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Migrationsforscherin: „Das ist rassistische Rhetorik von der Regierungsspitze abwärts“

Die Kulturwissenschafterin Judith Kohlenberger forscht und lehrt am Institut für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Foto: Nini Tschavoll / Madame Wien

ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz bezichtigte Menschen mit Migrationsbiografie, sie wären für die hohen Ansteckungszahlen im Herbst verantwortlich. „Das ist rassistische Rhetorik von der Regierungsspitze abwärts“, sagt die Wiener Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien im Interview mit Judith Ranftler. Und das ist brandgefährlich: „Die Grenze des Sagbaren verschiebt sich schnell, wenn der Bundeskanzler unwidersprochen bleibt. Das erinnert an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte, die wir eigentlich nie wieder beschreiten wollten.“ Ein Gespräch über Rassismus, soziale Klassen und darüber, was wir dem herrschenden Diskurs entgegensetzen können.


Judith Ranftler: SOS Mitmensch warf dem türkisen Kanzler Sebastian Kurz „Sündenbockpolitik“ vor, sogar die bürgerliche Presse schrieb, es gehe hier „um den Aufbau von Sündenböcken“. Warum denkst du, behauptete Kurz zuletzt, dass „insbesondere Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt“ hätten? Immerhin ein Lüge, wie wir wissen: mindestens 85 Prozent der Infektionen kamen im fraglichen Zeitraum in Österreich und durch österreichische Urlauber_innen zustande.

Judith Kohlenberger: Wir befinden uns offenbar in der Talsohle der Krisenbewältigung. Im März gab es untereinander noch viel Solidarität, jetzt hat das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen. Aus der Geschichte wissen wir, dass in Zeiten eines Wirtschaftsabschwungs die Diskriminierung gegenüber vermeintlich Fremden am Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft stark zunimmt.

Wir sehen nun leider rassistische Rhetorik von der Regierungsspitze abwärts. Es besteht die Gefahr, dass sich das Narrativ in der Gesellschaft durchsetzt, die migrantische Bevölkerung sei für die zweite, extrem starke Coronawelle verantwortlich. Zugleich lenkt man dadurch natürlich auch von strukturellen und politischen Ursachen ab.

Wir wissen leider, dass es bei diesen großen Erzählungen nie bei bloßen Worten bleibt, sondern sie auch immer zu konkreten Handlungen führen. Welche Gefahren siehst du?

Anhand der Arbeitsmarktdaten sehen wir, dass die coronabedingte Arbeitslosigkeit ausländische und zugewanderte Beschäftigte bereits wesentlich heftiger trifft als inländische. Das hat einerseits strukturelle Gründe: Migrant_innen sind in Branchen wie Tourismus und Gastronomie, die massiv von den Corona-Einschränkungen betroffen sind, überrepräsentiert. Es hängt aber auch mit dem Arbeitsmarktprinzip „Last in – First out“ zusammen: Jene, die zuletzt hinzugekommen sind, werden auch schneller wieder entlassen. Migrant_innen haben oft eine kürzere Betriebszugehörigkeit.

Aber selbst wenn man all diese Faktoren mit einbezieht, bleibt ein gewisser Teil übrig, der sich nur über die Diskriminierung am Arbeitsmarkt erklären lässt. Man baut die vermeintlich Fremden eher ab und ermöglicht ihnen weniger oft Kurzarbeit als inländischen Arbeitskräften. Wir sehen einen mehr als doppelt so hohen Rückgang der Erwerbsquote bei ausländischen Staatsbürger_innen wie bei österreichischen. Bei Menschen, die nicht in Österreich geboren sind, aber hier arbeiten, ist der Rückgang sogar fast drei Mal so stark wie bei hier Geborenen.

Gesamtgesellschaftlich haben wir nach dem Terroranschlag eine schwierige Gemengelage. Rassistische verbale und physische Übergriffe haben stark zugenommen. Vor allem Frauen mit Kopftuch werden angefeindet. All das sind Symptome einer steigenden Fremdenfeindlichkeit im Land. Die Grenze des Sagbaren verschiebt sich schnell, wenn der Bundeskanzler öffentlich sagen kann, das Virus wäre „eingeschleppt“ worden, und er unwidersprochen bleibt. Das erinnert an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte, die wir eigentlich nie wieder beschreiten wollten.

Zuletzt berichtete der Intensivmediziner Burkhard Gustorff in der Klinik Ottakring in einem Interview in Die Presse, dass 60 Prozent seiner Patient_innen Migranten wären. Sind Menschen mit Migrationsbiografie tatsächlich häufiger von Corona-Infektionen betroffen?

Aus der Sicht einer Kulturwissenschafterin war das Gespräch von einem gewissen Klassizismus in Verbindung mit der Ethnisierung der Patient_innen durchzogen. Die Erklärung der Ursachen des höheren Infektionsrisikos war zwar teils richtig, aber lückenhaft. Interessant fand ich, und dass ist auch mir erst später bewusst geworden, dass nicht nur viele der angesprochenen Patient_innen Migrationshintergrund haben, auch der interviewte Intensivmediziner ist Migrant – er kommt aus Deutschland. Das zeigt deutlich den Unterschied auf, den wir häufig im Alltag machen: Wen meinen wir in Österreich, wenn wir „Migrant“ sagen? Nicht die Deutschen, die aber die größte Gruppe der Ausländer_innen darstellen. Es geht uns also oft gar nicht so sehr um die ausländische Herkunft, sondern um die Klasse, um den sozioökonomischen Hintergrund.

In Österreich gibt es kaum Daten über ein höheres Infektionsgeschehen nach Herkunft der Erkrankten. Zahlen, wie viele Menschen mit und ohne Migrationshintergrund an COVID-19 erkranken, werden nicht erhoben. Inzwischen zeigen allerdings belastbare Daten aus zahlreichen anderen OECD-Ländern, womit ich von Beginn der Krise an gerechnet habe: dass Migrant_innen tatsächlich stärker von Corona betroffen sind. Studien belegen, dass das Infektionsrisiko für Migrant_innen doppelt so hoch ist.  Auch die Gefahr eines schwereren Krankheitsverlaufs und die Sterblichkeit an COVID-19 sind höher.

Das hat vor allem sozioökonomische Ursachen. Einerseits, weil Migrant_innen häufiger in den sogenannten „systemerhaltenden Berufen“ wie in Reinigungs- und Lieferdiensten, im Supermarkt und in der Pflege tätig und dadurch einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind, während Menschen ohne Migrationshintergrund öfter im Home Office arbeiten können. Andererseits korreliert der sozioökonomische Hintergrund stark mit der Gesundheit. Reiche sind statistisch gesehen gesünder.

Hier kommt der Migrationshintergrund ins Spiel: Aufgrund des schwierigeren sozialen Aufstiegs, der hohen Bildungsvererbung und anderer struktureller Faktoren bedeutet Migrationshintergrund in Österreich meistens, dass man aus einer sozioökonomisch niedrigeren Schicht stammt und ein niedrigeres Einkommen hat. Das wiederum bedeutet statistisch gesehen einen schlechteren Gesundheitszustand. Nicht, weil ärmere Menschen ungesünder leben, sich zu wenig bewegen oder nicht „Bio“ einkaufen. Es ist eine Ressourcenfrage: Es geht um Zeit- und Geldmangel, der einen davon abhält, präventiv etwas für die eigene Gesundheit tun zu können. Um chronischen Stress, dem man vor allem durch unsichere Arbeitsverhältnisse und Arbeitslosigkeit ausgesetzt ist. Und um viele weitere, ineinander verschränkte Faktoren, die in der Medizinsoziologie vielfach nachgewiesen wurden. Diese Gründe führen dazu, dass Migrant_innen stärker von COVID-19 betroffen sind.

In den Vereinigten Staaten konnte schon früh nachgewiesen werden, dass schwarze Menschen häufiger an Corona erkrankten als weiße. Auch daran sieht man, dass offenbar nicht die Herkunft, sondern die sozioökonomische Struktur entscheidend ist, und welcher Status sozialen Gruppen in einer Gesellschaft zugeschrieben wird. Dahinter steht struktureller Rassismus auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Du sagst damit, Rassismus wird auf einer sozioökonomischen Basis, die eine Klassenstruktur aufweist, ausgeübt.

Richtig. Die soziale Ungleichheit in unserem Land sorgt dafür, dass auch das Infektionsrisiko ungleich verteilt ist. Die Ungleichverteilung des Kapitals bedingt eine Ungleichverteilung von Bildung, von Erwerbschancen, von Gesundheit. Eine Studie in Deutschland, die gut auf Österreich umlegbar ist, wies nach, dass das unterste Fünftel der Bevölkerung ein doppeltes bis dreifaches Risiko trägt, eine chronische Erkrankung, Asthma, Krebs und Diabetes zu haben, als das oberste Fünftel – also genau die gefährlichen Vorerkrankungen für COVID-19 (vergleichbare Zahlen für Österreich liefert das Gesundheitsministerium in der Gesundheitsbefragung 2019, Anm.).

Ich möchte abschließend noch einmal auf die große Erzählung zurückkommen. Wir können wir diese Diskursverschiebung wieder in eine andere Richtung bewegen?

Wir benötigen eine andere Konzeption des „Wir“. Momentan sehen wir eine Spaltung in das Wir und „die Anderen“, wobei diese Anderen noch fremder gemacht werden, als sie eigentlich sind. Indem man ihnen zuschreibt, sie wären der deutschen Sprache nicht mächtig oder zu sorglos, sodass sie die Corona-Maßnahmen nicht richtig mittragen. In der Kulturwissenschaft wird das als „Othering“, als „Andersmachen“ bezeichnet. Ein Konzept, das ursprünglich auf den postkolonialen Kontext angewandt wurde.

Wenn wir hierzulande „Wir“ sagen, meinen wir bestimmte Gruppen gar nicht mehr mit. Historisch war dieses Wir noch viel enger gefasst, jahrhundertelang waren Frauen, Homosexuelle und zahlreiche andere Menschen nicht mit gemeint. Progressive Politik hat dieses Wir, nicht nur in Österreich sondern global, nach und nach erweitert. Das Wir ist allerdings immer noch stark umkämpft, etwa im Bereich politischer Partizipation in Form des Wahlrechts. Eine Gegenposition könnte sein, dieses Wir sprachlich und handelnd breit zu fassen und sich die Trennung zwischen dem Wir und dem Anderen immer bewusst zu machen. Unterschiede aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Religion bestehen natürlich, aber daraus darf man nicht ableiten, „andere“ Menschen wären minderwertig, oder „wir“ wären höhergestellt.

In Coronazeiten ist es das Beispiel schlechthin geworden: Sprechen Politiker_innen „Österreicherinnen und Österreicher“ an oder „alle Menschen, die in diesem Land leben“. Das ist, zumindest auf der symbolischen Ebene, ein Zeichen, dass man das Wir breiter und inklusiver fasst.


Judith Kohlenberger forscht und lehrt am Institut für Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie ist Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf Identitäts-​und Repräsentationspolitik. Seit Herbst 2015 arbeitet sie zu Fluchtmigration und Integration. Judith ist Mitbegründerin der Initiative Courage – Mut zur Menschlichkeit, die sich für die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria einsetzt.

Das Interview führte Judith Ranftler. Sie arbeitet in der Volkshilfe Österreich in den Bereichen Asyl und Migration, Kinder und Jugend, und leitet das Projekt Kinderarmut abschaffen. Judith ist im Vorstand der Asylkoordination Österreich sowie aktiv in der Kampagne FairLassen. Sie ist nebenberuflich Lehrende am FH Campus Wien im Studiengang Soziale Arbeit.

Plattform unterstützt Attac-Forderung nach Corona-Lastenausgleich von den Reichsten

Bereits über 10.000 Menschen, darunter namhafte Ökonom_innen und zahlreiche Prominente wie Ilija Trojanow, Marlene Streeruwitz und Franzobel, unterstützen die Forderung von Attac Österreich nach einem Corona-Lastenausgleich von den Reichsten.

Vermögen ab 5 Millionen Euro sollen mit 10 Prozent, Vermögen ab 100 Millionen Euro mit 30 Prozent und Vermögen ab einer Milliarde Euro mit 60 Prozent je einmalig einen Beitrag leisten. Insgesamt könnten damit rund 70 bis 80 Milliarden Euro lukriert werden (hier findet ihr das Konzept im Detail).

Auch wir als Plattform für eine menschliche Asylpolitik haben die Initiative unterschrieben, weil wir wissen, dass die Pandemie bestehende Ungleichheiten verschärft und Menschen, die unter Diskriminierung und Rassismus leiden, besonders hart trifft.

Hier könnt auch ihr den Corona-Lastenausgleich von den Reichsten unterzeichnen!

Menschen mit Migrationsbiografie doppelt so häufig von Corona betroffen

Foto: Screenshot ORF

Am Wochenende berichtete der Intensivmediziner Burkhard Gustorff der Ottakringer Klinik im Interview mit Die Presse, dass 60 Prozent seiner Intensivpatient_innen Migrationshintergrund hätten. Diese Zahlen kann die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien am Dienstag gegenüber dem ORF nicht unmittelbar bestätigen. Allerdings seien Menschen mit Migrationsbiografie aufgrund wirtschaftlicher und struktureller Benachteiligungen tatsächlich doppelt so häufig von Corona-Infektionen betroffen. Weil sie meist in systemrelevanten Berufen mit geringem Einkommen, aber hohem Infektionsrisiko arbeiten.

Kohlenberger sagt: „Wer schon einmal einen Krankenhausaufenthalt in Wien hinter sich hatte, weiß, dass vor allem das Pflegepersonal migrantischer Herkunft ist. Aber auch im privaten Bereich sind sehr viele Migrant_innen tätig. Wir sehen es an der Supermarkt-Kassa, an den Lieferdiensten.“ Die schlechten Arbeitsbedingungen machen Menschen anfälliger für Ansteckungen. Auch seien Sprachbarrieren ein Treiber des Problems. Lange Zeit waren die Beschreibungen der Corona-Schutzmaßnahmen nur auf Deutsch verfügbar. Erst zögerlich wurden sie, aber auch fehlerhaft, in andere Sprachen übersetzt.

Das Coronavirus kennt keine Herkunft und keine Religion, es unterscheidet aus genetischer Sicht nicht zwischen Menschen. Die Pandemie verstärkt allerdings bestehende Ungerechtigkeiten und auch gesundheitliche Ungleichheiten im System, fürchtet der Medizinsoziologe Matthias Richter. Es ist an der Zeit, dass die Beschäftigten in den sogenannten „systemrelevanten Berufen“ endlich die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Das erfordert eine deutlich höhere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen, sowie einen offensiven Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus in Gesellschaft und Staat.

500.000 Menschen gegen rassistische Polizeigewalt in Frankreich

Place de la Bastille. Foto: LouizArt

Fantastische 500.000 Menschen demonstrierten am vergangenen Samstag in ganz Frankreich gegen rassistischen Staatsterror und neue Polizeibefugnisse. Die Protestwelle erfasste Paris, Lyon, Bordeaux und zahlreiche weitere Städte. Sie markieren einen politischen Durchbruch, nachdem Staatspräsident Emmanuel Macron während der Corona-Pandemie Proteste, unter anderem nach der Ermordung von George Floyd, brutal niederschlagen ließ.

von David Albrich

Die Demonstrationen richteten sich gegen ein neues Polizeigesetz des rechtsgerichteten Innenministers Gérald Darmanin. Insbesondere „Artikel 24“, der künftig das Filmen und Fotografieren von Beamten untersagen soll, sorgt für Empörung. Außerdem soll die Pressefreiheit beschnitten werden: Journalist_innen könnten künftig verpflichtet werden, Videomaterial von Polizeieinsätzen bei der Polizei abzugeben.

Das Fass zum Überlaufen brachte ein sich rasch im Netz verbreitendes ein Video von der grauenhaften Misshandlung des 41-jährigen schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler. Die Bilder einer Überwachungskamera zeigen, wie Zecler fünfzehn Minuten in seinem Studio von mehreren Polizisten, vor allem mitten ins Gesicht, geschlagen wird. Im Anschluss wird er zwei Tage lang ohne medizinische Versorgung in Untersuchungshaft gesteckt.

Kurswechsel möglich

„Sie sagten mehrfach ‚dreckiger Neger‘ und prügelten dabei auf mich ein“, berichtete Zecler vor dem Gebäude der Polizeiaufsichtbehörde in Paris, wo er Anzeige gegen die Polizisten erstattete. Wenn es das Video nicht gäbe, säße Zecler immer noch in U-Haft, erklärte seine Anwältin in Richtung des neuen Polizeigesetzes: „Denn ohne Filmbeleg steht Aussage gegen Aussage, und alle wissen, dass das Wort eines Polizisten mehr Gewicht hat.“

Sogar Justizminister Eric Dupond-Moretti musste zugeben, dass die Misshandlung ohne Überwachungskamera „nicht bekannt geworden wäre“. Nachdem bereits letzten Dienstag tausende Menschen in Paris gegen die brutale Räumung eines Protestlagers von Geflüchteten in Paris demonstrierten (wir haben berichtet), kommt Macrons Regierung immer mehr unter Druck. Die antirassistische Bewegung wächst und kann weltweit einen Kurswechsel einläuten.

Dringender Spendenaufruf: Nur drei Autostunden vor österreichischen Grenze droht nächstes Moria

Screenshot aus dem Spendenvideo (siehe unten)

In kürzester Zeit haben die Initiativen SOS Balkanroute und SOS Team Kladuša in Bosnien an der kroatischen Grenze die Notküche „Slav Life Kitchen“ aufgebaut. Sie garantiert, dass Geflüchtete zumindest überleben, nachdem sie vor der Grenzpolizei, Rechtsextremen erneut flüchten und von den bosnischen Behörden aus den Flüchtlingslagern vertrieben wurden. Jetzt werden die Gelder für die Küche knapp. In einem Video bitten die Aktivist_innen um Spenden.

von David Albrich

Mitten in Europa. Im 21. Jahrhundert. Hunderte Geflüchtete mussten im Frühjahr und Sommer vor der brutalen Gewalt durch kroatische Grenzschützer und vor Rechtsextremen in die Wälder und in leerstehende Fabrikhallen im Nordwesten Bosniens, im Kanton Una-Sana, flüchten. Erneut. Zugleich werden offizielle Asylunterkünfte wie das Bira-Camp in der Stadt Bihać geschlossen und die Menschen auf die Straße getrieben. Sie mussten sich teilweise nur von Maiskolben von den Feldern ernähren. Tausende müssen ohne Grundversorgung ausharren.

Die Initiativen SOS Balkanroute in Österreich und SOS Team Kladuša in Bosnien und Herzegowina schafften es in Rekordzeit, die Notküche „Slav Life Kitchen“ (was so viel bedeutet wie „Küche Slawisches Leben“) aufzustellen – mit Unterstützung der Ordensgemeinschaft der Franziskanerchwestern von der Schmerzhaften Mutter in Simmering und dem Pfarrnetzwerk Asyl. Derzeit kochen Freiwillige Mahlzeiten für über 380 Menschen am Tag. Damit sie zumindest nicht verhungern. Täglich werden Zutaten eingekauft, geschnitten, gebraten, gekocht, die Essen geliefert.

Spendenfilm

Dennoch ist unklar, wie die Menschen durch den Winter kommen. Die Gelder werden knapp. Die Aktivist_innen und Helfer_innen wenden sich nun mit einem dringenden Spendenappell und –Video an die Öffentlichkeit, um das Überleben der Küche und der Schutzsuchenden zu sichern. Der Kurzfilm zeigt die großartige Arbeit der Küche und die unerträgliche Situation der Geflüchteten in den Wäldern.

IBAN: AT20 2011 1842 8097 8400
BIC: GIBAATWWXXX
Kontoinhaber: SOS Balkanroute
Verwendungszweck: Spende

„Wenn die Politik diesen Wahnsinn weiter ignoriert, erwartet uns das nächste Moria direkt vor unserer Haustüre, nur drei Autostunden von der österreichischen Grenze entfernt“, sagt Petar Rosandić von SOS Balkanroute, bekannt unter dem Künstlernamen Kid Pex, gegenüber der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. „Man will die Existenz dieser Menschen grundsätzlich leugnen, indem man sie in Wälder, Niemandsländer und auf Müllhalden treibt.“

Politik muss handeln

Rosandić bittet um größtmögliche Öffentlichkeit und verlangt von der Politik, sich dem Thema endlich zu stellen. In den letzten Wochen hat SOS Balkanroute in Linz und Wien wieder Schlafsäcke, warme Jacken, Schuhe und Kleidung gesammelt. Die Hilfsgüter werden Mitte Dezember nach Bosnien gefahren. Die letzte Möglichkeit, vor dem Transport Spendengüter abzugeben, gibt es am Sonntag, 29. November von 11 bis 18 Uhr im alten Sophienspital in der Apollogasse 11 in Wien.

Die Austria Presse Agentur (APA) berichtete zuletzt über die zunehmenden illegalen Zurückweisungen in ganz Europa. Im nächsten Say it loud!-Gespräch der Plattform für eine menschliche Asylpolitik werden sich Rosandić von SOS Balkanroute und weitere Gäste am 10. Dezember, dem UN-Tag der Menschenrechte, ausführlich dem Thema „Illegale Pushbacks, Grenzgewalt und Menschenrechtsbrüche in Europa“ auseinandersetzen. Das Gespräch wird aufgezeichnet, Fragen können im Vorfeld an office@menschliche-asylpolitik.at geschickt werden.

ZiB2-Bericht zum offenen Brief an Regierung gegen Straftatbestand „politischer Islam“

Die Zeit im Bild 2 und Armin Wolf berichten nach der Präsentation des offenen Briefes an die Regierung über die schwere Kritik an den Plänen, einen Straftatbestand „politischer Islam“ einzuführen. Auch die Plattform für eine menschliche Asylpolitik hat das Forderungspapier mit unterzeichnet.

Caroline Kerschbaumer, Geschäftsführerin des Vereins Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA) und Elif Adam, Leiterin der Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus, befürchten nun nach dem Terroranschlag vom 2. November mit zusätzlichen rassistischen Gesetzen einen weiteren Anstieg islamfeindlicher Übergriffen.

Offener Brief an Regierung: Gegen Rassismus und Abbau von Grund- und Freiheitsrechten!

Foto: Presseclub Concordia

Nach der Ankündigung eines neuen „Anti-Terror-Pakets“ hat die Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus in einem offenen Brief elf Forderungen an die Regierung präsentiert. Darin verlangen insgesamt 16 Organisationen und Verbände aus der Zivilgesellschaft, darunter die Plattform für eine menschliche Asylpolitik, die Verteidigung der Grund- und Freiheitsrechte.

von David Albrich

Nach dem schrecklichen Terroranschlag am 2. November in Wien und den folgenden Razzien gegen die angebliche „Muslimbruderschaft“ in Österreich kündigte die Regierung ein neues „Anti-Terror-Paket“ an. Dies sieht unter anderem die Einführung eines Straftatbestands „Politischer Islam“ und eine neuerliche Ausweitung von Überwachungs- und Repressionsinstrumenten vor.

„Keinesfalls dürfen jetzt überstürzte Maßnahmen dazu führen, dass Muslim_innen unmittelbar – sowie die Gesamtbevölkerung mittelbar – in ihren Grund- und Freiheitsrechten beschnitten werden“, sagte Elif Adam von der Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus bei der Präsentation der Forderungen. Gerade jetzt müsse man zusammenstehen und überlegt handeln.

Religionsfreiheit verteidigen

Politikwissenschafter Benjamin Opratko begrüßte die Initiative als „ein Zeichen einer lebendigen Zivilgesellschaft“. Wie bereits in einem Gastkommentar in Die Presse geäußert, warnte Opratko davor, sich der politischen Auseinandersetzung mit dem „politischen Islam“ über Verbote zu entziehen. Dies würde die Demokratie insgesamt beschädigen und Rassismus Vorschub leisten.

Eine Erschütterung des Rechtsstaats befürchtet auch der evangelische Gefängnisseelsorger und Superintendent Matthias Geist. Wenn eine Religionsgemeinschaft angegriffen werde, sei solidarisches Handeln gefragt. „Ein demokratischer Rechtsstaat hat die freie Meinungsäußerung, die Versammlungsfreiheit und die Gesinnungs- und Religionsfreiheit zu garantieren“, sagte Geist.

FPÖ bereits aufgebracht

Für Thomas Lohninger, Geschäftsführer der Datenschutz-Organisation epicenter.works, sind Versuche nach Terroranschlägen, die Überwachung und Repression zu verschärfen, nicht neu. Lohninger forderte insbesondere eine Kontrolle der Geheimdienste ein. Dies seien bislang „Orte, die sich einer demokratischen Kontrolle und einer liberaldemokratischen Debatte entziehen“.

Die FPÖ, die seit Jahren übelst gegen Muslim_innen und Minderheiten hetzt und den Abbau von Grundrechten fordert (man denke nur an die verlangte Abschaffung des Asylrechts), jammerte unmittelbar nach der Präsentation (eigentlich ziemlich zahnlos und peinlich), man solle den Brief „als gegenstandslos“ betrachten. Die Unterzeichnenden haben in die richtige Kerbe geschlagen.  

Stärkung des pluralistischen Rechtsstaates statt Einschränkung von Menschenrechten

Ein offener Brief an die Regierung

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr.in Zadić, LL.M.!
Sehr geehrter Herr Bundesminister Nehammer, M.Sc.!
Sehr geehrter Herr Nationalratsabgeordneter Mag. Bürstmayr!
Sehr geehrter Herr Nationalratsabgeordneter Mahrer, B.A.!

Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus sowie alle Unterzeichnenden verurteilen den Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien. Unser tiefstes Mitgefühl geht an die Betroffenen und Hinterbliebenen des Anschlags. Gerade angesichts einer solchen Tat ist gesellschaftlicher Zusammenhalt sowie das verstärkte Bekenntnis zur Einhaltung der Grund- und Menschenrechte für alle wichtig.

Jedoch befürchten wir, in Anbetracht des am 11. November 2020 durch die Regierung präsentierten „Anti-Terror-Paket” sowie der am 9. November 2020 durchgeführten „Operation Luxor”, massive Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte aller Menschen in Österreich. Zudem befürchten wir eine strukturelle Verankerung von antimuslimischem Rassismus.

Stärkung des pluralistischen Rechtsstaates statt Einschränkung von Menschenrechten

Bereits jetzt sind die Menschen in Österreich einem enormen Überwachungsdruck ausgesetzt. Es gibt ausreichend juristische Möglichkeiten zur Überwachung von Gefährder*innen, die eine Verhinderung von Anschlägen wie jenem vom 2.11. ermöglichen. Wir appellieren deshalb an Sie, den Fokus auf eine umfassende und lückenlose Aufklärung des Terroranschlags sowie des Behördenversagens zu legen, und von einer Ausweitung bestehender Überwachungsbefugnisse und der Schaffung neuer Straftatbestände abzusehen. Nur eine umfassende Aufarbeitung des im Raum stehenden Behördenversagens kann das Vertrauen in die Institutionen wiederherstellen und es ermöglichen, Lehren daraus zu ziehen, die für die Prävention solcher Anschläge genutzt werden können.

Die jetzt geplanten Maßnahmen führen hingegen zu einer gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Kriminalisierung von Muslim*innen. Viele sog. Vorbereitungshandlungen sind bereits jetzt strafbar. Wir befürchten deshalb, dass die Einführung der „Straftatbestände zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)” zur Bestrafung von Ideen und politischen Einstellungen, anstatt von tatsächlichen Handlungen führen wird. Gleichzeitig werden einige der vorgestellten Gesetzesänderungen die Grund- und Freiheitsrechte aller Menschenin Österreich massiv einschränken.

Die vorgeschlagenen vorbeugenden Maßnahmen gegen „Täter eines Terrordelikts“ schaffen laut Rechtsexpert*innen Raum für willkürliche Eingriffe in die Freiheit von Menschen. Es braucht evidenzbasierte und ausfinanzierte Strategien zur Reintegration von haftentlassenen Personen. In dem von der Nichtregierungsorganisation Südwind kürzlich herausgebrachten „Aktionsplan zur Prävention von gewaltbereitem Extremismus in Österreich” wird die soziale und arbeitsmarktorientierte Reintegration zur Prävention der Rückfälligkeit besonders betont.

Wir fordern:

1. Keine Einführung des Straftatbestands Politischer Islam: Es gibt keine einheitlich wissenschaftlich anerkannte Definition des Begriffs „politischer Islam“. Da es ein Sammelbegriff für unterschiedliche Gruppen mit sich unterscheidenden ideologischen Standpunkten ist. Folglich kann der geplante Straftatbestand zu einer undifferenzierten, sogar unsachgemäßen Verwendung des Begriffs führen. Dies birgt die Gefahr, dass alle Muslim*innen unter Generalverdacht gestellt, von der Exekutive beobachtet, verfolgt und sogar in ihrer Existenz bedroht werden können. Dies kommt einem Gesinnungsstrafrecht gleich, gegen das wir eintreten.

2. Schutz vor Diskriminierung und Wahrung der Religionsfreiheit: Staatliche Behörden sollen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Freiheit der Religionsausübung aller Religionsgemeinschaften vollständig und gleichberechtigt gewährleistet wird, ohne unter staatlicher Beobachtung gestellt zu werden. Dies umfasst auch die Freiheit der Organisierung des religiösen Lebens und freie Meinungsäußerung von muslimischen Gemeinschaften.

  • Die Bundesregierung ebenso wie die zuständigen Behörden müssen sich dringend dazu bekennen und sicherstellen, dass Strategien zur Deradikalisierung und Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus den Schutz vor Diskriminierung sowie das Recht auf Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung von Muslim*innen gewährleisten.

3. Schutz vor Kriminalisierung: Zur Wahrung der Religionsfreiheit sollen Strategien zur Prävention des gewaltbereiten Extremismus und zur Deradikalisierung und Bekämpfung von Terrorismus Folgendes berücksichtigen:

  • Religiöse Praktiken und Bekleidung dürfen nicht als Indikatoren für Radikalisierung verwendet werden.
  • Die bloße Zugehörigkeit zum Islam, zu muslimischen Organisationen oder Vereinigungen darf nicht als Auswahlkriterium für die Überwachung durch staatliche Behörden und Sicherheitsdienste dienen.
  • Muslimische Gebetsorte sollen nicht pauschal unter Generalverdacht gestellt werden.

4. Geheimdienstkontrolle innerhalb des demokratischen Rechtsstaats: Es braucht eine effektivere Kontrolle aller österreichischen Sicherheits- und Nachrichtendienste gemäß internationalen Best-Practices. Teil davon ist ein Ausbau parlamentarischer Kontrolle mit Auskunftspflicht der Dienste und Straftatbeständen für Falschaussage vor diesem Kontrollgremium. Ein starker Whistleblower Schutz ist notwendig, denn er garantiert, dass Missstände ans Tageslicht kommen. Der Missbrauch von Ermittlungs- und Überwachungsmethoden der Dienste muss als Straftatbestand normiert werden. Mit der Trennung von polizeilichen und geheimdienstlichen Kompetenzen, muss zur Verhinderung von intransparenten Machtzentren in beiden Bereichen ein konsequentes System der richterlichen Kontrolle und Berichtspflicht eingeführt werden.

5. Regelmäßige externe Evaluierung von Strategien der Prävention von gewaltbereitem Extremismus und Deradikalisierung sowie Strategien zur Bekämpfung von Terrorismus: in Hinblick auf Verfassungskonformität, Eingriffsintensität in Grundrechte (insb. Privatsphäre und Datenschutz), Zweckmäßigkeit, Wirksamkeit und Anti-Diskriminierung.

  • Die Evaluierung sollte von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft, wie antirassistischen Organisationen, Wissenschaftler*innen, Datenschützer*innen sowie Religionsgemeinschaften durchgeführt werden. 
  • Die Ergebnisse einer solchen Evaluierung sollten dem Parlament vorgestellt werden und für die Öffentlichkeit zugänglich sein.

6. Schaffung einer institutionell, funktionell und personell unabhängigen Beschwerdestelle: Diese soll für Personen, deren Grund- und Freiheitsrechte durch Strategien zur Prävention von gewaltbereitem Extremismus, Deradikalisierung und Bekämpfung von Terrorismus verletzt wurden, niederschwellige und Unterstützung bei Verfahren anbieten.  

7. Ausbau von Angeboten und Anlaufstellen: die Unterstützung bei der Reintegration von haftentlassene Personen, die wegen Terrorismus verurteilt und ihre Freiheitsstrafe abgebüßt haben, anbieten. 

8. Ausbau der Basisfinanzierung für zivilgesellschaftliche und community-basierte Strategien gegen jede Form des Extremismus und der Ausgrenzung: Diese sollen in enger Zusammenarbeit mit Expert*innen aus den Bereichen Soziale Arbeit, Bildung, Psychologie und Wissenschaft konzipiert und durchgeführt werden. 

9. Ausbau des Angebots der Jugend- und Sozialarbeit sowie der politischen Bildung und Partizipation: Von Rassismus betroffenen Menschen in Österreich muss eine gleichberechtigte und barrierefreie Beteiligung an demokratischen Prozessen ermöglichen werden, diese gibt vor allem Jugendlichen Halt.

10. Verbot von staatlicher Spionagesoftware und staatlichem Hacking in Österreich: Die Integrität informationstechnischer Systeme muss in einem demokratischen Rechtsstaatlich gewahrt bleiben. Menschen- und Grundrechte müssen auch im Kontext von moderner Technik gelten. Jeder Versuch IT-Systeme durch gezielte Angriffe oder implantierte Schwachstellen abzuschwächen (Verschlüsselungsverbot), gefährdet die allgemeine Sicherheit und das Vertrauen in Technik von der unsere Gesellschaft und Wirtschaft heutzutage abhängt.

11. Die Aberkennung der österreichischen Staatsbürger*innenschaft kann nicht Teil einer Bekämpfungsstrategie gegen Terrorismus sein: Durch die Ausbürgerung entzieht sich ein Staat seiner Verantwortung, was zur Schwächung des Rechtsstaates führt. Der Entzug der Staatsbürger*innenschaft bei Doppelstaatbürger*innenschaft und die damit einhergehenden Übergabe der Verantwortung einer Strafverfolgung und -verurteilung an einen anderen Staat, kann die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus schwächen. Staatenlosigkeit sollte in jedem Fall vermieden werden.

Wir appellieren an die Bundesregierung für eine Politik, die Grund- und Menschenrechte fördert statt einschränkt. Die Einbindung der Expertise der Zivilgesellschaft ist dabei unerlässlich. In diesem Sinne stehen Ihnen die unterzeichnenden Organisationen jederzeit für Gespräche zur Verfügung.

Hochachtungsvoll,

Erstunterzeichnende:

Trauer um italienischen Roma-Aktivisten Marcello Zuinisi

Im Oktober 2019 traf sich Roma-Aktivist Marcello Zuinisi mit Antirassist_innen aus der ganzen Welt in London und bereitete den internationalen UN-Aktionstag gegen Rassismus mit vor. Das Bild zeigt Zuinisi mit der Fahne der Associazione Nazione Rom (Vereinigung der Roma) in Italien. Foto: World Against Racism

Mit großer Trauer haben wir gestern vom tragischen Tod unseres Freundes und engagierten Roma-Aktivisten, Marcello Zuinisi, erfahren. Wir sprechen seinen Angehörigen, Freund_innen und der Gemeinschaft der Roma und Sinti in Italien unser tiefes Beileid aus. Unsere Gedanken und unsere Solidarität gelten ihnen.

Marcello hat die jährlichen Proteste im Rahmen des UN-Tages gegen Rassismus am 21. März in Florenz mit organisiert und sich dem internationalen Netzwerk #WorldAgainstRacism, dem auch die Plattform für eine menschliche Asylpolitik in Österreich und Aufstehen gegen Rassismus in Deutschland angehören, angeschlossen.

Leidenschaftlich und entschlossen kämpfte er in Italien unter widrigsten Umständen gegen den steigenden populistischen Rassismus unter dem damaligen Innenminister Matteo Salvini der rechtsextremen Lega Nord, gegen die grauenhafte Verfolgung der Roma und Sinti und für die Solidarität mit Geflüchteten und allen von Rassismus Betroffenen.

Bis zuletzt engagierte sich Marcello in der antirassistischen Bewegung. Er führte eine Kampagne, an die italienischen Kommunalbehörden und die Regierung gerichtet, und forderte, niemanden in der Pandemie zurückzulassen und insbesondere Maßnahmen zum Schutz der Roma und Sinti vor den Auswirkungen der Coronakrise zu erlassen.

Wir haben einen wunderbaren Kämpfer für die Gerechtigkeit, gegen alle Formen von Rassismus, und insbesondere für die Rechte der Roma und Sinti verloren.

Lutto per l’attivista rom italiano Marcello Zuinisi

Con grande tristezza abbiamo appreso ieri della tragica morte del nostro amico e impegnato attivista rom, Marcello Zuinisi. Esprimiamo la nostra più profonda solidarietà ai suoi parenti, amici e alla comunità Rom e Sinti in Italia. Il nostro pensiero e la nostra solidarietà sono con loro.

Marcello ha organizzato le proteste annuali nell’ambito della Giornata dell’ONU contro il razzismo il 21 marzo a Firenze e si è unito al network internazionale #WorldAgainstRacism, che comprende anche la Plattform für eine menschliche Asylpolitik (Piattaforma per una politica di asilo umano) in Austria e Aufstehen gegen Rassismus (In piedi contro il razzismo) in Germania.

Con passione e determinazione ha combattuto in Italia nelle circostanze più avverse contro il crescente razzismo populista sotto l’allora ministro dell’Interno Matteo Salvini della Lega Nord di estrema destra, contro la terribile persecuzione dei Rom e dei Sinti e per la solidarietà con i latitanti e tutti coloro che sono stati colpiti dal razzismo.

Marcello è stato coinvolto nel movimento antirazzista fino alla fine. Ha condotto una campagna, rivolta alle autorità locali italiane e al governo, chiedendo che nessuno rimanga indietro nella pandemia e, in particolare, misure per proteggere rom e sinti dagli effetti della crisi della Corona.

Abbiamo perso un meraviglioso combattente per la giustizia, contro ogni forma di razzismo, e soprattutto per i diritti dei Rom e dei Sinti.

Immagine: Nell’ottobre 2019, l’attivista rom Marcello Zuinisi ha incontrato a Londra gli antirazzisti di tutto il mondo e ha contribuito a preparare la Giornata internazionale dell’ONU contro il razzismo. La foto mostra Zuinisi con la bandiera dell‘Associazione Nazione Rom in Italia.

Solidarität mit Geflüchteten in Paris nach massiver Polizeigewalt gegen Protestcamp!

Foto: Remy Buisine

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in den letzten 24 Stunden ein Protestcamp von mehreren hundert Menschen, vor allem Geflüchteten aus Afghanistan, in der Pariser Innenstadt von der Polizei mit brutaler Gewalt räumen lassen. Als Plattform für eine menschliche Asylpolitik verurteilen wir den Polizeiterror, solidarisieren sich mit den Geflüchteten und Aktivist_innen und fordern einen sofortigen Abschiebestopp, Bleiberecht sowie menschenwürdige Unterbringung und echte Zukunftsperspektiven.

von David Albrich

Es sind schockierende Bilder am Platz der Republik mitten in Paris: Polizist_innen prügeln am Montagabend wahllos auf Geflüchtete ein, reißen Zelte um, attackieren Menschen mit Tränengas und Pfefferspray, veranstalten Hetzjagden durch enge Gassen. Geflüchtete hatten aus Protest gegen die Räumung eines der vielen Flüchtlingslager in Frankreich, oft in den Vorstädten, vergangene Woche am Montagabend im Herzen der Hauptstadt ein Protest-Zeltlager errichtet. Die wieder einmal obdachlos Gewordenen wollten auf die unerträglichen Zustände und Gewalt aufmerksam machen.

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Nun wurden sie wieder von der Polizei angegriffen. Offenbar will Staatspräsident Macron mit allen Mitteln verhindern, dass die breite Öffentlichkeit sich mit den Menschen solidarisiert. Unter den Protestierenden sind vor allem viele Afghan_innen, weil sie sich aufgrund der immer härteren Asylgesetze in der Europäischen Union (EU), auch in Österreich, in Frankreich bessere Chancen auf einen Asylstatus erhoffen. Zukunftschancen hatten sie allerdings auch dort nie wirklich, die französische Politik ließ immer wieder „wilde Zeltstädte“ räumen.

Die schutzsuchenden Menschen und solidarische Demonstrant_innen ließen sich jedoch nicht einschüchtern. Immer wieder sammelten sie sich zu spontanen Protestzügen und riefen „Solidarité avec les sans papier“, auf Deutsch „Solidarität mit den jenen, die keine Papiere haben“. Tausende Menschen versammelten sich Dienstagabend erneut am Platz der Republik, mehr Menschen als noch am Vortag. Dieser Angriff wird nach hinten losgehen, wenn sich die Bevölkerungen mit den Geflüchteten solidarisieren.

Wir fordern ein sofortiges Ende der Polizeigewalt, ein unverzügliches Ende der Abschiebungen in das Bürgerkriegsland Afghanistan, sowie ein Bleiberecht für alle Menschen, die seit Jahren ein unerträgliches Dasein in immer und immer neuen provisorischen Lagern fristen müssen. Die Politik muss allen Menschen echte Zukunftschancen ermöglichen, das bedeutet eine menschenwürdige Unterkunft, ZUkunft zum Arbeitmarkt und zur Gesundheitsversorgung und die Öffnung von Schulen und Universitäten.

EU: Über 60.000 Menschen illegal zurückgewiesen – Zahl Pushbacks in Österreich verdoppelt

Foto: liberties.eu

„Völkerrechtswidrig, aber gängige Praxis.“ Eine ausführliche Gegenüberstellung der Austria Presse Agentur (APA) fasst die unfassbaren Menschenrechtsverletzungen der Europäischen Union (EU) im Zusammenhang mit rechtswidrigen, gewalttätigen Zurückweisungen von schutzsuchenden Menschen, sogenannten „Pushbacks“ zusammen. Das Gesamtbild, das auf oe24.at vollständig veröffentlicht wurde, ist erschreckend.

von David Albrich

Die APA sammelte Berichte über rechtswidrige Zurückweisungen von schutzsuchenden Menschen in den EU-Mitgliedsländern Österreich, Slowenien, Kroatien, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Malta und unmittelbar im Mittelmeer vor der Küste Libyens. Schutzsuchende Menschen werden gegen ihren Willen und entgegen völkerrechtlich verankerter Menschenrechte in Länder deportiert, oft über Kettenabschiebungen, in denen ihnen exzessive Gewalt, Folter bis hin zu Tod drohen.

Lauter Aufschrei nötig

In Österreich hat sich die Zahl solcher Zurückweisungen zum Vorjahr verdoppelt (bis Ende September 134 Menschen). SOS Balkanroute, No Name Kitchen, Border Violence Monitoring Network, Plattform für eine menschliche Asylpolitik und die Abgeordneten Nurten Yilmaz (SPÖ), Faika El-Nagashi und Ewa Ernst-Dziedzic (Die Grünen) machen seit Monaten auf die unerträgliche Situation am Westbalkan aufmerksam, wo Geflüchtete insbesondere durch die kroatische Grenzpolizei brutal misshandelt werden.

In Europa hat Einzug gehalten, was vor der libyschen Küste längst Praxis ist. Wie Amnesty International berichtete, hat die von der EU mitfinanzierte libysche Küstenwache seit 2016 rund 60.000 Geflüchtete auf dem Meer „abgefangen“, bevor sie aus dem Bürgerkriegsland in internationales Gewässer flüchten können. Die EU und Österreich helfen damit, Menschen in Internierungslager zu sperren, in denen sie gefoltert, sexuell missbraucht und versklavt werden.

Unrechts-Kanzler

Die Rechtsbrüche müssen politisch angeprangert werden. Wenn ein Mensch zu erkennen gibt, dass er oder sie einen Asylantrag stellen will (dazu genügt das einfache Wort „Asyl“), sind die Behörden nach internationalem und nationalem Recht verpflichtet, das Ansuchen unverzüglich zu prüfen. Auf europäischer Ebene ist dieses Recht über die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), in Österreich durch das nationale Asylgesetz sichergestellt.

EU-Staaten verstoßen mit den Pushbacks zudem gegen das „Refoulement-Verbot“, das die Ausweisung, Auslieferung oder Rückschiebung verbietet, wenn den Menschen dadurch unmenschliche Behandlung und Menschenrechtsbrüche drohen. Der österreichische Bundeskanzler ist spätesten mit seiner Weigerung, Menschen aus dem Flüchtlingslager Moria aufzunehmen, zum politischen Haupttreiber dieser Menschenrechtsverletzungen in Europa geworden.