Stellungnahme: Straftatbestand „religiös motivierte extremistische Verbindung“ ist diskriminierende Umgehungskonstruktion


Foto: Jolly Schwarz

Stellungnahme der Plattform für eine menschliche Asylpolitik zum Ministerialentwurf Terror-Bekämpfungs-Gesetz (TeBG) und der geplanten Einführung des Straftatbestands § 247b StGB „religiös motivierte extremistische Verbindung“ und eines Erschwerungsgrundes in § 33 StGB „aus religiös motivierten extremistischen Beweggründen“.

Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik lehnt die Einführung eines neuen Straftatbestands § 247b StGB „religiös motivierte extremistische Verbindung“ und damit verbunden eines Erschwerungsgrundes in § 33 StGB „aus religiös motivierten extremistischen Beweggründen“ entschieden ab. Der geplante Straftatbestand ist nachweislich eine bewusste Umgehungskonstruktion für ein Sondergesetz bzw. einen Sonderstraftatbestand „politischer Islam“, widerspricht damit der jüngsten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs, ist undefiniert, unspezifisch, in seiner Wirkung in Bezug auf Terrorprävention kontraproduktiv und steht in keinem ursächlichen bzw. präventiven Zusammenhang mit dem schrecklichen Terroranschlag in Wien am 2. November 2020.

Die Plattform appelliert daher an die Abgeordneten, diesem Gesetz nicht zuzustimmen.

1. Tatsächlich ein Straftatbestand „politischer Islam“

Der geplante Straftatbestand ist im Kern ein lange geplantes Projekt der politischen Rechten, das auf entsprechende Vorstöße von FPÖ und ÖVP zurückgeht. Als Straftatbestand gegen den „politischen Islam“ war dieser immer als deutlich selektives und spezifisch auf die Religion des Islam ausgerichtetes Gesinnungsgesetz gedacht, formuliert und geplant.

Die ÖVP forderte im Wahlprogramm 2017 „Null Toleranz gegenüber dem politischem Islam“ und dementsprechend das Strafrecht nachzuschärfen.[1] Das türkis-blaue Regierungsübereinkommen aus demselben Jahr sah „strafgesetzliche Bestimmungen gegen den politischen Islam (Ausgestaltung im StGB)“ im Strafgesetzbuch vor.[2] Die Folgekoalition aus ÖVP und Grünen setzte das Vorhaben in ihrem Regierungsübereinkommen als „Präzisierung und Ergänzung von Straftatbeständen zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)“ fort.[3] Was die Nennung des „politischen Islam“ als Klammerausdruck bezweckt, ist nicht eindeutig, lässt aber den Schluss nahe, dass es sich dabei um eine zwischen den Parteien akkordierte Ausweichformulierung und Umgehungskonstruktion handelt, auf die auch nun in der Gesetzesvorlage zurück gegriffen wird.

Nach dem Terroranschlag vom 2. November in Wien kündigte ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz bei einem Ministerratsvortrag die konkrete Umsetzung eines Straftatbestands „politscher Islam“ als „Kampf gegen den politischen Islam und die ideologische Grundlage dahinter“ an.[4] Bei der Präsentation des Straftatbestands nach einem weiteren Ministerrat im Dezember 2020 bekräftigte Integrationsministerin Susanne Raab: „Selbstverständlich haben wir einen Straftatbestand geschaffen, der den ‚Politischen Islam‘ in Österreich verbietet.“[5]

Dabei muss erwähnt werden, dass derzeit sämtliche Strömungen des pluralistischen politischen Islam sowohl politisch, als auch medial und institutionell (und dabei wissenschaftlich völlig unzulässig) auf „eine Feindschaft zu Demokratie und Menschenrechten“ reduziert werden, wie es etwa auch der Politologe Dr. Benjamin Opratko kritisiert.[6] Darüber hinaus gibt es derzeit in Österreich keinerlei politische oder mediale Diskussion darüber, inwiefern ein – real existierendes[7] – reaktionäres politisches Christentum als „religiös motivierte extremistische Verbindung“ strafrechtlich verfolgt werden sollte.

2. Eine Umgehungskonstruktion

Noch vor der Präsentation des Straftatbestands, in der Phase der koalitionsinternen Abstimmung und legistischen Formulierung, hob der Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Kopftuchverbot an Volksschulen als verfassungswidrig auf. In seiner Erkenntnis befand der VfGH, dass sich das Verbot „nachteilig auf die Inklusion betroffener Schülerinnen auswirken und zu einer Diskriminierung führen“ könne, weil „es das Risiko birgt, muslimischen Mädchen den Zugang zur Bildung zu erschweren bzw. sie gesellschaftlich auszugrenzen“. Das Gesetz „stigmatisiert gezielt eine bestimmte Gruppe von Menschen“.[8]

Mit dieser Judikatur war die Regierung unter Druck, den neu geplanten Straftatbestand so umzuformulieren, dass er nicht erneut vom VfGH aufgehoben wird, und dennoch die politisch tendenziöse, selektive und diskriminierende Absicht zu erkennbar bleibt. Der Gesetzestext formuliert daher den Gesetzestext scheinbar neutral als „religiös motivierte extremistische Verbindung“. In den Erläuterungen – dem „Beipackzettel“ zum Gesetz – wird auch kein Hehl daraus gemacht, dass es im Grunde um den „Bereich des Islamismus (z. B. politischer Islam)“ gehe.[9]

Der Widerspruch zwischen der Kommunikation zu dem Gesetz (siehe Punkt 1) und der im Gesetzestext gewählten Formulierung legt den Schluss nahe, dass es sich bei der scheinbar neutralen Formulierung um eine bewusste Umgehungskonstruktion handelt, die als solche benannt werden muss, um die dahinter liegende Absicht und die damit verbundenen Folgen und Auswirkungen zu benennen: Es ist davon auszugehen, dass sich dieses Gesetz in ähnlicher Weise wie das o.a. Kopftuchverbot nachteilig auf die Inklusion von Muslim_innen in Österreich auswirken würde, da das Gesetz de facto eine bestimmte Gruppe von Menschen stigmatisiert.

Zudem weisen Expert_innen wie die Extremismusforscherin Dr.in Daniela Pisoiu vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip) darauf hin, dass die Repressionsmittel in der Terrorbekämpfung längst ausgereizt seien. Sie kritisiert die Einführung eines neuen Straftatbestands: „Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man Extremismus am besten durch Verbote bekämpft.“[10]

3. Gesinnungsstrafrecht

Wir haben bereits im November gemeinsam mit weiteren Organisationen wie der Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus, #aufstehn, der Asylkoordination, dem Black Voices Volksbegehren, den Omas gegen Rechts, epicenter.works und der Antidiskriminierungsstelle ZARA einen offenen Brief unterzeichnet, der die Einführung eines Straftatbestands „politischer Islam“ strikt ablehnt. Darin heißt es:

„Es gibt keine einheitlich wissenschaftlich anerkannte Definition des Begriffs ‚politischer Islam‘. Da es ein Sammelbegriff für unterschiedliche Gruppen mit sich unterscheidenden ideologischen Standpunkten ist. Folglich kann der geplante Straftatbestand zu einer undifferenzierten, sogar unsachgemäßen Verwendung des Begriffs führen. Dies birgt die Gefahr, dass alle Muslim*innen unter Generalverdacht gestellt, von der Exekutive beobachtet, verfolgt und sogar in ihrer Existenz bedroht werden können. Dies kommt einem Gesinnungsstrafrecht gleich, gegen das wir eintreten.“[11]

Diese Einschätzung wird auch von weiteren Expert_innen geteilt, wie dem Islamwissenschaftler Univ.-Prof. Dr. Rüdiger Lohlker[12], dem Strafrechtler Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer[13], der Juristin und Kriminologin Mag.a Angelika Adensamer, MSc[14] oder dem Verfassungsrechtler Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk[15]. Darüber hinaus wurde von den o.a. Expert_innen mehrfach betont, dass die geplante Strafbestimmung bereits durch geltendes Recht erfasst sei, wie es Funk auf den Punkt bringt: „Hier wird eine Art legistischer Aktionismus gesetzt. […] Es ist ein Akt symbolischer Gesetzgebung.“[16]

4. Schlussfolgerung

Der geplante Straftatbestand „religiös motivierte extremistische Verbindung“ und der damit verbundene Erschwernisgrund sind als Sondergesetze abzulehnen. Die Entstehungsgeschichte zeigt, dass es sich in der politischen Absicht und in der bisherigen Kommunikation immer und ausschließlich um eine selektive, auf eine Religion ausgerichtete strafgesetzliche Bestimmung handelt(e). Das Gesetz bekämpft nicht den Terror, sondern schürt und verstärkt Diskriminierung, insbesondere antimuslimischen Rassismus, und birgt die ernste und besorgniserregende Gefahr eines Gesinnungsstrafrechts.

Die religiös-neutrale Formulierung ist dem Bedarf nach einer Umgehungskonstruktion u.a. auf Grund des VfGH-Erkenntnisses zur Aufhebung des Kopftuchverbots an Volksschulen geschuldet und darf nicht über die politische wiederholt kommunizierte Absicht eines expliziten Straftatbestands „politischer Islam“ – und damit der Stigmatisierung einer religiösen Gemeinschaft in Österreich – hinwegtäuschen.

In diesem Sinne lehnen wir daher als Plattform für eine menschliche Asylpolitik die Einführung des geplanten Straftatbestandes § 247b und eines Erschwernisgrundes in § 33 StGB ab.

Über uns: Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik ist ein breiter politischer Zusammenschluss von NGOs, Flüchtlingsinitiativen, politischen Organisationen sowie engagierten Persönlichkeiten. Die Plattform bekämpft Rassismus gegen Geflüchtete, gegen die Schwarze Community und People of Color, antimuslimischen Rassismus, Antisemitismus und alle Formen von Diskriminierung.


[1] Das Programm der Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei zur Nationalratswahl 2017, Teil 3: Ordnung & Sicherheit (Wien, 2017), S. 22; 25

[2] Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017-2022 (Wien, 2017), S. 32

[3] Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020-2024 (Wien, 2020), S. 34

[4] Sebastian Kurz, Ministerratsvortrag (11. November 2020)

[5] Susanne Raab, in: Regierungspressekonferenz, in: Youtube (16. Dezember 2020)

[6] Benjamin Opratko, Islamophobie und politischer Islam: Worum es im Konflikt geht, in: Die Presse (24. November 2020)

[7] Vgl. ORF-Weltjournal+, Abtreibung – Kreuzzug gegen Frauenrechte, in: Youtube (27. November 2020); Patricia Huber, Radikale Christen und Rechte führen einen systematischen Kampf gegen Frauen in Europa, in: Kontrast (24. April 2019); Hans Rauscher, Kirche und Politik: Die Fundis im Kommen, in: Der Standard (16. Dezember 2020); Lisa Wölfl, „Marsch fürs Leben“: Wer hinter der Anti-Abtreibungs-Demo steckt, in: Moment (17. Oktober 2020)

[8] Verfassungsgerichthof, Entscheid G 4/2020-27 (11. Dezember 2020), S. 48

[9] Erläuterungen zu Ministerialentwurf, Terror-Bekämpfungs-Gesetz – TeBG (83/ME), in: Österreichisches Parlament (22. Dezember 2020)

[10] Interview mit Daniela Pisoiu, in: ORF-ZiB Nacht (16. Dezember 2020)

[11] Offener Brief an Regierung: Gegen Rassismus und Abbau von Grund- und Freiheitsrechten!, in: menschliche-asylpolitik.at (25. November 2020)

[12] Interview mit Rüdiger Lohlker, „Für die Terrorbekämpfung eher kontraproduktiv“, in: Die Zeit (20. November 2020)

[13] Alois Birklbauer, Ein Schnellschuss ins rechte Seitenaus, in: Verfassungsblog (12. November 2020)

[14] Angelika Adensamer, Antiterrorpaket: Grundrechtswidriger Rechtspopulismus statt Gefahrenabwehr, in: Mosaik-Blog (12. November 2020)

[15] Vanessa Gaigg, Colette M. Schmidt, Fabian Schmid, Antiterrorpaket: Scharfe Kritik an „symbolischer Gesetzgebung“, in: Der Standard (18. Dezember 2020)

[16] Ebd.