Plattform veröffentlicht Dokumente zur skandalösen Untersagung von antifaschistischem Protest


Foto: Markus Sulzbacher (Hintergrund) / Screenshot Untersagung

Am Sonntag ermöglichte die Wiener Polizei der FPÖ und Neonazis stundenlange Gewaltexzesse auf Wiens Straßen. Gleichzeitig wurde unser antifaschistischer Gegenprotest mit völlig fadenscheinigen Begründungen, skandalösen Unterstellungen und beispiellosem Drüberfahren, ohne uns wirklich anzuhören, verboten. So wurde eine Risikoeinschätzung der Gesundheitsbehörden über die Coronaleugner-Demos einfach auf unsere Versammlung übertragen. Hinzu kommt: Noch bevor wir überhaupt von einem beabsichtigten Verbot in Kenntnis gesetzt wurden, informierte die Polizei die Öffentlichkeit längst über eine angeblich beschlossene Untersagung, die nicht einmal rechtskräftig war.

Wir, die Plattform für eine menschliche Asylpolitik, veröffentlichen die Untersagung, den Schriftverkehr mit den Behörden und die Chronologie bis zum Verbot. Wir finden, dass diese Dokumente von öffentlichem Interesse sind. Wir werden Einspruch einlegen und appellieren an alle Antifaschist_innen, uns mit Spenden zu unterstützen, damit wir rechtlich gegen diese skandalöse Untersagung vorgehen können. Das lassen wir nicht auf uns sitzen.

Spendenkonto
IBAN: AT58 2011 1843 6694 6100
Betreff: „Untersagung“

Grundsätzlich sollte niemand infrage stellen, dass Antifaschismus gerade in Österreich, bei dieser Geschichte, Pflicht ist. Dass wir aufschreien und aufstehen müssen, wenn die rechtsextreme FPÖ zusammen mit Neonazis auf der Straße eine gewaltbereite Bewegung aufzubauen versucht, die Journalist_innen und politische Gegner_innen attackiert. So eine Bewegung radikalisiert sich, wenn nicht konfrontiert, schnell: Muslim_innen, Jüdinnen und Juden, Ausländer_innen, Gewerkschafter_innen und Demokrat_innen geraten ins Visier. Mitten in dieser Bewegung ziehen FPÖ-Abgeordnete sowie der Hassprediger und Klubchefs, Herbert Kickl, der am Sonntag als Hauptredner vorgesehen war, die Strippen.

Wir erinnern daran, dass die FPÖ schon mehrfach versucht hatte, so eine, die Demokratie ernsthaft gefährdende, Bewegung auf der Straße aufzubauen: ihre Kundgebungen gegen islamische Kulturzentren; 2014 das Vorhaben, die rassistische Pegida-Bewegung in Österreich zu kopieren oder 2016 die Aufmärsche gegen Asylheime in den Wiener Bezirken Liesing und Floridsdorf. Immer waren es Antifaschist_innen, oft unter Federführung unserer Plattform, die sich ihnen in den Weg gestellt und die faschistischen Straßen-Gehversuche vereitelt haben. Wir werden uns dieses Recht künftig nicht nehmen lassen, denn es ist unsere antifaschistische Pflicht. Ein Gebot zum Widerstand gegen ungerechte Gesetze, wie wenn Kinder abgeschoben werden.

Vorbildwirkung in Pandemie

Zugleich kann uns niemand vorwerfen, dass wir nicht alles dafür tun, unsere Proteste auch in einer Pandemie sicher zu organisieren. Wir haben ein eigenes Sicherheitskonzept erarbeitet, an dem bislang überhaupt keine Kritik geübt wurde. Aber nicht nur das, wir haben mit unseren Demonstrationen durch unsere konsequente Durchsetzung von Abstandhalten, Maskenpflicht und Hygieneschutzmaßnahmen auch eine Vorbildwirkung in der Gesellschaft. Indem die Polizei behauptet, wir würden das „öffentliche Wohl“ und die Gesundheit gefährden, nährt sie selbst Skepsis an den wissenschaftlichen Fakten über das Coronavirus.

Völlig anders als die „Querdenken“-Spaziergänge, auf denen offen dazu aufgerufen wird, die Corona-Maßnahmen zu sabotieren, Passant_innen angespuckt und Risikogruppen ernsthaft gefährdet werden, waren unsere Aktionen immer sicher. Die Proteste zum Weltflüchtlingstag, nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria oder am 3. Oktober 2020 zum fünfjährigen Jubiläum der Solidaritätsbewegung mit Geflüchteten im Jahr 2015 beweisen, dass sich die Teilnehmenden an unseren Versammlungen immer äußerst bemüht haben, unser Sicherheitskonzept durchzuziehen. Unsere Ordner_innen waren vorbereitet und mussten aufgrund der vorbildlichen Achtsamkeit der Teilnehmenden nur selten eingreifen.

Gleichsetzung mit Pandemieleugnern

Aus den von uns veröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass die Wiener Polizei (gezeichnet von Polizeipräsident Gerhard Pürstl persönlich) von den Gesundheitsbehörden eine Einschätzung über das Risiko der Coronaleugner-Demos erfragte, weil die Abstände auf diesen Märschen nicht eingehalten werden und, so Pürstl, „die Erfahrung zeigt, dass auch das Gebot des Tragens eines eng anliegenden [Mund-Nasen-Schutzes] in hohem Maße missachtet wird“.

Das Antwortschreiben des Gesundheitsdienstes (datiert mit 27. Jänner, also drei Tage vor der Untersagung) bezüglich dieser Leugnungs-Demonstrationen wurde dann tatsächlich per Copy-Paste auf die Untersagung unserer Versammlung übertragen! Man dachte nicht einmal daran, mit den Gesundheitsbehörden über unser Sicherheitskonzept zu sprechen, stattdessen ignorierte und vertröstete man uns tagelang! Hinzu kommt der absurde Vorwurf, es könnte sich auf unseren Protesten ein völlig hypothetischer, gesundheitsschädigender „Schwarzer Block“ formieren – eine derart groteske Fantasiebehauptung (des ohnehin bereits so schwer in der Kritik stehenden Verfassungsschutzes), die an autoritäre Regimes erinnert.

Aushöhlung des Demonstrationsrechts

Wenn sich derart gefährliche politische Entwicklungen ergeben, wie die Formierung einer gewaltbereiten faschistischen Straßenbewegung unter dem Schutz der Behörden, dann müssen wir erst recht auf dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit bestehen. Dann sollte eine Gesellschaft überhaupt nicht diskutieren müssen, ob ein Protest auf der Straße legitim ist.

Ganz besonders, wenn seit Monaten von der Wiener Polizei versucht wird, das Demonstrationsrecht auszuhöhlen, indem auf das Gesundheitsministerium Druck ausgeübt wird, politische Versammlungen nicht von den COVID-19-Verordnungen auszunehmen. Man versucht sich hier vonseiten des Staates einen größeren Handlungsspielraum zu schaffen, unliebsame politische Meinungen künftig leichter zu verbieten. Gewerkschaften, Parteien, Initiativen, engagierte Bürger_innen,… kurz: alle Demokrat_innen sollten höchst alarmiert sein. Wir werden uns gegen diese skandalöse Untersagung mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr setzen.

Chronologie des Demonstrationsverbots (mit Dokumenten):

  • Dienstag, 26. Jänner 2021: FPÖ-Klubchef Kickl kündigt seine Teilnahme an der Corona-Demo an; die Plattform für eine menschliche Asylpolitik meldet ordnungsgemäß einen Protestzug vom Schottentor über den Ring zum Heldentor unter dem Motto „Unsere Solidarität gegen Coronaleugner, Faschismus und FPÖ“ bei der Versammlungsbehörde unter besonderem Hinweis auf die Durchsetzung von Corona-Schutzmaßnahmen (FFP2-Maskenpflicht etc.) an. [Anmeldung]
  • Mittwoch, 27. Jänner, 12:38 Uhr: (Erfolgreiche) telefonische Kontaktaufnahme mit der Versammlungsbehörde und Anfrage, ob der Protest wie geplant stattfinden kann; keine Auskunft; es hießt nur, man werde sich melden.
  • Donnerstag, 28. Jänner, 16:43 Uhr: Erneute telefonische (nicht erfolgreiche) Kontaktaufnahme mit Versammlungsbehörde, nachdem bislang keine Rückmeldung.
  • Freitag, 29. Jänner, 12:19 Uhr: Weitere (erfolgreiche) telefonische Kontaktaufnahme mit Vereinsbehörde; wieder keine Auskunft und Vertröstung, man müsse sich noch gedulden.
  • Freitag, 29. Jänner, 14:55 Uhr: Die Landespolizeidirektion Wien setzt die Öffentlichkeit über Twitter über die Untersagung unseres Protests in Kenntnis, obwohl überhaupt keine Gespräche stattgefunden haben (in der Regel, muss man wissen, kommt es bei größeren Protesten im Vorfeld zu Besprechungen mit der Polizei, den Wiener Linien, Gesundheitsbehörden etc.) [LPD Wien auf Twitter]
  • Freitag, 29. Jänner, 15:06 Uhr: Die Versammlungsbehörde informiert den Anmelder über Email (nicht telefonisch) über die „beabsichtigte Untersagung“ (also nicht die tatsächliche Untersagung) und fordert ihn auf, sich in weniger als eineinhalb Stunden schriftlich zu äußern (Frist 16:30 Uhr). Hätte der Anmelder nicht regelmäßig seine Mailbox kontrolliert, wäre diese Frist womöglich verstrichen. In den Medien verbreitet sich währenddessen längst, dass unser Protest untersagt sei – ohne dass wir die Möglichkeit gehabt hätten, uns zu äußern; ohne, dass jemals ein Gespräch mit den Gesundheitsbehörden stattgefunden hätte. Im Anhang des Schreibens der Versammlungsbehörde wurde dem Anmelder auch der Schriftverkehr zwischen Polizeipräsident und Gesundheitsdienst (bezüglich der Coronaleugner-Demos) und eine Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Wien übermittelt. Dieses Schreiben strotzt nur so vor Widersprüchen, so wird u.a. behauptet, dass der Abstand bei „engeren Straßenzügen“ nicht einzuhalten sei, obwohl unsere Anmeldung gemäß unserem Corona-Sicherheitskonzept eben nur auf großen Flächen geplant war (Ring, Heldenplatz). [beabsichtigte Untersagung] [Schriftverkehr zwischen Pürstl und Gesundheitsbehörde] [Einschätzung LVT Wien]
  • Freitag, 29. Jänner, 16:31 Uhr: Innerhalb von nicht einmal eineinhalb Stunden musste sich der Anmelder mit den Bündnispartner_innen absprechen und eine schriftliche, inhaltliche Entgegnung verfassen (de facto ohne Möglichkeit, einen Rechtsbeistand beizuziehen). Wir veröffentlichen diese ebenfalls hier, auch wenn sie inhaltlich unvollständig ist. Die Rechtschreibung und Grammatik zeugt von der völlig unzumutbaren Drucksituation, die von den Behörden aufgebaut wurde (das Dokument wurde genau eine Minute nach Ablauf der Frist abgeschickt). [Stellungnahme bezüglich beabsichtigter Untersagung]
  • Freitag, 29. Jänner, 18:47 Uhr: Erst jetzt spricht die Versammlungsbehörde offiziell die Untersagung aus und behauptet trotz tagelanger Funkstille, man hätte „die Möglichkeit eingeräumt, sich innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich dazu zu äußern“. Das Gespräch hat sie niemals gesucht und auch niemals mit uns über unser Sicherheitskonzept gesprochen. Stattdessen wird in der Untersagung die Einschätzung des Gesundheitsdienstes bezüglich der Coronaleugner-Demonstrationen reproduziert und gegen unsere Versammlung ins Feld geführt. [Behördliche Untersagung]
  • Freitag, 29. Jänner, 21:51 Uhr: Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik wendet sich in einer Stellungnahme zur Untersagung an die Öffentlichkeit.