zu berücksichtigen, so das Gericht. „Die wesentliche Feststellung des Gerichts lautet, dass Kriterien für die Kindeswohlabwägung zeitnahe vor der Abschiebung nicht geprüft wurden“, schreibt Embacher auf Twitter. „Das wäre aber im Hinblick auf den seit Erlassung der maßgeblichen Rückkehrentscheidung notwendig gewesen und hätte zu dem Ergebnis geführt, dass die Abschiebung unzulässig ist.“

Verleumdungskampagne

Das Ministerium hätte, kurz gesagt, noch einmal prüfen müssen und hätte dabei festgestellt, dass Tina bereits zu verwurzelt in Österreich und damit zu alt für eine Abschiebung war. Die Verantwortlichen im Innenministerium setzen sich indes weiter über die Kinderrechte hinweg. Obwohl die Erfolgsaussichten gering sind, will das zuständige BFA die Entscheidung mit einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) anfechten. Mehr noch, der Leiter des BFA Gernot Maier beschuldigte im Interview mit der ZiB2 in Reaktion auf die Entscheidung einmal mehr die Mutter von Tina, wie das der damalige Innenminister Nehammer bereits kurz nach der Abschiebung getan hatte.

Das BFA behauptet – und Medien wie die Kleine Zeitung übernehmen die gezielte Desinformation aus dem Innenministerium offenbar ungeprüft – dass gegen Tinas Mutter ein Einreiseverbot bestehe. Das sei falsch: „Es gibt KEIN Einreiseverbot“, stellt Embacher auf Twitter richtig. Darüber hinaus spielt ein mögliches Fehlverhalten der Eltern (die Mutter soll sich Abschiebungen entzogen haben) bei der Beurteilung des Kindeswohls zunächst keine Rolle, sagt Embacher im Interview mit Puls 24. Stattdessen müssten die Behörden jetzt schnell Wiedergutmachung leisten und auch Tinas Mutter und ihrer Schwester, die noch immer in Georgien sind, einen Aufenthaltstitel in Österreich erteilen.

Kinder haben Rechte

Tina wurde nie von den Behörden angehört, kritisiert Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination. Seit der Rückkehrentscheidung vom September 2019 habe sich viel getan und das BFA hätte eine Interessensabwägung zwischen der Republik Österreich einerseits und jenen der Betroffenen auf „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ andererseits durchführen müssen, erklärt Gahleitner-Gertz die BVwG-Entscheidung. „In vierzehn Monaten kann einiges passieren. Im Fall von Tina hat sie zum Beispiel das sogenannte anpassungsfähige Alter, das in der Rechtssprechung und Wissenschaft bis etwa 12 Jahren angenommen wird, verlassen“, sagt Gahleitner-Gertz. Das BFA habe dies unterlassen und sogar einen diesbezüglichen Antrag von Tina aus dem Mai 2020 bis heute nicht geprüft.

Wir fordern als Plattform für eine menschliche Asylpolitik eine Entschuldigung der politisch Verantwortlichen bei Tina und ihrer Mutter und allen solidarischen Menschen, die sich der rechtswidrigen Abschiebung mutig in den Weg gestellt haben und die mit roher Polizeigewalt eingeschüchtert und drangsaliert wurden. Wir verlangen Aufenthaltstitel für Tinas Mutter und Schwester, für Sona und Ashot aus Armenien und alle angeschobenen Kinder und Jugendlichen in Österreich sowie die rasche Umsetzung der Vorschläge der Kindeswohlkomission, insbesondere ein Mitspracherecht der Bezugspersonen der Betroffenen, Vertreter*innen der jeweiligen Gemeinde und von humanitären Organisationen.

Kinder haben Rechte – das ist die wichtigste Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts.