Wieder 27 Tote im Ärmelkanal – Lasst die Menschen endlich durch!


Foto: Rachel Khan (Twitter)

In einem der schlimmsten Bootskatastrophen der letzten Monate sind am Mittwoch im Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien mindestens 27 Geflüchtete gestorben. Die rassistische Abschottungspolitik treibt die Menschen in die Hände von Schleppern. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik spricht den Angehörigen und Familien tiefstes Mitgefühl aus und drängt die Regierungen Europas dazu, endlich legale Fluchtwege und sichere Überfahrten zu schaffen und so das unnötige Sterben zu beenden.

von David Albrich

Am Mittwoch sind in einer unfassbaren Tragödie mindestens 27 schutzsuchende Menschen im Ärmelkanal ertrunken. Ihr Boot ist beim Versuch, von Versuch von der französischen Küste von der Hafenstadt Calais aus Großbritannien zu erreichen gekentert. Die meisten Opfer stammen aus dem Irak, Iran und Somalia. Unter ihnen war auch eine schwangere Frau, insgesamt sieben Frauen und drei Kinder. Zwei Überlebende werden derzeit in einem Krankenhaus in Calais behandelt. Unsere Gedanken sind bei den Familien und Angehörigen.

Heuer haben 31.000 Menschen versucht, den Ärmelkanal zu überwinden7.800 von ihnen wurden aus Seenot gerettet. Es ist ein grausames Spiel auf Leben und Tod, in das sie die Mächtigen treiben. Die Regierungen machen die Grenzen dicht, vielerorts werden Zäune und Mauern errichtet, Grenzpolizei aufgestockt und vermehrt Menschen illegal zurückgepusht bzw. zurückgewiesen. All das macht die Flucht, die für die Menschen ohnehin bereits ein Martyrium ist, noch gefährlicher.

Mehrzahl Geflüchtete

Die klare Mehrheit der Menschen, die den Ärmelkanal überqueren wollen, sind Flüchtlinge. Die offiziellen  Zahlen der britischen Einwanderungsbehörde von Jänner 2020 bis Juni 2021 zeigen, so eine Analyse des gemeinnützigen Refugee Councils, dass 91 Prozent der Menschen aus zehn Ländern kommen, in denen Menschenrechtsverletzungen und Verfolgung allgemein bekannt sind, darunter Afghanistan, Iran, Syrien, Irak und Iran. Von ihnen erhielten 61 Prozent in der ersten Instanz einen positiven Asylbescheid, weitere 59 Prozent der Einsprüche werden schließlich positiv beschieden.

„Jeden Tag sind Menschen gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen, ohne dass sie etwas dafür können“, sagt Enver Solomon, Geschäftsführer von Refugee Council, zur neuerlichen Katastrophe und fordert: „Jetzt ist es an der Zeit, die grausame und unwirksame Taktik zu beenden, diejenigen zu bestrafen oder zurück zu weisen, die versuchen, in unserem Land Sicherheit zu finden.“

Rassismus ist das Problem

Während die Toten noch gar nicht begraben sind, beschuldigen sich Frankreich und Großbritannien gegenseitig und wetteifern darum, wer den ausgemachten Bösewicht, die „kriminellen Schlepper“ effektiver bekämpft. Der französische Innenminister Gerald Darmanin wirft der britischen Regierung vor, Menschen mit „Pull-Faktoren“ (hohe Sozialleistungen) anzulocken und will selbst noch härter gegen „Kriminelle kämpfen, so wie wir gegen Terroristen kämpfen“. Der britische Premier Boris Johnson wiederum attackiert Frankreich, da Land müsse schärfere Kontrollen durchführen und im „Kampf gegen Schlepperei“ besser zusammenarbeiten.

Nicht die Schlepper, sondern die rassistische Politik der Regierungen sind für das Drama bei Calais verantwortlich. Erst im Oktober verschärfte die britische Regierung im „Nationality and Borders Bill“ die Einreisebestimmungen und erhöhte die Strafen für angebliche „Schlepper“. Menschen, die in Seetnot Geratene retten und auf britischen Boden bringen, drohen nun bis zu 14 Jahre Freiheitsentzug. Die neue Gesetzgebung veranlasste die Royal Yacht Association (Segeldachverband, RYA) ihre Mitglieder davor zu warnen, Migrant*innen auf hoher See zu retten. Lebenretten steht unter Strafe.

Die französische Regierung wiederum drangalisert seit Jahren schutzsuchende Menschen, die sich in und um Calais aufhalten und auf eine Weiterreise nach Großbritannien hoffen. Ein erst kürzlich erschienener Bericht von Human Rights Watch dokumentiert, wie die Menschen unter Massenräumungen, fast täglicher Schikanierung durch die Polizei und nur eingeschränktem Zugang zu humanitärer Hilfe leiden. Erst im Juni hat die französiche Polizei ein Lager in Calais geräumt. Kein Wunder, dass die Menschen verzweifelt sind und einfach nur weiter wollen.

Lasst die Menschen durch!

Jeder Mensch hat das Anrecht auf ein Leben in Sicherheit, Frieden und Würde. Ob in Griechenland, an der bosnischen-kroatischen Grenze, zwischen Polen und Belarus oder Frankreich und Großbritannien – quer durch Europa trampeln die Regierenden auf den hart erkämpften Menschenrechten. Wir sind schockiert, dass wir überhaupt auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen müssen. Wir verlangen von den Regierungen, die Grenzen zu öffnen, sichere Fluchtwege und Überfahrten mit Fähren und Schiffen zu schaffen, Menschen durchzulassen und das Sterben dadurch endlich zu beenden.

Die Zivilgesellschaft ist bereit, Menschen in Not zu versorgen und herzlich aufzunehmen.