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ÖVP-nahes Institut lügt: ICMPD baute Gefängnis in Lipa

Foto: BMEIA / CC BY 2.0 AT

Das ÖVP-nahe „Migrationszentrum“ ICMPD behauptete, dass es im bosnischen Lipa „selbstverständlich nicht am Bau von Haftzellen oder Ähnlichem beteiligt“ sei. Der NGO SOS Balkanroute liegen nun gleich mehrere Beweise vor, die das Institut der Lüge überführen. Das Hochsicherheitsgefängnis für schutzsuchende Menschen wurde von Wien aus geplant und errichtet.

Alle in Bosnien involvierten Parteien nennen  das ICMPD als Bauherr des Skandal-Gefängnisses in Lipa. Das bosnische Fremdenamt erklärte in einer Stellungnahme, dass die „Einheiten zum Festhalten von Migranten“ über „den Implementationspartner ICMPD realisiert“ werde. Man soll sich betreffend des Bauprojekts der Baugenehmigungen „an den Implementationspartner ICMPD“ wenden.

Die EU-Delegation in Bosnien-Herzegowina bestätigt gegenüber dem CNN-Tochtersender N1 ebenfalls, dass die Bauarbeiten am Gefängnis „von ICMPD geleitet“ werden. Der Bürgermeister von Bihac, Elvedin Sedić beklagte nach einer Regierungssitzung, dass die Stadt niemals eine Baugenehmigung erteilt habe. Die Gefängniszellen, die meterhohen Zäune, die Kameraübwachung – alles wurde illegal gebaut.

Im Gefängnis sollen Menschen, die von der kroatischen Polizei geprügelt, gefoltert und per illegalem „Pushback“ über die Grenze geschleppt wurden, inhaftiert werden. Der Premierminister des Kantons Una-Sana, Mustafa Ružnić, bekräftigte auf Al Jazeera Balkans, dass das ICMPD die „Haftanstalt gebaut hat – ohne Genehmigungen, ohne Projektdokumentation, ohne die Baubestimmungen zu befolgen“.

„Alle Beweise liegen am Tisch“, sagt Petar Rosandić, Obmann von SOS Balkanroute. Er fordert von den hiesigen Medien, dass sie das Thema endlich ernst nehmen. Das ICMPD und das ÖVP-Innenministerium, dass das „Migrationszentrum“ mit mindestens drei Millionen Euro gesponsort hat, können nicht mehr abstreiten, dass sie in den Bau des Gefängnisses führend involviert sind.

Schläge, Folter, nun auch Gefängnisbau: ÖVP zündelt wie k.u.k.-Kolonialmacht am Balkan

Foto: SOS Balkanroute

Hunderte Menschen werden derzeit von Kroatien aus illegal in das Flüchtlingslager Lipa in Bosnien deportiert (höchste Stellen sind involviert, wir haben berichtet). Dort errichtet die österreichische Regierung in alter kolonialer Manier über Unterhändler ein Gefangenenlager, in dem diese Menschen zur völligen Demütigung konzentriert werden sollen. Das österreichische Innenministerium ist der führende Treiber dieser systematischen Aushebelung der Menschenrechte auf europäischem Boden.

Das Haftlager in Lipa erinnert an ein Hochsicherheitsgefängnis für Schwerverbrecher, wie neue Bilder von SOS Balkanroute dokumentieren: meterhohe und doppelte Zäune, schwere Scheinwerferanlagen, totale Kameraüberwachung, eiskalte Containerzellen mit Gitterfenstern. Nachdem Menschen das Asylrecht verweigert wurde und sie nachweislich von der kroatischen Grenzpolizei mit Schlägen, Raub und Nahrungsentzug gefoltert wurden (Kanzler lobte den Grenzschutz), sollen sie hier interniert werden.

Das Gefängnislager wurde über Umwege, die die Spur verwischen sollen, vom österreichischen Innenministerium und der Regierung gebaut. Das Ministerium bezahlte die ÖVP-nahe Organisation International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) mit mindestens drei Millionen Euro. Diese hat das Gefängnis erbauen lassen. Die Infrastruktur des Gesamtlagers wurde vom ÖVP-geführten Land Oberösterreich und dem Innenministerium finanziert (wird haben berichtet).

Die ÖVP und der österreichische Staat führen sich wie die alte k.u.k.-Kolonialmacht auf. Sie betrachten den „Balkan“ immer noch als Stück Land, über das sie frei verfügen und Gesetze umgehen können. Für das Gefängnis machte man sich nicht einmal die Mühe, bei den Behörden eine Baugenehmigung einzuholen. Am Lager prangt das Wappen des österreichischen Innenministeriums. Österreichische Grenzpolizei ist inzwischen fixer Bestandteil in Ungarn, Serbien und Nordmazedonien geworden.

Das Lager der institutionalisierten Menschenrechtsbrüche in Lipa geht uns alle an. Menschen werden vor unseren Augen ihrer fundamentalen Rechte und Würde beraubt, während Kapital und fossile Brennstoffe frei fließen sollen (in Kroatien werden auf Initiative Österreichs im gleichen Atemzug klimaschädliche Flüssiggasterminals ausgebaut). Österreich forciert das rassistische und imperialistische System, das wir nur als starke Zivilgesellschaft brechen können. Das Gefängnis Lipa muss abgerissen werden.

Neue Pushback-Chats bringen Kanzler in Erklärungsnot

Screenshots: Lighthouse Reports

Neue Chatprotokolle belegen die schweren Vorwürfe, die wir seit Jahren gegen Bundeskanzler Karl Nehammer, das österreichische Innenministerium und die offizielle Politik in Kroatien erheben. Chatverläufe in einer inoffiziellen Polizei-Whatsappgruppe „Operation Korridor West“ mit 30 kroatischen Polizist:innen, dem Chef der Grenzpolizei sowie der Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit im Innenministerium belegen, wie die höchsten Stellen systematische „Pushbacks“ von schutzsuchenden Menschen an der Grenze zu Bosnien abnicken. Die „Einzelfall“-Ausrede ist widerlegt.

Die Recherchen von Lighthouse Reports, ORF, Spiegel und kroatischen Medien dokumentieren, wie die Polizeiführung und Stabsstellen im Innenministerium über massenhafte, gewaltsame, illegale Zurückweisungen informiert werden. Die geteilten Bilder zeigen dutzende geflüchtete Menschen, wie sie gezwungen werden, bei winterlichen Verhältnissen ohne Schuhe am Bauch am Waldboden zu liegen. Erst im Oktober dokumentierte ein Rechercheverbund, dass Menschen mit Schlagstöcken über die Grenze nach Bosnien geprügelt werden.

Nach der Veröffentlichung der Recherchen im Herbst lobte Bundeskanzler Karl Nehammer (im Zuge der Debatte um die Aufnahme Kroatiens in den Schengenraum) demonstrativ die Behörden: „Aus Kroatien spüren wir kaum einen Migrationsdruck in den Norden. Da Kroatien den Grenzschutz vorbildlich (sic!) erfüllt, sehe ich da kein Problem.“ Geflüchteten die Menschenrechte und letzte Würde mit Prügel zu rauben, ist nicht „vorbildlich“. Wir erwarten uns von Nehammer eine scharfe Verurteilung und ein sofortiges Ende der illegalen Praxis der Pushbacks.

ÖVP lässt illegales Abschiebegefängnis in Bosnien bauen

Foto: Hasan Ulukisa / / hasan-ulukisa.at

Die ÖVP lässt in Bosnien ein illegales Massen-Abschiebegefängnis errichten. Unter dem Deckmantel „Hilfe vor Ort“ wird das abgeschottete Flüchtlingslager Lipa zum Gefangenenlager umgebaut, berichtet SOS Balkanroute unter Berufung auf den bosnischen Fernsehsender USK TV. Das bosnische Fremdenamt bestätigt die Errichtung eines Abschiebezentrums mit eigenen Gefängniseinheiten, das vom ÖVP-nahen österreichischen „Migrationszentrum“ ICMPD realisiert wird.

In den vergangenen Tagen hat die kroatische Grenzpolizei unter Zwangsmaßnahmen bereits hunderte Menschen, denen das Recht auf Stellung eines Asylantrags auf EU-Boden verweigert wurde, in Bussen illegal nach Lipa in Bosnien deportieren lassen. Diese sogenannten „Massen-Pushbacks“ geschehen dabei mit vollem Wissen der Europäischen Union (EU) und offenbar auch Österreichs. Das bosnische Fremdenamt beruft sich auf Vereinbarungen mit der EU und Institutionen in Österreich.

Über 1,1 Millionen Euro an österreichischem Steuergeld sind bereits über das Innenministerium und das Land Oberösterreich, beide ÖVP-geführt, in die Infrastruktur des Gesamtlagers geflossen. Die neuen Internierungszellen werden jetzt vom International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) realisiert. Das ICMPD wird vom ehemaligen ÖVP-Kanzler Michael Spindelegger geleitet und erhielt bislang drei Millionen Euro Steuergeld aus dem ÖVP-Innenministerium.

„Wir fürchteten damals bereits, dass Lipa in eine Haftanstalt für illegale Abschiebungen umgebaut werden könnte“, sagt David Albrich, Koordinator der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, der das Lager kurz nach dem Brand mit Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger besuchte. „Die Finanzierung von Strukturen, die die Menschenrechte untergaben, muss sofort beendet werden. Unsere Solidarität gilt den Menschen, die von dieser unmenschlichen Politik gedemütigt und geprügelt werden.“

Say it loud! – Eine laute Zivilgesellschaft in einem Zeitalter der Katastrophen

Foto: Jakob Alexander

David Albrich und Judith Ranftler, Mitglieder der Kerngruppe der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, ordnen im Buch Say it loud! Beiträge zu aktuellen Fragen der Flüchtlingspolitik die Dimensionen der aktuellen Mehrfachkrise des Kapitalismus ein und plädieren für einen inhaltlichen Austausch unterschiedlicher Zugänge, um die solidarische Zivilgesellschaft insgesamt zu stärken.

Wir leben in Österreich eine ungemein aktive und lebendige Zivilgesellschaft, die selbstbewusst für Demokratie, Menschlichkeit und die Bewahrung unseres Ökosystems kämpft. Eine Zivilgesellschaft, die sich nicht zum Schweigen bringen lässt, sich mutig an vorherrschenden Meinungen und Regierungspolitiken reibt, auch unangenehme Wahrheiten ausspricht und Lösungen vorschlägt. Wir versuchen in Zeiten gewaltiger globaler Herausforderungen unermüdlich Ungerechtigkeiten zu bekämpfen und damit Verhältnisse aufzubereiten, unter denen eine solidarische Welt ohne wirtschaftliche Ungleichheiten, Krieg, Unterdrückung und Umweltzerstörung erst möglich wird.

Oft fehlt es in der Hitze des Gefechts, beim Lauf von einem Protest zum nächsten, angesichts einer schieren Flut an Krisen und einer Überwältigung an politischen Handlungen von Regierenden, die uns erschöpfen und demoralisieren können, an Zeit und Räumen, in denen wir uns inhaltlich austauschen und von einander lernen, Strategien und Taktiken entwickeln und neue Kraft für kommende Kämpfe schöpfen können. Oft wird die „Wissenschaft“ als eine außenstehende Kommentatorin der Ereignisse, ohne echte Verbundenheit mit den Bewegungen der Zivilgesellschaft, wahrgenommen. Aus diesen Überlegungen heraus entstand 2020 in Kooperation mit der Grünen Bildungswerkstatt Wien und der Volkshilfe Österreich die Gesprächsreihe „Say it loud!“.

Aktivist:innen, Vertreter:innen aus der Wissenschaft und Betroffene als Expert:innen ihrer eigenen Situation sollten auf einer gemeinsamen Plattform in Dialog treten, unterschiedliche Standpunkte ausrollen und Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Bislang konnten insgesamt fünf Gespräche aufgezeichnet werden:

Etwas haben wir aus diesen Runden jedenfalls mitgenommen: Die inhaltliche Auseinandersetzung hat zu einer Verbindung der Gesprächspartner:innen beigetragen und das gegenseitige Verständnis von Betroffenen, Expert:innen und Aktivist:innen bereichert. Wir sind überzeugt davon, dass auf dieser die einzelnen Disziplinen und Schwerpunkte übergreifenden Basis politische Forderungen entwickelt werden können und müssen, um gesellschaftliche Verbesserungen einzufordern und umzusetzen.

Zeitalter der Katastrophen

Im Zentrum der sozialen Bewegungen steht das Bedürfnis vieler, die Vereinzelungen zu überwinden und die Kräfte der Zivilgesellschaft zu einer mächtigen Bewegung zu bündeln, um eine globale Trendwende einzuläuten. Wir würden sogar sagen, dass die Stärkung unserer Schlagkraft spätestens im Angesicht der multiplen Krisen des 21. Jahrhunderts eine Notwendigkeit und Priorität geworden ist, von der letztendlich unser Überleben auf dem Planeten abhängt. Wir leben in einem neuen Zeitalter der Katastrophen1, einer Ära massiver ökologischer, wirtschaftlicher, geopolitischer, politischer und ideologischer Verwerfungen, in der Verzweiflung und Hoffnung oft nahe beieinander liegen. Insofern scheint es sinnvoll, einen Rahmen abzustecken, der die Orientierung in diesen schwierigen Zeiten erleichtert.

Die ökologische Dimension der Krise ist das drängendste Problem unserer Zeit. Sturzfluten, Überschwemmungen und Hochwasser, Dürre und Hitzewellen führen uns auch hierzulande vor Augen, wie dramatisch sich das globale Klima inzwischen aufgrund der menschengemachten Treibhausgasemissionen verändert hat. Wetterextreme nehmen an Häufigkeit zu und treiben schon jetzt hunderttausende Menschen in die Flucht. Andreas Weber und Sarah Nash behandeln diese Auswirkungen ausführlich in ihren Beiträgen. Der fossile Kapitalismus, die primäre Energiegewinnung aus Kohle, Erdöl und Erdgas, droht der Menschheit den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Das immer stärkere Vordringen der industriellen Landwirtschaft in bislang vom Menschen im Wesentlichen unberührte Gegenden bringt ganze Ökosysteme zum Kippen und erhöht die Übertragungswahrscheinlichkeit pathogener Viren wie im Fall von COVID19.

Die wirtschaftliche Dimension der Krise des globalen Kapitalismus verstärkt unmittelbar weltweite Migrationsbewegungen. Wiederkehrende Nahrungsmittelkrisen, hohe an den Ölpreis gekoppelte Getreidepreise und neoliberale Spekulationsgeschäfte inmitten eines sich verändernden Klimas und einer seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007–2009 dahindümpelnden Weltwirtschaft haben die globalen Ungleichheiten verschärft und Millionen Menschen auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit und Würde in Bewegung gesetzt. Perspektivenlosigkeit und Armut nehmen aber auch hierzulande insbesondere vor dem Hintergrund der massiven Teuerung zu, bereits sinkende Reallöhne werden von der Teuerung aufgefressen, Sozialmärkte bekommen immer mehr Zulauf.

In dieser äußerst angespannten Lage nehmen geopolitische Auseinandersetzungen um die weltweite Verteilung und Kontrolle von Profiten, Ressourcen und Märkten zu. Der brutale russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat auf dramatische Weise das Bild eines scheinbar friedlichen Europas zerstört – ein Bild, das selbst so nicht ganz stimmte: Vielen ist etwa der blutige Bürgerkrieg am Balkan in den 1990er-Jahren noch schmerzlich in Erinnerung. Kriege sind plötzlich nicht mehr entfernte Schlachten im Irak, Jemen oder in Afghanistan (was sie für Geflüchtete und mit ihnen solidarische Menschen ohnehin nie waren). Mit einem Mal wird spätestens jetzt allen bewusst, dass Regierende, wenn es hart auf hart kommt, nicht vor brutalen unmenschlichen Maßnahmen zurückschrecken, anstatt die Probleme unserer Zeit ernsthaft anzupacken.

Die politische Dimension ist vor allem gekennzeichnet durch die Krise jener Parteien (im Westen vor allem sozialdemokratischer und konservativer Parteien), die die neoliberale Ausprägung des Wirtschaftssystems vertraten. Dadurch haben sich Räume für die Linke und die Rechte geöffnet, für Momente der Hoffnung wie der kometenhafte Aufstieg von Syriza in Griechenland oder die vielfältigen sozialen Bewegungen, aber auch die Monster unserer Zeit wie Donald Trump und Herbert Kickl. Durch das beständige Nachrücken der Parteien des Zentrums (und Teile der Linken) nach rechts äußert sich diese Krise vor allem in einem staatlichen Rechtsruck mit immer noch härteren Gesetzen und Maßnahmen gegen Geflüchtete und Muslim:innen. (Die Polizeiaktion „Operation Luxor“ gegen muslimische Aktivist:innen zählte sicher zu den traumatischsten Erlebnissen für die Betroffenen.)

Nirgendwo wird die ideologische Dimension der Krise deutlicher als an der Ungleichbehandlung von ukrainischen und anderen Geflüchteten. Doro Blancke, Stephan Handl, Susanne Scholl, Ronny Kokert und Petar Rosandić (bekannt als Rapper Kid Pex) legen in ihren Beiträgen den Finger in eine europäische Wunde: Sie zeigen auf, wie brutal, wie häufig, wie selbstverständlich Geflüchtete an den Außengrenzen entmenschlicht werden und ihnen das Recht auf Asyl abgesprochen und verwehrt wird. Doch nicht nur hunderte Kilometer entfernt von uns wird Recht gebrochen – unser Interview mit der Schülerin Tina, die 2021 abgeschoben wurde, zeigt nicht nur die menschliche Komponente auf – es wird deutlich, wie brutal unsere Rechtslage ist, sodass solche Handlungen möglich sind. Je tiefer die anderen Krisenmomente werden, desto stärker werden Regierende auch die Karte der Unterdrückung und des Rassismus ausspielen.

Rolle der Zivilgesellschaft

Demgegenüber stehen weltweit immer mehr Menschen auf und nehmen die Geschicke in die eigenen Hände. 2015 war nicht zufällig das Gründungsjahr der Plattform für eine menschliche Asylpolitik. Spätestens seit damals erleben wir in unterschiedlichen inhaltlichen Kontexten eine starke Verbündung der Zivilgesellschaft: der Sommer der Solidarität mit Geflüchteten, mit anhaltendem Austausch und Unterstützung, aber auch die Wucht der Black Lives Matter-Bewegung, Fridays For Future und Extinction Rebellion als eindrucksvolle Bewegungen, die uns alle mitreißen, um hoffentlich doch noch eine Kehrtwende in der Klimafrage und einen weltweiten Linksruck zu erreichen.

Die Diskussionen über Asylpolitik, Antirassismus und Menschenrechte sollten vertieft, verschiedene Positionen zusammengeführt und ein Beitrag zu strategischen Überlegungen abseits des engen Korsetts der etablierten Politik geleistet werden – hin zu einem Aufbruch der Zivilgesellschaft und einer solidarischen Zukunft für alle. Dieses Buch ist ein weiterer Baustein, um die Themen der Gesprächsreihe mit Beiträgen von Teilnehmer:innen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Ob uns dieses Vorhaben, die Zivilgesellschaft in Österreich strategisch zu stärken, in den Gesprächen und mit diesem Buch gelungen ist, mögen unsere Unterstützer:innen und Leser:innen beurteilen.

  1. Eine Anspielung auf Eric Hobsbawm, der die Ära vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 als „Zeitalter der Katastrophen“ charakterisierte. Siehe: Eric Hobsbawm, Das kurze 20. Jahrhundert: Das Zeitalter der Extreme [1995] (Darmstadt, 2019)

Das Buch, herausgegeben von der Grünen Bildungswerkstatt Wien und der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, ist kostenlos erhältlich.

Vorwort der Plattform für eine menschliche Asylpolitik

In unruhigen Zeiten ist es wichtig, das Gespräch zu suchen. Es ist wichtig, sich Partner:innen zu suchen und Grenzen auszuloten. All das wurde auf Initiative der Plattform mit den „Say it loud!“- Gesprächen gemacht. Mit spannenden Gästen und Themen, die uns in der Plattform, aber auch darüber hinaus viele engagierte Menschen und Aktivist:innen beschäftigen. Der rote Faden ist der Mensch an sich und die Menschlichkeit über alle scheinbaren Grenzen und Barrieren hinweg.

Mit dieser Publikation beschreiten wir neue Wege. Denn es sollen nicht nur die bisherigen Gespräche dokumentiert und damit im wahrsten Sinn des Wortes festgehalten werden, sondern auch noch zusätzliche, vertiefende Gedanken zu den Herausforderungen unserer Zeit publiziert werden.

Ich danke der Grünen Bildungswerkstatt Wien für die Unterstützung und hoffe, dass diese erste Publikation der Beginn einer Reihe wird, die unterschiedliche Blicke auf unser Zusammenleben und die Herausforderungen unserer Zeit wirft.

Erich Fenninger
Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik
Direktor der Volkshilfe Österreich

Vorwort der Grünen Bildungswerkstatt Wien

Die Zeiten, die Gesellschaft, die Politik ändern sich permanent. Nicht immer zum Guten. Demokratie ist überall auf der Welt rückläufig. Illiberale und nationalistische Regierungen werden mehr, in unserer unmittelbaren Umgebung. Flucht kann jeder und jedem von uns passieren. Sei es, weil wir die falschen Menschen lieben, für Demokratie kämpfen oder simpel eine Brille tragen.

Niemand hat Einfluss darauf, wo sie oder er geboren ist. Der Geburtsort ist reines Glück, aber er ist entweder mit Freiheit und Privilegien oder mit Unterdrückung und existenziellen Bedrohungen verbunden.

„Say it loud!“ als Titel für Gesprächsreihe und Buch ist passend gewählt. Denn die Stimmen der Menschen, die flüchten müssen, und derer, die sich mit und für sie einsetzen, brauchen mehr Raum, um wahrgenommen zu werden. Sie werden durch die ungleiche mediale Unterstützung der Populist:innen, die gegen Migration und Inklusion schreien, weit weniger gehört. Das macht den Diskurs rassistisch, inhuman und unsolidarisch.

Das wollen wir, die Grüne Bildungswerkstatt Wien, gemeinsam mit der Plattform für eine menschliche Asylpolitik und der Volkshilfe ändern und den Diskurs in Richtung Menschlichkeit drehen. Ohne Ton, aber nicht minder laut widmet sich daher dieses Buch dem Thema der Gesprächsreihe und bereichert sie um analysierende Stimmen. Die Beiträge klagen eine Flüchtlingspolitik an, die entmenschlicht und oft auch ungesetzlich ist, genauso wie fehlende globale Verantwortungsübernahme. Sie zeugen aber auch von unzähligen helfenden Händen, offenen Herzen und rauchenden Köpfen. Von Menschen, die sich für eine würdige Flüchtlingspolitik einsetzen.

Diese Stimmen halten wir fest und verstärken sie. Es braucht sie, um den gesellschaftlichen Diskurs über Flucht und Aufnahme zu bereichern und ins Positive zu übersetzen.

Der Plattform für eine menschliche Asylpolitik, namentlich Judith Ranftler, danken wir für diese wichtige Initiative „Say it loud!“.

Elisabeth Kittl
Obfrau Grüne Bildungswerkstatt Wien

Das war „Love Music, fight fascism!“ zum UN-Tag gegen Rassismus 2023

Foto: Christopher Glanzl

Anlässlich des UN-Tages gegen Rassismus ging am Samstag, 18. März 2023 am Wiener Karlsplatz die Kundgebung „Love Music, fight Fascism!“ über die Bühne. Das tags zuvor beschlossene Arbeitsübereinkommen von ÖVP und FPÖ in Niederösterreich sorgte für Entrüstung unter Cornelius Obonya, Marco Pogo und Susanne Scholl. Die Musiker:innen Gina Disobey, Schwesta Ebra und Harri Stojka hielten der faschistischen Bedrohung scharfe Vibes entgegen.

„Schon wieder sitzt eine Partei in einer Regierung, deren Proponenten den Holocaust leugnen, den Hitlergruß machen, Nazi-Lieder singen, Stacheldraht um geflüchtete Menschen aufstellen, Schüler:innen rassistisch herabwürdigen“, sagte Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich und Sprecher der Plattform für eine menschliche Asylpolitik und warnte vor einer Wiederholung des schwarz-blauen Paktes auf Bundesebende.

In dieselbe Kerbe schlug Künstler und Musiker Marco Pogo. „Es darf uns niemals wurscht sein, wenn irgendjemand die Registrierung von Juden fordert, einem wieder einmal die rechte Hand auskommt oder Udo mit seinen Freunden im Keller Nazi-Lieder grölt“, mahnte Pogo und erinnerte an die eigene Geschichte Österreichs. Er prangerte die Legitimation der FPÖ durch die ÖVP an, „indem man sie in Regierungen holt, um die eigene Macht zu erhalten“.

Susanne Scholl von den Omas gegen Rechts sprach an, dass das nationalsozialistische Gedankengut in Österreich nie wirklich aufgearbeitet worden ist. „Wir sind jetzt an dem Punkt, wo dieses Gedankengut auf gut Wienerisch gesagt fröhliche Urständ feiert, und das geht einfach nicht“, sagte Scholl. „Für mich ist es unerträglich zu denken, dass ich am Ende meines Lebens wieder dort lande, wo meine Eltern waren, als sie vor den Nazis aus Österreich flüchten mussten.“

Schauspieler Cornelius Obonya appellierte in seiner Rede (hier in voller Länge), demokratisch gesinnte Parteien zu wählen. Unter lautem Beifall warnte er vor der Katastrophe, die „antidemokratische, antisemitische, klimawandelverharmlosende, ausländerfeindliche, frauenfeindliche, wissenschaftsskeptische, herumpöbelnde, korrupte, machtgeile, Verschwörungstheorien schwurbelnde Parteien und deren politische Steigbügelhalter herbeiführen würden“.

Reden hielten außerdem Laura Topütt von der Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus, Peter Rosandić von SOS Balkanroute, Axel Magnus von den SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik, Volkshilfe Wien-Geschäftsführerin Tanja Wehsely, Schriftstellerin Ishraga Mustafa Hamid und Fotografin Mercan Falter, der noch immer verwehrt wird, ihre Verwandten aus dem Erdbebengebiet in der Türkei nach Österreich zu holen.

Von der Politik unterstützten SPÖ-Stadtrat Jürgen Czernohorszky und der Menschenrechtssprecher der Wiener Grünen, Nikolaus Kunrath die Kundgebung. Durch den Nachmittag moderierten Karin Wilflingseder von Linkswende jetzt und Medienkünstlerin Zehra Baraçkılıç. Für musikalische Vibes sorgten die Wiener Satirikerin und Rapperin Schwesta Ebra, die Gewinnerin des FM4-Protestsongcontests Gina Disobey und der österreichische Gitarrengott Harri Stojka.

Nach Brand in Lipa: Volkshilfe und Plattform auf Lokalaugenschein an EU-Außengrenze in Bosnien

In Lipa wurden nach dem Brand provisorische Militärzelte aufgebaut.

Unser Sprecher Erich Fenninger und Plattformkoordinator David Albrich waren für die Volkshilfe Österreich zusammen mit SOS Balkanroute und den OMAS GEGEN RECHTS in Bosnien, um Aufmerksamkeit für das Moria direkt vor unserer Haustüre, nur wenige Autostunden von Österreich entfernt, zu schaffen und das wunderbare zivilgesellschaftliche Engagement vor Ort sichtbar zu machen. Die österreichische Regierung muss diese Bilder sehen und sich für die Aufnahme der Menschen einsetzen.

Wir waren in den Wäldern bei Velika Kladuša, wo die Menschen unter einfachen Planen den harten Winter überlebt haben. Wohnten der Eröffnung der von SOS Balkanroute finanzierten Küche des Roten Kreuzes in Bihać bei. Waren bei der anschließenden Essensausgabe im abgebrannten und provisorisch neu errichteten Camp Lipa. Sahen die Lebensmittelverteilung in den wilden Camps in Bihać, wo die Menschen in einsturzgefährdeten ehemaligen Fabrikhallen ihr Dasein fristen müssen. Waren bei der Eröffnung eines neuen Tageszentrums für Geflüchtete in Tuzla nahe der serbischen Grenze, das den Menschen ein wenig Selbstbestimmung zurück geben soll.

Überall erzählten uns die Menschen, dass sie sich eines wünschen: Open the borders! Öffnet die Grenzen! Sie wollen einfach nur weiter kommen und endlich ein Leben in Sicherheit und in Würde leben können. Die Versuche, die Grenzen zu überwinden, nennen sie dabei selbst das „Game“. Um mit der gefährlichen Flucht und der Brutalität durch die Polizei und den Umständen, denen sie ausgesetzt sind, umgehen zu können. Wir haben mit Menschen gesprochen, die Freunde beim Game verloren haben. Die bereits in Österreich waren und völlig gesetzwidrig ohne Asylverfahren zurück deportiert wurden. Ein Spiel auf Leben und Tod, für das die Regierung mit verantwortlich ist.

Beeindruckend waren die vielen starken Frauen, die wir getroffen haben. Sie springen dort ein, wo der Staat versagt, und kümmern sich unermüdlich um die Geflüchteten auf Augenhöhe und tragen zur Selbstermächtigung der Menschen bei. Unter ihnen Alma und Jasmina in Velika Kladuša, „bosnische Ute Bock“ Zemira und die Frauen des Roten Kreuzes in Bihać, Dženeta, Mirela und Edina von der Hilfsorganisation MFS-EMMAUS in Tuzla sowie die beiden Schwestern Amina und Ajnul Merdija aus der Stahlstadt Zenica. Wir haben den höchsten Respekt vor eurer Arbeit und sind dankbar, dass wir euch kennenlernen und von euch lernen durften. Wir senden euch viel Energie und kämpfen gemeinsam für eine menschliche Asylpolitik.

Cornelius Obonya: Fragen an Wähler:innen der FPÖ

Foto: Christopher Glanzl

Anlässlich des Arbeitsübereinkommens der ÖVP mit der rechtsextremen FPÖ in Niederösterreich stellte Schauspieler Cornelius Obonya auf der Kundgebung „Love Music, fight Fascism!“ am 18. März 2023 am Wiener Karlsplatz Fragen an Wähler:innen der FPÖ. Wir dokumentieren seine eindrückliche Rede.

Liebe Mitmenschen!

Dass wir heute hier stehen ist für viele, wie wir sehen können, für wirklich viele, selbstverständlich. Und gleichzeitig sollte nicht notwendig sein.

Jeder, der seinen vielleicht oft legitimen Protest gegen herrschende Verhältnisse, gegen die Regierung, gegen wen auch immer, wogegen auch immer, ausdrücken möchte, muss sich fragen, ob sein Leidensdruck wirklich hoch genug ist, um dafür die Demokratie zu gefährden.  Ob seine Wut wirklich groß genug ist, um eine Partei zu wählen, die offen mit den undemokratischen Handhabungen von pseudo-demokratisch eingestellten Parteien in Ungarn, in Italien, in Frankreich sympathisiert.

Er oder sie muss sich fragen, ob er oder sie es wirklich nötig hat, eine Partei und deren Funktionäre zu wählen, die nichts, aber auch gar nichts zur Lösung der Probleme beitragen werden, weil sie es nicht können. Sie oder er muss sich fragen, ob der Protest, den man äußern möchte, es wirklich rechtfertigt eine Partei zu wählen, die ganz offen europafeindlich agiert, und ebenso offen immer mal wieder mit dem Austritt unseres Landes aus der Europäischen Union spielt, und uns damit eine ökonomische und soziale Katastrophe, wie gerade in England zu beobachten ist, bescheren könnte.

Fragen Sie sich, ob Sie wirklich Funktionäre an den Schaltstellen haben möchten, die ihr ganz persönliches Leben bestimmen werden, und die mit dem Hitlergruß kein Problem haben. Fragen Sie sich, ob es sich lohnen könnte, Funktionäre zu wählen, die vor laufender Kamera Schulkinder mit Migrationshintergrund beschimpfen.  Fragen Sie sich, ob der inhärente Antisemitismus, der in der FPÖ immer wieder sichtbar wird, durch ihre ganz persönlich abgegebene Stimme zu einem geduldeten Bestandteil der Politik dieses Landes wird. Fragen Sie sich, ob Ihr Misstrauen gegenüber der Wissenschaft es wert ist, dafür unter den Zeichen der Neonazis und extremen Rechten mitzumarschieren und mit Ihrem Zeichen auf diesem Wahlzettel diese Symbole als normal zu legitimieren.

Fragen Sie sich in der Stille der Wahlzelle, ob sie wirklich so wütend sind, dass es sich lohnt, sich von Funktionären und ihren Versprechen, gerade ihren persönlichen Protest ganz persönlich ernst zu nehmen, reinlegen zu lassen, wenn Sie sehen können, wie in kurzen Koalitionsverhandlungen mit dem parteiüblichen Umfallen eben dieser ihr Protest in ganz persönlichen Machterhalt umgewandelt wird.

Fragen Sie sich, ob Sie damit leben könnten, dass das in Wut und Ablehnung rasch gemachte Kreuz auf dem Wahlzettel Ihnen etwas nimmt, was Sie gerade noch hatten, nämlich die Freiheit. Die Freiheit die Wahl zu haben. Die Freiheit diesen Planeten gerade noch erhalten zu können. Die Freiheit in der Gemeinschaft der europäischen Staaten friedlich leben zu können.

Und wenn Sie auch nur eine dieser Fragen mit Nein beantworten können oder wollen, dann wählen Sie bitte demokratisch gesinnte Parteien. Die gibt es, die sind da. Vielleicht sind nicht alle Ziele dieser Parteien ganz die Ihren. Aber eines ist klar: Nichts, aber auch gar nichts, was diese Parteien tun könnten, würde in jene Katastrophe führen, die antidemokratische, antisemitische, Klimawandel verharmlosende, ausländerfeindliche, frauenfeindliche, wissenschaftsskeptische, herumpöbelnde, korrupte, machtgeile, Verschwörungstheorien schwurbelnde Parteien und deren politische Steigbügelhalter herbeiführen würden.

Danke.