Offener Brief: Krieg ist Krieg. Mensch ist Mensch.

Über 90 NGOs, Initiativen und Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft haben einen offenen Brief an die Regierung gestartet: „Krieg ist Krieg. Mensch ist Mensch.“ Sie fordern die Gleichbehandlung und den Schutz von allen aus der Ukraine Geflüchteten und warnen vor einem „Zwei-Klassen-Asylsystem“ und einer zunehmenden Spaltung zwischen „guten“ und „schlechten“ Geflüchteten.

Auf #aufstehn können Einzelpersonen den offenen Brief auch in Form einer Petition unterschreiben. 

Sehr geehrter Herr Innenminister Karner,
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Nehammer,
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Kogler,

wir sind überwältigt vom Einsatz der Menschen aus der Zivilgesellschaft, die Geflüchtete aus der Ukraine mit so viel Engagement und Herz in Österreich willkommen heißen. Wir anerkennen die schnelle und unbürokratische Hilfe von staatlichen Stellen. Wir sind allerdings auch zutiefst besorgt über den aktuellen Diskurs in der Asylpolitik und die rassistische Behandlung von schutzsuchenden Menschen in Europa.

In nur sieben Tagen sind laut UNHCR über eine Million Menschen vor dem brutalen Angriffskrieg der russischen Armee aus der Ukraine geflüchtet. [1] Im Gegensatz zu ukrainischen Schutzsuchenden, wurden Studierende aus Nigeria, Ghana, Ägypten, dem Jemen, Indien und anderen Ländern an der Einreise in die EU gehindert, schikaniert und mit Gewalt bedroht. Tagelang mussten Menschen aus der Black Community und People of Color und Sinti:zze und Rom:nja in eisiger Kälte und ohne Essen im Freien ausharren und wurden dabei von Beamt:innen und Soldat:innen rassistisch beschimpft. [2] 

In Österreich befeuert man diesen strukturellen Rassismus, indem man Menschen in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete trennt und zwischen „Europäerinnen und Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz brauchen“ und „klassischen Flüchtlingen“ unterscheidet. [3] In Deutschland wird mit antimuslimischem Unterton von Menschen „aus dem europäischen Kulturkreis“ im Gegensatz zu „ungebildeten“ Menschen, die 2015 nach Europa geflüchtet sind, gesprochen. [4]

Wir begrüßen die Entscheidung der EU-Innenminister:innen, geflüchteten Menschen rasch und unkompliziert Schutz in der EU zu gewähren. Leider schließt der Beschluss jedoch Drittstaatsangehörige, die einen Daueraufenthaltstitel in der Ukraine hatten und die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, sowie Studierende aus Drittstaaten aus oder knüpft die Gewährung eines vorübergehenden Schutzes an unpraktikable und bürokratische Hürden. [5] Es darf nicht sein, dass wir rassistische Spaltung zwischen Geflüchteten verstärken und auf Dauer ein Zwei-Klassen-Asylsystem schaffen. Stattdessen müssen wir jetzt alles dafür tun, Menschenleben zu retten und diesen zumindest vorübergehend Sicherheit und eine Perspektive zu bieten, unabhängig davon, welchen Pass jemand bei sich trägt. [6]

Bomben machen keinen Unterschied zwischen Hautfarbe, Religion oder Staatszugehörigkeit. Wo ist der Unterschied zwischen einer Studierenden aus Kamerun, einer ukrainischen Mutter mit ihren Kindern oder einem Asylberechtigten aus Belarus, die alle aus Charkiw vor Putins Menschenrechtsverbrechen Schutz suchen? Geflüchtete und mit ihnen Solidarische verlangen zu Recht die Gleichbehandlung von allen Menschen auf der Flucht. 

Wir fordern von der österreichischen Bundesregierung, den Gleichbehandlungsgrundsatz und das universelle Recht auf Asyl zu wahren. Alle Menschen müssen Zugang zu Krankenversicherung, psychologischer Betreuung, Arbeitsmarkt und Bildung haben. Die rassistische Unterscheidung zwischen Schutzsuchenden muss beendet werden. Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Schutz vor Krieg, Verfolgung und aus existenzbedrohenden Gründen.

  • Kein strukturelles Zwei-Klassen-Asylsystem
  • Gleichbehandlung aller aus der Ukraine Geflüchteten: Aufnahme von Schutzsuchenden unabhängig von Herkunft, Pass, Hautfarbe, sexueller Orientierung und Gender-Identität
  • Ausweitung des temporären Schutzes auf alle aus der Ukraine flüchtenden Drittstaatsangehörigen (inklusive Studierende), insbesondere Asylsuchende in der Ukraine, durch eine nationale Verordnung 
  • Sicherstellung von medizinischer und psychologischer Versorgung für alle
  • Zugang zu Mindestsicherung, Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen, Schulen und Universitäten 
  • Über den temporären Schutz hinaus die Schaffung einer Bleibeperspektive 

Krieg ist Krieg.
Mensch ist Mensch. 

Wien, am 8. März 2022

Quellen
[1] UNHCR, 1 million refugees have fled Ukraine in a week
[2] Siehe etwa: Der Standard, Diskriminiert auf der Flucht: „Wir werden wie Hunde behandelt“ (1. März 2022); Kurier, Krieg in der Ukraine: Flüchtlinge zweiter Klasse (2, März 2022); Deutsche Welle, „Lebst du noch?“ Roma organisieren Hilfe für die Ukraine (5. März 2022)
[3] Pressefoyer nach dem Ministerrat (2. März 2022)
[4] Augsburger Allgemeine, Bayern will Ukrainern rasch und unbürokratisch helfen (2. März 2022)
[5] Border Monitoring, Zur Umsetzung der Massenzustrom-Richtlinie (3. März 2022)
[6] Wie etwa in Deutschland, siehe: Tagesschau, Flüchtlingsaufnahme unabhängig vom Pass (6. März 2022)

Unterzeichner:innen (alphabetisch, wird laufend aktualisiert) (131 mit Stand 16. März 2022)

  • Afghan Wulas Kultur&Sportverein
  • Afghanischer Kulturverein
  • Afro-Asiatisches Institut Salzburg (AAI)
  • Amnesty International Österreich
  • Antira Salzburg
  • Asylkoordination Österreich
  • Attac Österreich
  • #aufstehn
  • ausreißer – Die Wandzeitung
  • Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen (maiz)
  • Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen
  • Black Voices Volksbegehren
  • Border Crossing Spielfeld
  • Brunnenpassage
  • Camera Austria
  • Ciocia Wienia
  • Connect Mödling
  • Courage.jetzt – Mut zur Menschlichkeit
  • D/Arts – Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog
  • Deserteurs- und Flüchtlingsberatung (Dessi)
  • Diakonie Flüchtlingsdienst
  • Die Notbremsen. Flüchtlingshilfe Pillichsdorf
  • Dokustelle Österreich / Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus
  • Entwicklungshilfeklub
  • Europäisches Bürger*innen Forum Österreich (EBF)
  • Evangelische Pfarrgemeinde Dornbirn
  • F*Streik Graz
  • FairAsyl – Eine Initiative des Werkes der Frohbotschaft Batschuns
  • Fairness-Asyl
  • FIAN Österreich
  • Flüchtlinge Willkommen Österreich
  • Flüchtlingshilfe / refugee assistance – Doro Blancke
  • Fremde werden Freunde
  • Fridays for Future Wien
  • Friedensbüro Salzburg
  • Frohbotschaft.Heute, Verein für weltoffenes Christsein
  • Gablitz hilft – Flüchtlingshilfe
  • GEDENKDIENST – Verein für historisch-politische Bildungsarbeit und internationalen Dialog
  • Gemeinsam gegen Landminen – GGL Austria
  • Gemeinsam Zukunft Lernen Lustenau
  • Hoffnung für Flüchtlinge
  • HOSI Salzburg
  • Humanity Memorial Group Vorarlberg
  • IG Kultur Wien
  • Initiative Bürglkopf schließen
  • Initiative muslimischer Österreicherinnen und Österreicher (IMÖ)
  • Interface Wien
  • Internationaler Versöhnungsbund, österreichischer Zweig
  • JUVIVO – Es lebe die Jugend!
  • Kärnten andas
  • Katholische Aktion Salzburg
  • Katholische Frauenbewegung Österreichs
  • KZ-Verband/VdA Salzburg
  • LaafIT- Laakirchen für Integration und Toleranz
  • LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
  • migrare – Zentrum für MigrantInnen OÖ
  • Mondseeland hilft
  • Muslimische Jugend Österreich (MJÖ)
  • Netzwerk Kinderrechte Österreich
  • Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen
  • Obdach Wien gGmbH
  • One Billion Rising Austria (OBRA)
  • OMAS GEGEN RECHTS
  • Österreichische Gesellschaft für Exilforschung (öge)
  • Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie
  • Österreichische Kinderfreunde
  • Österreichische Liga für Menschenrechte
  • PCs für alle
  • Plattform für eine menschliche Asylpolitik
  • Plattform Menschenrechte Salzburg
  • Plattform Migration Kärnten
  • Plattform Solidarität OÖ
  • Plattform Willkommenskultur
  • Plattform 20000frauen
  • Pro mente Austria
  • Queer Base – Welcome and Support for LGBTIQ Refugees
  • Radio ORANGE 94.0
  • Rote Falken Wien
  • < rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst
  • Seebrücke Graz
  • Seebrücke Linz und Umgebung
  • Seniors for Future
  • SOS Balkanroute
  • SO SIND WIR NICHT
  • SOS-Menschenrechte Österreich
  • SOS Mitmensch
  • SOS-Mitmensch Burgenland
  • SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik
  • Sozialwerk Don Bosco
  • Sport- und Kulturverein „NEUER START“
  • Start with a Friend Austria
  • Steirische Friedensplattform
  • Südwind
  • UNDOK-Verband zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender
  • Ute Bock Flüchtlingsprojekt
  • Verein Amazone
  • Verein BEZIEHUNGSWEISE LERNEN
  • Verein-DA
  • Verein Fibel
  • Verein Frauen aus allen Ländern
  • Verein Frauenwohnprojekt [ro*sa] Donaustadt
  • Verein Grenzenlos St Andrä Wördern
  • Verein ICHKERIA
  • Verein LOGIN – Gesundheitsförderung und soziale Integration
  • Verein MENSCH im Vordergrund
  • Verein Mosaik
  • Verein OMEGA
  • Verein Projekt Integrationshaus
  • Verein Region Neusiedlersee Hilft
  • Verein Respekt.net
  • Verein transform.at
  • Verein Vobis (Klagenfurt)
  • Verein you-are-welcome
  • Vielmehr für Alle! Verein für Bildung, Wohnen und Teilhabe
  • Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC)
  • Vindex – Schutz und Asyl
  • Vita Nova – Verein für integrative Begleitung
  • Viva Con Agua Österreich
  • Volkshilfe Österreich
  • Volkshilfe Wien
  • WIDE – Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven
  • Willkommen Mensch in Eggenberg
  • Wochenende für Moria Graz
  • Wochenende für Moria Innsbruck
  • Wohn- und Integrationsnetzwerk Breitenfurt
  • Women´s Magazin Banu
  • ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit
  • ZEIT!RAUM Verein für soziokulturelle Arbeit
  • Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung)
  • Zivilgesellschaftliches Kollektiv ZIGE Wels und Umgebung
  • #zusammenHaltNÖ

Unterstützende Einzelpersonen (alphabetisch, wird laufend aktualisiert) (61 mit Stand 16. März 2022)

  • Dr. Ernst Berger, Kinder- und Jugendpsychiater
  • Jasmina Abdelrahman, Obfrau Verein MENSCH im Vordergrund
  • Mag.a Katharina Ammann, Rechtsberaterin
  • Katerina Anastasiou, KPÖ Bundessprecherin, und Bezirksrätin im 15. Bezirk
  • Dr. Ernst Berger, Kinder- und Jugendpsychiater
  • Wolfgang Bernhuber, Unternehmensberater, Coach, Lektor Wirtschaftsuniversität Wien
  • Doro Blancke, Menschenrechtsaktivistin
  • Reinhard Braun, Camera Austria
  • Karin Böck
  • Doris Brazda
  • Bärbel Danneberg, Aktivistin der Plattform 20000frauen
  • Andrea Diawara, Aktivistin der Hietzinger Grünen
  • Georg Dimitz, stv. VS des Vereins Integrationshauses
  • Zuzanna Dziuban, Kulturwissenschaftlerin
  • Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich
  • Constanzia Frohnwieser, ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuerin Courage jetzt – Mut zur Menschlichkeit
  • Dr.in. Helga Ehrmann-Falkenau
  • Dr. Helmut Eiter, Beauftragter Diakonie Pfarre Batschuns
  • Mir Ghous Uddin, Obmann Afghanischer Kulturverein
  • Karl Helmreich, Benediktiner des Stifts Melk, Sozialarbeiter
  • Mag. Susanne Kerschbaumer, Diakonie Flüchtlingsdienst
  • Sonja Kinigadner, Klinische- und Gesundheitspsychologin, Personzentrierte und systemische Psychotherapeutin, Lehrtherapeutin
  • Christa Kleiner, seniorsforfuture.at
  • Sarah Knoll, MA, Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
  • Ronny Kokert, Gründer der Shinergy Freedom Fighters
  • Margit Köpf, Flüchtlingshilfe Pillingsdorf
  • Gerhard Köpf, Flüchtlingshilfe Pillingsdorf
  • Mag. (FH) Thomas G. Lang, Koordination migrants care, Caritas Wien
  • Anton Lederer, Autor und Kurator
  • Martin Lindenthal, Musiker
  • Angelika Maierhofer, Camera Austria
  • Dr. Josef Mautner, Menschenwürdebeauftragter der Katholischen Aktion Salzburg, Mitglied im Koordinierungsteam Plattform für Menschenrechte
  • Axel Magnus, Gewerkschaftsaktivist
  • Dr. Siroos Mirzaei, Institutsvorstand Nuklearmedizin, Klinik Ottakring
  • Mag.a Christine Okresek, Leitung Tralalobe Haus der Frauen Hollabrunn
  • Inge Pinzker, Psychotherapeutin
  • Barbara Preitler, Mitbegründerin von Hemayat – Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende, Wien
  • Hans-Peter Premur, Bischofsvikar für Schöpfungsverantwortung, Migration und interreligiösem Dialog der Diözese Gurk-Klagenfurt
  • Ulrike Rausch-Götzinger, Vorsitzende des Bereichs Gemeinde und Arbeitswelt der Katholischen Aktion Salzburg
  • Johannes Reisigl, Künstler
  • Simone Riegler, Courage
  • Anna Schiester, Gemeinderätin Salzburg
  • Ferdinand Schmalz, Schriftsteller
  • Thomas Schmidinger, Politikwissenschafter, Kultur- und Sozialanthropologe Universität Wien
  • Annemarie Schlack, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
  • Dr. Günther Schlott, Schriftführer „Verein Miteinander Krems“
  • Dr. Karin Schlott, Stellv. Vorsitzende „Verein Miteinander Schrems“
  • Susanne Scholl, Journalistin, Autorin, Mitgründerin Omas gegen Rechts
  • Mag. Reinhard Seitz, Juristischer Referent
  • Franz Sölkner, Friedensaktivist
  • Helmut Steinkellner, Verein OMEGA
  • Konrad Steurer MSc, Sozialarbeiter, Geschäftsführer Die Fähre
  • Sophie Thun, Künstlerin
  • Heinz Trenczak, Filmemacher
  • Patricia Treulich, Supervisorin, Coach, Autorin
  • Karin Tschavgova, Journalistin
  • Bettina Vollath, Abgeordnete im Europäischen Parlament, Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament
  • Tanja Wehsely, Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien
  • Univ.-Prof. i.R. Dr. Werner Wintersteiner, Alpen-Adria Universität Klagenfurt
  • Hedi Wychera, Friedenslauf-Entwicklungshilfeklub, Initiatorin und Projektleiterin
  • Dr. jur. Gertrude Zörer, Mediatorin, Psychotherapeutin

Sobotka verweigert Aufnahme von Schutzsuchenden aus Ukraine: „Sollen ihr Land verteidigen“

Ukraine Conflict Live 2022 (Twitter)

Wir sind fassungslos. Am Samstag richtete ÖVP-Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka aus der Ukraine flüchtenden Menschen aus, sie seien Feiglinge, die kämpfen sollten: „Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir jetzt schon über Flüchtlinge denken und ihnen sagen: Kommt! Wir müssen schauen, dass die Ukrainer in Ukraine bleiben und ihr Land verteidigen.“

Sobotka verglich Österreich, das 1945 vom Nazi-Regime befreit wurde, mit der heutigen Ukraine, gegen die Russland einen brutalen Angriffskrieg führt. „Was wäre gewesen, wenn alle Österreicher nach 1945 geflohen wären?“, fragte Sobotka im Club 3. Daneben zieht er Parallelen zwischen Forderungen, er solle den Vorsitz im Untersuchungsausschuss abgeben, und der Ausschaltung des Parlaments durch seine austrofaschistischen Vorgänger 1933.

Die ÖVP redet von Humanität und „Nachbarschaftshilfe“. Aber relativiert die Geschichte und will schutzsuchende Menschen als Kanonenfutter an die Front schicken. Verantwortungsträger*innen, die in einem Krieg eine derart ruchlose und brutale Politik vorschlagen, haben jedwede Verantwortung verloren. Sobotka beschädigt die Demokratie. Er muss gehen.

Nein zum Krieg in der Ukraine! Österreich muss Geflüchtete aufnehmen

Foto: Screenshot ORF

Wir verurteilen den Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine auf das Schärfste. Bereits jetzt sind laut UNHCR innerhalb der Ukraine 100.00 Menschen vor den Kämpfen auf der Flucht. Es droht eine humanitäre Katastrophe mit Millionen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen. Die Zivilbevölkerung ist immer das erste Opfer von Kriegen. Ihr Schutz muss oberste Priorität haben. Der russische Angriff muss sofort eingestellt und die Truppen müssen unverzüglich abgezogen werden. Amnesty International fordert alle Parteien zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte auf.

„Nachbarschaftshilfe vor Ort“ ist zu wenig. Österreich muss in dieser äußerst gefährlichen Lage auf Verhandlungen und eine diplomatische Lösung – die noch möglich ist – setzen, und sich dabei insbesondere für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen. Es braucht dringend eine Abrüstung der Worte und Taten. Als Plattform für eine menschliche Asylpolitik fordern wir ein Ende der Kampfhandlungen, die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge und den schnellen Aufbau eines unbürokratischen Aufnahmeprogramms für Geflüchtete aus der Ukraine in Österreich.

Neue Plattform „Gemeinsam für Kinderrechte“ gegründet

Weil die Regierung bisher keine einzige Empfehlung der Kindeswohlkommission berücksichtigt hat, gründen Mitglieder nun das Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“.

von Angelika Koller

Zum ersten Jahrestag der Einsetzung der Kindeswohlkommission wurde der dreizehnjährige Husein S. nach Aserbaidschan abgeschoben. Festgehalten im Abschiebezentrum wurde dem Jungen untersagt zu weinen. Von seinen Freund*innen konnte er sich nicht verabschieden. In Aserbaidschan versucht Husein nun, an dem Schulunterricht in Österreich via Distance-Learning teilzunehmen.

Die Situation erinnert an die Abschiebung der damals 12-jährigen Tina und ihrer kleinen Schwester nach Georgien, die die Gründung der Kindeswohlkommission unter Leitung von Irmgard Griss veranlasste. Bereits im Sommer 2021 legte die Expert*innenkommission einen Bericht vor, der klar besagt: Kinderrechte werden bei Abschiebungen nur unzureichend gewürdigt. Trotz der vielen festgestellten Missstände fand bisher keine Änderung im Umgang mit Kindern im Asyl- und Fremdenrecht statt. Kinderrechte und das Kindeswohl werden Griss zufolge „offenkundig mit Füßen getreten“.

Kindeswohl nicht berücksichtigt

Weil keine der Empfehlungen der Kommission umgesetzt wurden, gründeten einige der Mitglieder nun das Bündnis „Gemeinsam für Kinderrechte“. Mit dabei sind Universitätsprofessor Ernst Berger, der Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs, Sinaida Horvath von der Refugee Law Clinic der Universität Wien sowie Katharina Glawischnig von der Asylkoordination Österreich. Die Plattform leistet zivilgesellschaftliches Monitoring im Asyl- und Fremdenrechtsbereich und möchte politischen Druck auf Regierende ausüben. Kinderschutz muss im Asylwesen institutionalisiert und im Verfassungsrang beachtet werden.

Abschiebungen sind traumatische Ereignisse, Kindern werden seelische Verletzungen zugefügt, die Spätfolgen sind nicht abzuschätzen. Nicht nur das gewohnte soziale und gesellschaftliche Umfeld wird entrissen, die Zukunftspläne und Perspektiven werden mit einer Entscheidung zerstört. Kinderpsychiater Ernst Berger untermauert die Missstände bei der Präsentation des Bündnisses: „Die Priorität des Kindeswohls ist zwar in der Verfassung angekommen, nicht aber in der Lebensrealität von Kindern und schon gar nicht bei Kindern aus Migrantenfamilien oder Fluchtwaisen.“

„Hoffe, dass Kinderabschiebungen verboten werden“

In Österreich lebende Kinder vermissen ihre Freund*innen und Mitschüler*innen und verlieren das Vertrauen in den Rechtsstaat. Bereits im letzten Jahr formierten sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Bewegungen wie #JugendStehtAuf oder #SchulenGegenAbschiebungen gegen die menschenverachtenden Abschiebungspolitik.

Tina, die die Auswirkungen ihrer Abschiebung nun täglich spürt, sagt zur Plattform für eine menschliche Asylpolitik:

„Ich wünsche es wirklich keinem, was ich und meine Familie erleben mussten. Das war eine sehr, sehr schwierige Zeit für uns. Ich hoffe, Politiker werden sich dafür einsetzen, dass Kinderabschiebungen verboten werden. Das kann man Kindern einfach nicht antun, so ein Leben. Man lebt sein Leben und auf einmal wird erwartet, dass man in einem anderen Land weiterlebt wo man die Leute nicht kennt, keine Freunde hat und die Sprache nicht versteht. So etwas darf man Kindern nicht antun. Wenn man etwas kennt und sich daran gewöhnt hat, das ist wie bei Kleinkindern: wenn man ein Kuscheltier, es weggenommen und durch ein anderes ersetzt wird, dann sind die auch nicht zufrieden, weil sie das andere kennen und damit immer gespielt haben, oder gekuschelt, geschlafen haben. Und dann gibt man ihnen ein anderes und sagt: ‚Ja hey, das ist doch quasi dasselbe.‘ Und das ist eigentlich nicht so, weil das ist was ganz anderes.“

Liebe Tina, wir stimmen dir zu: Wir müssen Kinderabschiebungen jetzt stoppen! Die Gründung des neuen Bündnisses ist ein wichtiger Schritt, um dem Kindeswohl zu seinem Recht zu verhelfen.

Gericht bestätigt erneut „teilweise methodische Anwendung“ von „Pushbacks“ aus Österreich

Foto: Metropolico.org (Wikimedia Commons)

Nun besteht kein Zweifel mehr. Schon wieder hat ein Gericht einen illegalen „Pushback“ aus Österreich bestätigt. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark entschied im Fall des jugendlichen somalischen Geflüchteten Amin, dass dessen Zurückweisung durch die Polizei nach Slowenien im Juli 2021 rechtswidrig war. Amin sei „ein fundamentales Recht auf Einleitung eines Asylverfahrens“ genommen worden. Inzwischen hat Amin in Slowenien Asyl erhalten.

Amin hat zunächst bei steirischen Polizisten mehrmals um Asyl angesucht und dabei das englische Wort „asylum“ verwendet, das die Beamten hätten verstehen müssen. Aber nur wenige Stunden danach haben ihn die Beamten wieder über die Grenze bei Sicheldorf nach Slowenien deportiert. Das Gericht erklärte die Zurückweisung nach dem geschilderten Verfahrensablauf für illegal. Das Urteil ist schwerer Schlag gegen das ÖVP-geführte Innenministerium.

Gericht bekräftigt Urteil

Das Gericht wiederholte, dass „Pushbacks“ in Österreich „teilweise methodische Anwendung finden“ – eine Erkenntnis, die das Gericht bereits vergangenen Sommer im Fall eines 21-jährigen Marokkaners sowie sechs weiterer Geflüchteter festgestellt hat. Alle Fälle haben die Initiative Alarm Phone Austria und die Asylkoordination Österreich dokumentiert. Die aktuelle Entscheidung ist der nächste Erfolg von Anwalt Clemens Lahner für die Durchsetzung der Menschenrechte.

„Die Argumentation des Innenministeriums, dass es keine Pushbacks in Österreich gibt, ist nicht mehr haltbar“, sagt Lahner gegenüber dem Kurier. Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination fordert im Ö1-Morgenjournal Aufklärung: „Ist das hier ein kalkulierter Rechtsbruch oder ein systemisches Führungsversagen? Es braucht klare Sanktionen für rechtswidriges Handeln der Polizist*innen und eine Sicherstellung, dass die Rechte der Schutzsuchenden gewahrt bleiben.“

Koalitionsthema

Das Thema Pushbacks ist damit endgültig in der türkis-grünen Koalition angekommen. Während ÖVP-Innenminister Gerhard Karner seine Beamten in Schutz nimmt, prangert der grüne Asylpolitiksprecher Georg Bürstmayr die neuerliche „schwere Menschenrechtsverletzung“ an. „Das lässt sich nicht einfach wegreden oder ignorieren“, sagt Bürstmayr. Er fordert Konsequenzen, ansonsten könnten in vielen kleinen Schritten rasch „absolut unmenschliche Verhältnisse entstehen“.

Österreich macht sich unmittelbar mitschuldig an den Verbrechen gegenüber Asylsuchenden. Es sind nicht nur die kroatische Polizei oder griechischen Behörden, die Menschen wiederholt illegal zurückweisen und ihnen das Recht auf Asyl verwehren. Die rechtswidrige Praxis der „Pushbacks“, die auch von österreichischen Beamten angewandt und von der Europäischen Union (EU) toleriert wird, muss endlich aufhören. Wir verlangen Konsequenzen von der Bundesregierung.

Antirassismus und Klimakrise sind nicht „staatsgefährdend“, sondern gehen uns alle an!

Foto: Murtaza Elham

Heute wurde der Verfassungsschutzbericht 2020 veröffentlicht. Darin werden tatsächlich „Antifaschismus, […] die COVID-19-Pandemie, die Flüchtlingsproblematik, die Klimakrise, die Kurdenthematik und ‚Black Lives Matter‘-Aktivitäten“ als „linksextremistische“ Themenfelder aufgefasst. Zivilgesellschaftliche Großdemonstrationen werden zu „schützenden Umfeldern“ von „Linksextremisten“ zum „Ausleben ihrer Gewaltbereitschaft“ umgedeutet.

Wir haben im Jahr 2020 als Plattform für eine menschliche Asylpolitik zu den Black Lives Matter-Protesten und Klimastreiks aufgerufen sowie selbst Großdemonstrationen organisiert (u.a. „Voices for Refugees“ zusammen mit der Volkshilfe Österreich). Wir verwehren uns gegen diese versuchte Diffamierung und Kriminalisierung von zivilgesellschaftlichem Engagement. Die Unterstellung, uns ginge es nicht um die Sache, sondern um bloße „Gewaltbereitschaft“, ist unerhört.

Antifaschismus, Antirassismus und Kampf gegen die Klimakrise sind nicht „staatsgefährdend“, sondern gehen uns alle an! Gerade in Zeiten, in denen gewaltbereite Neonazis beinahe wöchentlich unter Polizeischutz aufmarschieren, Muslim*innen, Jüdinnen und Juden, Geflüchtete und andere von Diskriminierung betroffene Menschen sich nicht mehr sicher fühlen, und die Auswirkungen der Klimakrise für alle spürbar werden, ist unser zivilgesellschaftlicher Protest wichtiger denn je.

Entschuldigung und Entschädigung statt Abschiebeabkommen!

Foto: Screenshot ORF

Die ÖVP hat nicht nur ein riesiges Korruptionsproblem, sondern ein gewaltiges Rassismusproblem. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck bezeichnete heute Afrika allen Ernstes als „nicht nur ein Land, aus dem Flüchtlinge kommen“, sondern eines „voller junger Menschen, die hochdigitalisiert sind“. Afrika dürfe man nicht China überlassen. Dabei war es Schramböck nicht peinlich, von Afrika „Partnerschaften auf Augenhöhe“ zu fordern, denn diese dürften „nicht nur einseitig sein, die Kolonialzeiten sind schon lange vorbei“.

Dabei sind gerade Schramböcks Äußerungen von rassistischen Stereotypen und neo-kolonialistischen Haltungen durchzogen. Afrika ist ein Kontinent, und kein Land. Sie bedient sich eben genau der Rhetorik aus der Kolonialzeit, die sie scheinbar kritisiert, um den imperialistischen Wettstreit mit China um die Ausplünderung der Ressourcen afrikanischer Länder zu befeuern. Während gleichzeitig mehr und mehr Rückführungs- und Abschiebeabkommen mit afrikanischen Ländern abgeschlossen werden.

Ein echter Dialog auf Augenhöhe würde bedeuten, endlich die Schulden für die (Neo-)Kolonialzeit zu begleichen und die Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch den Westen zu beenden. Es braucht dringend eine Entschuldigung, Entschädigungszahlungen und die sofortige Aussetzung aller Rückführungs- und Abschiebeabkommen.

Zum Tag des transnationalen Migrant*innenstreiks am 1. März 2022: Empowering Migrant Women im Parlament!

Empowering Migrant Women: Die Diaspora als Sprachrohr für Frauen- und Migrantinnenrechte | Veranstaltung auf Facebook

Eine Veranstaltung von Ewa Ernst-Dziedzic und Faika El-Nagashi mit der Plattform für eine menschliche Asylpolitik

Frauen übernehmen in vielen globalen Konflikten eine wichtige Rolle: Sie kämpfen um ihre Rechte inmitten oft gewaltvoller politischer Auseinandersetzungen, von denen sie selbst massiv betroffen sind. Sie fordern ihre körperliche Unversehrtheit, ihre Selbstbestimmung, ihre ökonomische Unabhängigkeit und eine friedliche Zukunft. Sie sind unbeugsame Rebellinnen gegen gegen autoritäre Regimes und faschistische und terroristische Strömungen. Und sie sind auch die Pionierinnen des demokratischen Wiederaufbaus, oft nach nach Jahrzehnten der Unterdrückung.

In Österreich sind sie Teil der Diaspora und engagieren sich weiter politisch für Frauenrechte hier und dort. Als Migrantinnen und als Geflüchtete schaffen sie auch in Österreich Räume des Widerstands und des Engagements für Frauenrechte, Demokratie und Dialog.

Anlässlich des transnationalen Migrantinnenstreiktags am 1. März und im Vorfeld des internationalen Tags gegen Rassismus (21. März) diskutieren wir mit mutigen politisch engagierten Frauen, die über die Diaspora hinaus ihre Stimme für die Rechte von Frauen, Migrantinnen und Geflüchteten erheben.Begrüßung durch NR-Abg. Faika El-Nagashi, Integrationssprecherin:

Integrationspolitik zur Stärkung von MigrantinnenrechtenBegrüßung durch NR-Abg. Ewa Ernst-Dziedzic, Außenpolitische Sprecherin:
Frauenrechte weltweit: Außenpolitik als FriedenspolitikDanach Diskussion mit:

  • Ishraga Mustafa Hamid (Aktivistin und Schrifstellerin): Sudan
  • Zahra Hashimi (Aktivistin): Afghanistan
  • Selma Jahić (Zeitzeugin): Bosnien und Herzegowina/Balkan
  • Iryna Piarvoikina (Politikwissenschaftlerin): Belarus
  • Celia Mara (Künstlerin und Aktivistin): Brasilien/Lateinamerika

Moderation: Judith Ranftler, Plattform für eine menschliche Asylpolitik/Volkshilfe Österreich

Anschließend Ausklang mit veganen Brötchen & Getränken

Achtung: Für den Eintritt in das Gebäude ist ein Lichtbildausweis erforderlich! Während der Veranstaltung gilt FFP2-Maskenpflicht. Für den Zutritt gilt die 2Gplus-Regel (geimpft oder genesen UND PCR-getestet). PCR-Tests haben eine Gültigkeit von 48 Stunden.

Einlass ab 17:30 Uhr

Beginn (pünktlich): 18:00 Uhr

Begrenzte Teilnehmer:innenzahl, Anmeldung bis 24. Februar unter martha.weicher@gruene.at

Solidarität mit Alev Korun! Beamter bezeichnete antirassistische Politikerin als „Hexe“ und wollte sie „in der Donau versenken“

Foto: Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Mike Ranz

Der Spiegel, der die neuen Nachrichten veröffentlichte, berichtet außerdem von diskriminierenden Äußerungen im Kreis jener, die Sebastian Kurz zur Macht verholfen haben. So beschwert sich eine Mitarbeiterin über eine Ministerin, weil diese zu LGBT-freundlich sei: „Seit wann goutiert die ÖVP eine Zeremonie bei den Homos?“ Erst gestern veröffentlichte der Standard Chats, in denen sich die ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner über die SPÖ echauffierte: „Die Roten bleiben Gsindl!“

Wieder sind neue Details aus den Chatprotokollen aus dem Umfeld der ÖVP bekannt geworden. So soll ein Staatsdiener während einer Rede der antirassistischen Politikerin Alev Korun (von 2008 bis 2017 Nationalratsabgeordnete) im österreichischen Parlament gefragt haben: „Warum hat diese Hexe noch niemand in der Donau versenkt? Ich glaube, weil sie die Donau von Passau bis ins Schwarze Meer vergiften würde.“ Wir sind entsetzt und drücken Alev Korun unsere volle Solidarität aus.

Der Spiegel untermauert auch weiter, wie das Team um Kurz gezielt Rassismus eingesetzt hat, um an die Regierung zu kommen. So soll sein Chefstratege Stefan Steiner im Innenministerium unter Wolfgang Sobotka, inzwischen Parlamentspräsident, eine eigene Kleiderverordnung bestellt haben: „Könnt ihr nicht sagen: eine Polizistin mit Kopftuch wird es nicht geben. Wird dazu eine Klarstellung im Erlass bzw. Uniformtrageordnung geben. Wäre das denkbar für euch?“

Kurz darauf erklärt Sobotka öffentlich, dass es für ihn nicht infrage komme, „dass Polizistinnen während ihres Dientes ein Kopftuch tragen“. Auch die bestellte Änderung der Kleiderordnung stellt er in den Raum. Oliver Das Gupta fasst im Spiegel das Thema Kopftuchverbot zusammen: „Es ist offensichtlich ein Baustein im Plan von Sebastian Kurz und seinen Getreuen wie Steiner, um die Macht zu übernehmen: zuerst die Zentrale der Volkspartei ÖVP und dann das Kanzleramt.“

Offener Brief: Muslim* Contemporary und Solidarische wehren sich gegen rassistischen Diffamierungsversuch

Foto: Minitta Kandlbauer

Kurz vor Weihnachten 2021 versuchte die türkise Wiener ÖVP die Kunstausstellung Muslim*Contempory mit widerlichen rassistischen Unterstellungen, Zuschreibungen und Kampfbegriffen wie „politischer Islam“ zu diskreditieren. Die Ausstellung, die bereits im November an der Akademie der Bildenden Künste gezeigt wurde, behandelte die rassistische Polizeiaktion „Operation Luxor“. Damit dürfte die ÖVP offenbar ein Problem haben. Wir erklären uns solidarisch und drucken den offenen Brief der Initiator*innen, der von zahlreichen Kulturinstitutionen und Interessensvertretungen mit unterzeichnet wurde, an dieser Stelle ab.

Von 8. bis 12. November 2021 fand an der Akademie der bildenden Künste in Wien zum ersten Mal die multidisziplinäre, anti-rassistische und feministische Ausstellung Muslim* Contemporary (1) statt. Die Ausstellung mit unterschiedlichen künstlerischen und vermittelnden Formaten bot muslimischen und muslimisch gelesenen Künstler:innen(2) sowie allen dialoginteressierten Menschen einen Raum, die Rolle ihrer Partizipation in der österreichischen Gesellschaft und ihre Alltagserfahrungen mit künstlerischen Mitteln auszuverhandeln. Für die Teilnehmenden war es ein Raum des künstlerischen Austauschs, der Bestärkung, des Dialogs und des Lernens.

Mit Muslim* Contemporary wurde nicht nur ein inklusiver Raum geschaffen, sondern auch ein kritischer. Die Ausstellung fand zum ersten Jahrestag der „Operation Luxor“ statt und behandelte diese größte polizeiliche Aktion der Nachkriegszeit mit den Mitteln der Kunst und des Dialogs aus der Perspektive der Betroffenen. Teile der „Operation Luxor“ wurde mittlerweile vom Oberlandesgericht Graz für rechtswidrig erklärt und das harte und überschießende Vorgehen der Exekutive scharf kritisiert.(3) Viele polizeiliche Maßnahmen wurden per Gericht aufgehoben. Maßgeblich beteiligt an der Operation war das unter dem Einfluss der ÖVP stehende ehemalige BVT (Innenministerium). (4)

Am 20. Dezember stellten nun die beiden ÖVP-Gemeinderätinnen Laura Sachslehner und Caroline Hungerländer als Reaktion auf die Ausstellung eine schriftliche Anfrage im Gemeinderat.(5) Ihre darin geäußerten Vorwürfe sehen von jedweder Auseinandersetzung mit den künstlerischen Arbeiten ab. Stattdessen werfen sie den involvierten Künstler:innen vor, schon durch das bloße Sprechen über den Rassismus, den sie tagtäglich als Muslim:innen erfahren, ein „Narrativ des politischen Islam“ zu übernehmen. Außerdem, so der Vorwurf, wäre die Beziehung einiger Künstlerinnen zur Muslimischen Jugend Österreich ein weiteres Indiz für ihr angebliches „Naheverhältnis zum politischen Islam”. Die Muslimische Jugend Österreich, die mit Projekten wie „MuslimInnen gegen Antisemitismus” für ihre feministische und kritische Arbeit bekannt ist, wird also ebenfalls angegriffen. Hierbei bezieht sich die ÖVP-Anfrage auf einen Bericht der „Dokumentationsstelle Politischer Islam”, die 2020 unter türkis-grün eingesetzt wurde und deren Arbeit seither immer wieder heftig kritisiert wird (beispielsweise die unrühmliche “Islam-Landkarte”(6), die international für Empörung sorgte).

Wir weisen diese Argumentation der ÖVP aufs Schärfste zurück und möchten mit großer Sorge auf diesen ÖVP-Angriff auf Kunstfreiheit und die muslimische Zivilgesellschaft aufmerksam machen. In ihren Vorwürfen nimmt die ÖVP-Anfrage weder auf die künstlerische Arbeit noch auf den Inhalt der Ausstellung Bezug.

Wovor anerkannte Expert:innen gewarnt haben(7), scheint jetzt einzutreten: Der vage Begriff „politischer Islam“ wird abermals von der ÖVP instrumentalisiert, um Muslim:innen und rassismuskritische Stimmen anzugreifen, einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Künstler:innen of Color, die (teils rechtswidrige) ÖVP-Rechtspolitik kritisieren und künstlerisch den Rassismus verarbeiten, den sie tagtäglich erleben, wird in verschwörungstheoretischer Manier „ein Naheverhältnis zum politischen Islam“ unterstellt. Diese Vorwürfe erinnern an den rechtskonservativen Diskurs des Links-Islamismus (Islamo-Gauchisme), wie wir ihn aus Frankreich kennen, der sich gegen verschiedene Formen anti-rassistischer, postkolonialer oder feministischer Kritik richtet.

Weiters unterstellt die ÖVP-Anfrage den beiden Politikerinnen Mireille Ngosso (SPÖ) und Faika El-Nagashi (Die Grünen)  auf Basis einer ebenso fragwürdigen Schlussfolgerung „linksextreme Gewaltbereitschaft“. Auf einem Foto, das bei der Ausstellung entstanden ist, seien die beiden mit erhobener Faust abgebildet. Wie weithin bekannt, ist die erhobene Faust unter anderem ein etabliertes Zeichen für anti-rassistische Bestrebungen für die Rechte und Gleichbehandlung Schwarzer Menschen. Die ÖVP-Vorwürfe zeugen von Unwissenheit und sind so wild zusammengewürfelt, dass der Eindruck entsteht, die ÖVP konstruiere Vorwürfe, um anti-rassistische, feministische, kritische Stimmen zu diskreditieren und einzuschüchtern.

Zudem kann das Verhalten der ÖVP anti-rassistischen und feministischen Nachwuchskünstler:innen of Color die finanzielle Grundlage für ihre Arbeit entziehen. Durch die Anfrage und die haltlosen darin geäußerten Vorwürfe entsteht nicht zuletzt ein administrativer Mehraufwand. Diese politische Strategie, um kritische Stimmen, die sich gegen Rechtspolitik stellen, mit den Mitteln der Bürokratie mundtot zu machen, kennen wir bereits von der FPÖ und wendet auch die vom deutschen Verfassungsschutz als „Rechtsextremismus-Verdachtsfall“ eingestufte(8) AfD in Deutschland seit Jahren an.(9) Ob ein künstlerisches Projekt förderwürdig und qualitativ hochwertig ist, haben nicht politische Parteien, sondern etablierte Künstler:innen und Kunstinstitutionen zu entscheiden.

Wir sehen in diesem Manöver der ÖVP daher den Versuch, die Freiheit der Kunst und Meinungsfreiheit einzuschränken. 

Muslim* Contemporary war ein Raum, in dem mit künstlerischen Mitteln Fragen von Diskriminierung, Repräsentation und Teilhabe diskutiert und kritisch reflektiert wurden. Außerdem hieß die Ausstellung Menschen willkommen, denen der Zugang zu etablierten Kulturinstitutionen aufgrund struktureller Diskriminierung oftmals erschwert wird. Trotz dieser Signifikanz war es verglichen mit anderen Kunstausstellungen in Wien eine kleine Veranstaltung, die ganz wesentlich von ehrenamtlichem Engagement getragen wurde. Wir nehmen es daher als besonders alarmierend wahr, dass diese kleine, aber kritische Kunstausstellung von  ÖVP-Politikerinnen mit so zweifelhaften und schwerwiegenden Vorwürfen angegriffen wird.

Unsere Frage an die ÖVP lautet daher: Nutzt die ÖVP die neu eingesetzte „Dokumentationsstelle politischer Islam“ um zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die ÖVP-Politik kritisieren, einzuschüchtern, um anti-muslimische Rassismen in der Gesellschaft zu verstärken, und um Künstler:innen die Förderwürdigkeit abzusprechen sowie Bürger:innen zu diskreditieren? 

Da bei uns dieser Eindruck entstanden ist, verstehen wir die ÖVP-Anfrage nicht nur als Angriff auf Künstler:innen, die muslimische Zivilgesellschaft sowie Politikerinnen of Color, sondern zudem als schwerwiegenden Angriff auf die Kunstfreiheit und kritische Stimmen ganz allgemein. 

Wien, 8. Februar 2022

Verfasserinnen des Briefes:

Asma Aiad – Kuratorin von Muslim*Contemporary, Künstlerin, Aktivistin
Anahita Neghabat – Sozialwissenschaftlerin und Künstlerin
Dr.in Mireille Ngosso – Landtagsabgeordnete und Gemeinderätin SPÖ Wien

Dieser offene Brief wurde bereits gezeichnet von:

Mag. Dr. Johan Frederik Hartle – Rektor, Akademie der bildenden Künste WienMag.a Dr.in

Ingeborg Erhart – Vizerektorin für Kunst und Lehre, Akademie der bildenden Künste Wien

Prof.in. Dr.in Marina Gržinić – Professorin am Institut für bildende Kunst, Akademie der bildenden Künste Wien
Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović (WHW) – Direktorinnen der Kunsthalle Wien

Ricarda Denzer – Künstlerin, im Vorstand der Secession, Lehrende an der Universität für Angewandte Kunst

Esma Bošnjaković – Künstlerin

Judith Rohrmoser – Künstlerin

Tobias Herzberg – Universitätsassistent, Universität für angewandte Kunst Wien

Mag.iur Anna Steiger – Vizerektorin für Personal & Gender TU Wien

Peter Wesely – Journalist, Pressereferent, Verein Wirtschaft für Integration

Muslimische Jugend Österreich

Dr. Bernhard Lauxmann – Universitätsassistent post.doc, Universität Wien, Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie

Univ.-Prof. Mag. PhD. Elke Krasny – Professorin am Institut für das künstlerische Lehramt, Akademie der bildenden Künste Wien

Luisa Ziaja – Kuratorin für zeitgenössische Kunst, Belvedere21 Wien

Prof. Farid Hafez – Visiting Professor of International Studies, Williams College

Mag. Andreas Ferus, MSc – Leiter Universitätsbibliothek, Akademie der bildenden Künste Wien

Jo Schmeiser – Regisseurin, Universität für Angewandte Kunst / Abteilung Kunst und Kommunikative Praxis

Cocon – Verein zur Entwicklung und Umsetzung von Kunstprojekten

Petra Poelzl – Künstlerische Leiterin & Geschäftsleiterin, Kunstpavillon & Neue Galerie Innsbruck

Tiroler Künstler:innenschaft

Vorstand Frauen*Volksbegehren

Michael Strasser – Künstler, Vorstandsmitglied Tiroler Künstler:innenschaft

Karl Öllinger – Abgeordneter zum Nationalrat a.D. (die Grünen)

Rikki Reinwein – Präsidentin der Berufsvereinigung der bildenden Künstler Österreichs -Zentralverband

Univ.-Prof. Mag. Dr. Elke Gaugele – Professorin im Fachbereich Moden und Styles, Akademie der bildenden Künste Wien

Natascha Strobl – Politikwissenschaftlerin

Marlene Engel – Musikdramaturgin Volksbühne Berlin

ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit

Arts Rights Justice Austria

Team ausARTen – Perspektivwechsel durch Kunst aus München

Gabi Gerbasits – IG Kultur Österreich

Carla Bobadilla und Almut Rink – Vorsitzende IG Bildende Kunst 

Daniela Koweindl – Kulturpolitische Sprecherin, IG Bildende Kunst

IG Kultur Wien

IG freie Theaterarbeit

Sozialistische Jugend Österreich

Brunnenpassage

Salam Oida – Verein zur Förderung von Vielfalt in Kunst und Kultur 

kulturen in bewegung

Galina Baeva – Obfrau Verein oca: migrations, minorities, arts

D/Arts

Sheri Avraham – D/Arts Projektbüro für Diversität und urbanen Dialog

Sophie Lingg – Universitätsassistentin, Fachbereich Kunst und Bildung, Akademie der bildenden Künste Wien

Judeobolschewiener*innen

Natalie Ananda Assmann – Theaterschaffende und Kuratorin

Larissa Felicitas Huber – Queer Feministisches Referat der ÖH, Akademie der bildenden Künste Wien

Elisabeth Lechner – Kulturwissenschaftlerin

Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreich (VBKÖ)

Mag. Dr. Bernhard Lauxmann – Institut für Praktische Theologie und Religionspsychologie, Uni Wien

Dr. Benjamin Opratko – Post-Doc Researcher, Uni Wien

Muhammet Ali Baş – Kulturvermittler und Autor

Calimaat – Künstler

Dr. Cornelia Kogoj – Initiative Minderheiten

Black Voices – Anti-Rassismus Volksbegehren

Andreas Peham, Rechtsextremismusforscher

Kollektiv un_gefragt

Maria Anna Kollmann, Dachverband der Filmschaffenden

Kulturrat Österreich

ASSITEJ Austria – Junges Theater Österreich

Evelyn Shi , Landesvorsitzende Junos Wien

Yousef Hasan , Stellvertretender Landesvorsitzender Junos Wien 


(1) Zur Muslim* Contemporary Website: https://bit.ly/3H6zxdm
(2) „Muslimisch gelesen“ bedeutet, dass manche Menschen, unabhängig von ihrer eigenen Identifikation, von anderen als Muslim*innen wahrgenommen werden.
(3) Kritik an der „Operation Luxor”: https://bit.ly/3H5rQnJ
(4) Zusammenfassung der Ereignisse rund um „Operation Luxor”: https://bit.ly/349gZdQ
(5) Schriftliche ÖVP-Anfrage: https://bit.ly/3494XBe
(6) Zur “Islam-Landkarte” des Integrationsministeriums: https://bit.ly/3AMusoj
(7 )Zwei ausführliche Kritiken: 1) https://bit.ly/3rSQ8Ly 2) https://bit.ly/3G334Dm
(8) Zur Einstufung der AfD als rechtsextrem: https://bit.ly/3G1gWOM
(9) Mehr Information zu dieser rechtspolitischen Strategie: 1) https://bit.ly/3tZICRC 2) https://bit.ly/35qnVnKCopy