Katharina Stemberger: „Wir haben nicht mehr gemacht, als hinzuschauen“


Courage-Initiator*innen Ferry Maier (Menschen.Würde.Österreich), Judith Kohlenberger (Wirtschaftsuniversität Wien), Katharina Stemberger, Marcus Bachmann (Ärzte ohne Grenzen) und Stefan A. Sengl (The Skills Group). Foto: Courage

Die Initiative Courage – Mut zur Menschlichkeit fordert lautstark die Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Elendslagern. Wir haben mit Schauspielerin Katharina Stemberger, einer der Gründer*innen von Courage, über den langen Sommer der Solidarität 2015, die Hilfsbereitschaft der österreichischen Zivilgesellschaft und die #WirHabenPlatz-Bewegung gesprochen.

Say it loud!: Sie haben kurz nach dem verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria die Initiative Courage – Mut zur Menschlichkeit gegründet. Was waren Ihre Beweggründe?

Angesichts der vermehrten Meldungen über Selbstmorde von Kindern und Jugendlichen im alten Lager „Moria 1“ und der katastrophalen Lage dort, wollten wir jenen Menschen in Österreich eine Stimme geben, die sich dem europäischen Gedanken entsprechend an einer Entlastung dieser Situation beteiligen wollten. Indem Österreich Menschen aufnimmt.

Sie waren auf Lesbos und haben mit den Menschen gesprochen. Wir kennen viele verzweifelte Fluchtgeschichten. Was macht den Menschen Mut, was gibt ihnen Hoffnung?

Das ist genau das Problem. Ein Vater hat mir erzählt, dass er sich und seiner Familie während der Flucht immer wieder gesagt hat, es sei zwar jetzt schlimm, aber wenn sie erst einmal Europa erreicht hätten, würden sie in Sicherheit, ohne Angst und gut versorgt sein. Das Arge für ihn war, dass er nach mehreren Monaten im Lager nicht mehr wusste, was er seiner Familie sagen soll.

Die Menschen hoffen einfach, dass sie irgendwann an Orte in Europa kommen, an denen sie tatsächlich menschenwürdig leben können. Alleine auf Lesbos sind über 3.000 Menschen, die bereits einen positiven Asylbescheid haben, die aber von dort nicht weggehen können, weil man sie daran hindert. Jene, die in Athen auf der Straße leben, bekommen keine Unterstützung. Sie schaffen es auch nicht über die Grenze.

Dabei gibt es so viele Initiativen wie die Seebrücke und viele andere, die sagen: Wir haben Platz. Im Oktober 2020 haben wir in einer ersten schnellen Rundfrage bei Caritas, Diakonie und Volkshilfe 3.000 Plätze für Menschen in Österreich zusammengetragen. Plätze, die sofort zur Verfügung stehen würden. Es geht um eine geordnete Rettung. Wie Bischof Hermann Glettler sagte: Wir werden es doch schaffen, 100 Familien aufzunehmen!

Sehen die Menschen in den Lagern, was wir, die solidarische Zivilgesellschaft, tun?

Das bekommen sie schon mit. Vor allem natürlich, was die NGOs vor Ort leisten. So wie die Initiative Home for All von Nikos und Katerina, die täglich 1.200 warme Mahlzeiten für die besonders Vulnerablen, die Alten und Schwachen, zubereiten. Das ist natürlich nur durch Spenden möglich. Aber vor allem sind die Menschen mit dem Überleben beschäftigt.

Wir erheben nun schon seit Monaten die Forderung, die Lager zu evakuieren.

Ja! Das ist auch die einzig sinnvolle menschliche Antwort.

Courage plakatierte auf der Wienzeile den „herzlosen Kanzler Kurz“, gezeichnet von Gerhard Haderer. Foto: Courage

Kanzler Sebastian Kurz behauptet aber, dass wir keine Menschen mehr aufnehmen können, weil wir die Vielen, die seit 2015 gekommen sind, erst „integrieren“ müssten. Wie steht es um die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft hierzulande?

2015 haben die staatlichen Institutionen versagt. Es war ein Chaos. Deswegen haben manche sagen können: Wir werden überrollt. Man begann, vorgeblich irgendwelche „Routen“ zu schließen. Routen, die man nicht schließen kann. Auf der anderen Seite haben wir seit 1945 immer wieder große Fluchtbewegungen erlebt. Wir, die Zivilgesellschaft, haben diese immer gut gemeistert. Auch 2015 waren es wir, die eingesprungen sind.

Auch die Fakten sprechen für uns. Knapp die Hälfte aller anerkannten Flüchtlinge aus den Jahren 2015 und 2016 haben bereits einen Arbeitsplatz gefunden, zeigte ein Bericht des Arbeitsmarktservice (AMS) letzten Herbst. Also worüber reden wir hier? Darüber hinaus wird so vieles vermischt: Wir haben die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben und Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Terror flüchten müssen, haben Schutz zu bekommen und menschenwürdig untergebracht zu werden. Diese Standards werden in Griechenland leider nicht eingehalten.

Das Einzige, was wir als Courage machen, ist hinzuschauen. Und wir werden nicht aufhören, hinzuschauen.

Durch dieses Hinschauen haben Sie ein enormes Momentum erzeugt. Sogar der Bundespräsident hat betont, dass wir Platz für Schutzsuchende haben. Wie kann #WirHabenPlatz eine Bewegung bleiben?

Wir müssen dranbleiben und auf verschiedenen Ebenen arbeiten. Ich denke an Italien. Dort musste man auch sehr lange mit der Regierung verhandeln, damit diese endlich Menschen aus den Horrorlagern aufnimmt. Ich glaube fest daran, dass es möglich ist. Egal, ob ich mit Menschen aus der Zivilgesellschaft, mit Bürgermeister*innen oder Vertreter*innen aus Pfarren gesprochen habe. Sie alle sagen: Natürlich können wir nicht allen helfen. Aber wir können einen Beitrag leisten. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass diese „Hilfe vor Ort“, von der gerne gesprochen wird, schlicht nicht funktioniert und ankommt.

Herzlichen Dank, dass Sie in diesen kalten Zeiten die Menschlichkeit hochhalten.

Wir tun, was wir tun müssen. Damit werden wir uns zwar nicht immer Freunde machen. Aber es gibt auch keine Alternative.

Das Interview führte David Albrich.

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